Rothenburg in Krieg und Frieden – Tagung der Ev. Akademie Tutzing über die NS-Zeit in der Stadt sowie ihren Umgang mit ihr in späteren Jahrzehnten: Reaktionen, Kritik und Lob

Tagungssaal im Wildbad; im Vordergrund die Tagungsleiterin Dr. Ulrike Haerendel; Fotos ( ): Jochen Ehnes

Tagungsteilnehmer im Hotel Wildbad; im Vordergrund die Tagungsleiterin Dr. Ulrike Haerendel von der Evangelischen Akademie Tutzing; Fotos (6 ): Jochen Ehnes

Von Wolf Stegemann

13. Juli 2016. – Die Akademie rief und viele kamen. Rund 50 Teilnehmer aus Bayern und Baden-Württemberg. Darunter aus den Städten München, Ulm und Crailsheim, Kronach und Gummersbach, Augsburg und Ansbach, Nürnberg und Heidelberg, Lindau und Landsberg, Klausen und Kitzingen, Türkenfeld und Deggendorf. Die Evangelische Akademie Tutzing hatte zum Generationengespräch: „Rothenburg in Krieg und Frieden“ eingeladen, eben in jene mittelfränkische Tauberstadt, über die in der noblen Tagungsstätte Wildbad über Nationalsozialismus und Nachkriegszeit vom 24.- bis 26. Juni 2016 referiert und diskutiert wurde. Darunter sechs Teilnehmer aus Rothenburg. Es war eine gute Veranstaltung, an deren Verlauf und Ergebnis feststellbar war, dass es auch eine notwendige war. Dazu die Tagungsleiterin Dr. Ulrike Haerendel auf Anfrage: „Nach Durchsicht der Bewertungsbögen der Teilnehmer war diese Tagung erfolgreich.“ Wie bereits bei Ende der Tagung zu hören war, war dies auch von Referenten zu hören, allesamt Kenner der NS-Geschichte der Stadt mit unterschiedlichen Berührungspunkten. Das waren der Rothenburger Architekt Hanns-Jürgen Berger, der Studienrat Dr. Daniel Bauer, der Historiker Dr. Markus Naser (Uni Würzburg), der Volkskundler Michael Kamp, M. A. (LVR-Freilichtmuseum Lindlar), die Lehrbeauftragte und Historikerin PD Dr. Edith Raim (Uni Augsburg), der Lehrer und Dokumentarfilmer Thilo Pohle, der Theologe Prof. em. Dr. Horst Rupp (Uni Würzburg) sowie der Logotherapeut Ditz Schroer aus Türkenfeld. Ebenso gehörten zu den Referenten die beiden Herausgeber dieser Online-Dokumentation „Rothenburg unterm Hakenkreuz“, Pfarrer Dr. Oliver Gußmann (Rothenburg) und der Dorstener Journalist und Publizist Wolf Stegemann, der seine Wurzeln in Rothenburg hat. Tagungsleiterin war Dr. Ulrike Haerendel von der Evangelischen Akademie Tutzing, ihre Assistentin Rita Niedermaier.

Im Blick zurück ebnete die Tagung den Blick in die Zukunft

Tagungsstätte Wildbad in Rothenburg ob der Tauber

Tagungsstätte Wildbad in Rothenburg o.d.Tbr.

Die bundesweit bekannte und renommierte Evangelische Akademie Tutzing mit Sitz am Starnberger See in Oberbayern gibt in ihren Tagungen, an denen jährlich rund 12.000 Interessenten teilnehmen, Anstöße in vielen Bereichen der Politik, Gesellschaftswissenschaften, Religion, Kunst und Kultur. Die 1947 von der Landeskirche gegründete Akademie ist aber auch Studienstätte mit Seminaren und wissenschaftlichen Kolloquien. Die Veranstaltungen finden vorwiegend im Schloss Tutzing aber auch an anderen Orten in Deutschland statt, wie die hier beschriebene in Rothenburg ob der Tauber.
Mit der Tagung „Rothenburg in Krieg und Frieden“ leistete die Akademie einen Beitrag zur „Dekonstruktion des Mythos Rothenburg“, wie es im Tagungsprogramm erläutert ist. Dabei ging es in der Hauptsache um die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit in dieser kleinen Stadt.

PD Dr. Edith Raim

PD Dr. Edith Raim

Die historischen Vorträge gingen auf den Aufstieg der Nationalsozialisten vor 1933 ein, auf die NS-Herrschaft und auf den Bombenangriff vom 31. März 1945, der einen großen Teil der Altstadt zerstörte, und auf den Umgang mit den zwölf Jahren Nationalsozialismus in der Nachkriegszeit. Weiter heißt es dort: „Wo gilt es hinter die schönen Fassaden zu schauen? Welche Brüche und dunklen Seiten zeigt die scheinbar intakte Stadt nicht auf den ersten Blick? Schon im 19. Jahrhundert setzten die Bemühungen um die Inszenierung Rothenburgs und Ausbau zu einer Touristenhochburg ein. Die Nationalsozialisten stilisierten sie zur ,deutschesten’ Stadt und machten sie zu einem Vorzeigeobjekt für KdF-Urlauber, während gleichzeitig in Franken Gauleiter Julius Streicher sein antisemitisches Programm umsetzte und auch in Rothenburg kein Widerstand gegen die totale Herrschaft der NSDAP mehr geduldet wurde. Rothenburg erlitt beachtliche Kriegszerstörungen, die man in einem schon bald einsetzenden Wiederaufbauprogramm für viele unsichtbar kaschierte. Unsichtbar blieben zum Teil bis heute auch die Belastungen durch die NS-Zeit, die Schuld, die unbewältigten Verluste, die „Traumatisierungen.“ – Auf die Fragestellungen des in vier Themenbereiche eingeteilten Programms – und auf die Fragen der Teilnehmer – konnten die Referenten Antworten anbieten. Allerdings kam aus Zeitgründen so manche Diskussion zwischen Referenten und Teilnehmern zu kurz.

I. Rothenburg im „Dritten Reich“ (Freitag)

Daniel Bauer gab einen Überblick über den „Aufstieg und die Herrschaft des Nationalsozialismus in Stadt und Land Rothenburg“. Ihm folgte die Filmpräsentation über die Bombardierung der Stadt am 31. März 1945 „Ein Tag, der zur Nacht wurde – Rothenburg in Flammen“. Den Film hatte der Lehrer Thilo Pohle mit Schülern seiner Dokumentarfilmgruppe geschaffen.

II. „Vergangenheitsbewältigung“ (Samstag)

Oliver Gussmann sprach über das Leben der jüdischen Gemeinde vor der Verfolgungszeit und über die Vertreibung 1938 sowie über das Erinnern nach 1945. Heute zeugen die Judengasse mit Überresten eines Ritualbads, das Judentanzhaus und der Kapellenplatz von der Zeit vor der Zerstörung. Der jüdische Rechtsgelehrte Rabbi Meir ben Baruch, der hier im 13. Jahrhundert wirkte, ist in der jüdischen Religionskultur noch immer eine feste Größe.
Der Vernichtungswillen der Nationalsozialisten erfasste alles jüdische Leben in der Stadt, führte zu Vertreibung, Deportationen und Ermordungen. Zur Rechenschaft für diese Taten wurde allerdings nach 1945 kaum jemand gezogen, wie Edith Raim in ihrem Vortrag „Strafverfahren gegen Verantwortliche der Deportationen aus Mittelfranken“ ausführte. Beteiligt waren SS-Männer, Eisenbahner, Polizisten, Finanzbeamte, Lokalbeamte, das Rote Kreuz, Gerichtsvollzieher u. a. – Ihr Vortrag ist in Kürze als Artikel in dieser Dokumentation zu lesen.

Thilo Pohles Ausstellung über die Brettheimer Ereignisse

Thilo Pohles Ausstellung über die Brettheimer Ereignisse

Während einige Tagungsteilnehmer sich nachmittags vom Stadtführer Martin Kamphaus die Stadt zeigen und deren Geschichte erklären ließen, zeigte Thilo Pohle einen weiteren Film, der unter dem Titel „Als der Frieden schon so nah war! Brettheim – eine Dorfgeschichte im Dritten Reich“. Er handelt von einem tragischen Geschehen mit Todesurteilen eines Standgerichts fast in Hörweite der amerikanischen Panzer, als drei Bürger des Dorfs Brettheim Hitlerjungen entwaffneten, die gegen die Panzer kämpfen wollten. Der 1982 entstandene Dokumentarfilm mit Aussagen von Angehörigen der Opfer in Brettheim und anderer Beteiligter erfuhr internationale Anerkennung.

III. Tradition und Inszenierung

Prof. Dr. Horst F. Rupp

Prof. Dr. Horst F. Rupp

Zu den Problemen des Wiederaufbaus der kriegszerstörten Stadtteile und zur Retraditionalisierung des Stadtbilds sprach der Architekt Hanns-Jürgen Berger. Er und sein Kollege Tobias Lauterbach brachten zu diesem Thema 2009 die beiden Bände „Rothenburg ob der Tauber – Der Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg“ heraus. Berger erläuterte an Hand von Bildmaterial, wie aus kriegszerstörten Häusern, Stadtmauern und Straßenzügen das „Mittelalter“ und spätere Epochen wieder „hergestellt“ wurden, das heute Scharen von Touristen in das „mittelalterliche Kleinod“ anlockt. Auf eine recht interessante Einteilung von Positiv- und Negativthesen stellte Horst F. Rupp die Tradition einer Reichsstadt dar und beantwortete die Frage, was dies für Rothenburg zwischen reichsstädtischer Herrlichkeit und dem Versagen im Dritten Reich bedeutet. So mancher Teilnehmer mochte den Eindruck gewinnen, dass die negativen Beleuchtungen des Themas überwogen – mit Recht.

Dr. Naser, Vorsitzender des Vereins Alt-Rothenburg

Dr. Naser, Vorsitzender des Vereins Alt-Rothenburg

Für Kenner der Rothenburger Verhältnisse mit Insider-Wissen wurde der Vortrag des neuen Vorsitzenden des Vereins Alt-Rothenburg, Markus Naser, mit Spannung erwartet.  Er berichtete über den Umgang des Vereins mit der NS-Geschichte. Das Auditorium wurde nicht enttäuscht. Naser gab einen Überblick über die umfangreichen publizistischen Tätigkeiten des Vereins und sein Wirken in der Öffentlichkeit. Immer wieder wurde und wird der Verein Alt-Rothenburg mit der Kritik konfrontiert, sich zwischen 1933 und 1945 als „Multiplikator der NS-Ideologie“ (Daniel Bauer) angedient zu haben, und sich nach dem  Krieg bis heute dazu nicht bekannt zu haben. Markus Naser, der junge neue Vorsitzende, bekannte sich dazu und versprach, die Lücke zu schließen. Das brachte dem Verein sofort neue Mitgliedsanträge ein.
Das abendliche Generationengespräch „Blicke auf Rothenburg: Geschichts-/Filmarbeit“
mit allen Tagungsteilnehmenden mit Moderation von Ditz Schroer brachte wohl nicht den gewünschten Erfolg. Die Fragen forderten sehr persönliche Antworten, die in der Runde nicht jeder geben wollte. Oder lag es an der Hitze des Tages, an den abendlichen Konzentrationsdefiziten oder einfach nur am Thema. Das sei dahingestellt.

IV. Vergangenheit und Zukunft (Sonntag)

Buchtitel Michael Kamp über den Tourismus

Buchtitel Michael Kamp über den Tourismus

„Über die Schwierigkeiten im Umgang mit der Schuld“ sprach der Journalist Wolf Stegemann, der seit 35 Jahren u. a. dieses Thema in verschiedenen Städten aufgearbeitet hat. Für Rothenburg seit 2013. Hier wurde schon früh, vier Jahre nach dem Krieg, mit dem Satz der Lokalpolitiker „Vergeben und vergessen“ im wieder erschienenen Fränkischen Anzeiger ein Schlussstrich gesetzt. Stegemann erzählte aber auch davon, dass in den letzten Jahren die zwölf Jahre der Schuldanhäufung doch noch in das Blickfeld der politischen Stadt gerückt sei, wie Stolpersteine, Woche der jüdischen Kultur, Ehrentafel für einen in Rothenburg erschossenen Deserteur, Umbenennung 2015 der bis dahin nach dem NS-Ministerpräsidenten Siebert genannte Straße u. a.
Michael Kamps bebilderter Vortrag „Die Stadt und der Tourismus: Geschichte einer Wechselbeziehung“ zeigte auf, wie Rothenburgs touristische Seite entdeckt wurde und wie Wunschbild und Wirklichkeit bis heute aneinanderstießen und stoßen. Der Tourismus blühte im Dritten Reich durch die NS-Urlaubsorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF) auf und es gelangte – wie häufig bundesweit in den Zeitungen geschrieben wird – die Stadt Rothenburg danach zu ihrer Bestimmung, nämlich japanische und amerikanische und neuerdings chinesische Touristen zu empfangen, „die sich von Januar bis Dezember am weihnachtlichen Ambiente erfreuen“ – einschließlich der Stadtkämmerer.

Schlussgespräch. Auf dem Podium v. l.: Thilo Pohle, Dietz Schroer, PD Dr. Edith Raim, Michaewl Kampe M.A., Wolf Stegemann, Hanns-Jürgen Berger, Dr. Oliver Gußmann, Dr. Markus Naser und Prof. Dr. Rupp, Dr. Ulrike Haerendel

Podium v. l.: Thilo Pohle, Dietz Schroer, PD Dr. Edith Raim, Michael Kamp M.A., Wolf Stegemann, Hanns-Jürgen Berger, Dr. Oliver Gußmann, Dr. Markus Naser, Prof. Dr. Rupp und Dr. Ulrike Haerendel

Die zwölf NS-Jahre in der 800-jährigen Stadtgeschichte sind zu beachten

Die anschließende Abschlussdiskussion mit den Referenten zeigte, wie die Tagungsleiterin Dr. Ulrike Haerendel auch sagte, dass Rothenburg nicht nur überall auf der Welt bekannt sei, sondern die Stadt lade auch in besonderem Maß zur Identifikation ein. Dass es dabei zu bequem wäre, sich nur auf das schöne Stadtbild zu beziehen, machte die Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing in der Tagungsstätte Wildbad deutlich. Von einigen Teilnehmern und Referenten wurde Kritik laut, dass zu wenige Jugendliche und vor allem Schüler nicht teilgenommen hätten, und dass auch kein offizieller Vertreter der Stadt ein Grußwort sprach. So entstand der Eindruck, dass an der Rothenburger NS-Geschichte von außerhalb mehr Interesse entgegengebracht wurde als von den Rothenburgern selbst. Das mag Gründe haben, welche auch immer. Sie liegen aber nicht beim Veranstalter und auch nicht am Tagungsprogramm, wie an der guten Resonanz von Tagungsteilnehmer sichtbar. Das Thema der Tagung passe in Rothenburg wie „A… auf Eimer“ sagte ein Teilnehmer wenig vornehm, aber treffend. Denn es ist Zeit, dass Rothenburg nicht nur auf seine 800 Jahre Stadtgeschichte mit Bauernkrieg, Luther, Riemenschneider und Dreißigjährigen Krieg sowie seine Touristen schaut, sondern auch auf die dazugehörenden zwölf Jahre Nationalsozialismus. Denn in Rothenburg gibt es neben Touristen auch noch die eingesessenen Bewohner, Schüler und Jugendliche. Und es geht nicht darum, Geschehenes und Vergangenes zu richten, sondern, um Lehren für die Zukunft zu ziehen. Denn die nachfolgenden Generationen der damaligen Täter haben die Verantwortung für die Erinnerung.

Reaktionen, Kritiken und ein mitgehörtes Gespräch danach

Wie bereits erwähnt, machte sich die Kritik hauptsächlich daran fest, dass keine Schüler und kaum Jugendliche an der Tagung teilgenommen hatten, für die auch die Tagungsgebühr von 60 Euro zu hoch gewesen wäre. Mag sein. Allerdings räumte die Akademie Tutzing, wie auf den Einladungsflyern steht, Auszubildenden, Schülern und Studenten bis zum 30. Lebensjahr eine 50-prozentige Ermäßigung ein. Die Lokalzeitung – wie auch andere Medien – berichteten im Vorfeld ausführlich über die Tagung, die sowohl im Rathaus bekannt war wie auch in den Lehrerzimmern der Schulen. Wenn sich da nichts tat, lag es sicherlich nicht am Unwissen über die Tagung.

Fränkischer Anzeiger vom ..... (Ausriss)

Rothenburger Lokalzeitung “Fränkischer Anzeiger” vom 28. Juni 2016  (Ausriss)

Lokalzeitung stellte Kritik in den Vordergrund ihrer Berichterstattung

Der „Fränkische Anzeiger“ berichtete zwei Tage nach der Veranstaltung. Unter der Frage- und Feststellung im Titel „Eine Kultur des Verdrängens? Kritik an der Stadtpolitik bei der Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing im Wildbad“ setzte die Zeitung die Kritik in den Vordergrund. Die Zeitung zitierte den Referenten Prof. Dr. Rupp, dass er es als „ein bisschen schockierend“ empfand, dass sowohl die „Stadtpolitik als auch die Stadtkultur und neben den Medien weitere wichtige Bereiche gänzlich durch Abwesenheit glänzten“. Zudem stellte die Zeitung aufgrund der kurzen Schlussdiskussion fest, dass die Ziele der Tagung, die Bearbeitung der Vergangenheit in Gang zu bringen und Fragen für die Zukunft zu beantworten, „eindeutig nicht erreicht“ wurden. Wer die Tagung miterlebt hatte – und nicht nur die halbe Stunde Abschlussdiskussion – der kommt sicherlich zu einer anderen Einschätzung, wie die anonym abgegebenen Bewertungsbogen der Teilnehmer auch zeigen. Der 30-jährige Kreisheimatpfleger für Vor- und Frühgeschichte im Altlandkreis Rothenburg, Mathias Probst, schrieb nach der Tagung an die Herausgeber dieser Online-Dokumentation „Rothenburg unterm Hakenkreuz“ u. a.: „Ich bedanke mich für Ihre Beteiligung am letzten Wochenende und möchte die Veranstaltung durchaus als Erfolg bewerten, zumindest für mich als Teilnehmer waren die Beiträge stets spannend und aufschlussreich…“

Wo blieben Schüler, wo blieb die Jugend?

In einem Leserbrief schrieb der Jugendbildungsreferent des Erzbischöflichen Jugendamtes Ansbach und Teilnehmer der Tagung, Jochen Ehnes, u. a.:

„(…) Und wenn ,die Jugend’ überhaupt Interesse hätte am Thema, wäre die Form (Frontalvorträge mit und ohne mehr oder weniger guter elektrischer Bebilderung über Beamer und Powerpoint) nicht die gewesen, die Jugendliche ,packt’. … Da sind andere Dinge wichtig: Erwachsen werden oder eine Ausbildung anfangen, die zu einem passt, oder nach der Schule das echte Leben kennenlernen, den Sinn des Lebens finden…“

Da mag er Recht haben. Denn es war die Tagung einer Akademie, deren akademisch getragenes Konzept von den Tagungsteilnehmern ein gewisses Hintergrundwissen abverlangt. Es war keine Informationsveranstaltung für Schüler. Das wurde in der Abschlussveranstaltung auch so erkannt, denn nun wollen sich Rothenburger Institutionen darum bemühen, dem Thema eine breitere Öffentlichkeit zu geben. Ein Erfolg der Tagung. Hier ist Rothenburgs städtische Kultur gefragt, die dem Tourismusbüro untergeordnet ist, wie das Stadtarchiv auch, der Verein Alt-Rothenburg, der Verein der Stadt- bzw. Gästeführer (früher Fremdenführer), das Bildungswerk der Kirche und die Herausgeber von „Rothenburg unterm Hakenkreuz“, um gemeinsam ein Konzept auszuarbeiten und umzusetzen, wie das inzwischen vorhandene Wissen über die Nazi-Zeit in Rothenburg eine breitere Öffentlichkeit und somit auch Eingang in die Schulen finden könnte. Der Wille, dies zu tun, wurde bereits von der Stadt sowie den anderen Beteiligten geäußert.

Ein mitgehörtes Gespräch am 30. Juni 2016, 11.45 Uhr am Marktplatz

Natürlich haben sich auch Kritiker aus dem rechten Spektrum gemeldet, die mit Allgemeinplätzen reagierten. Darauf gehen wir hier nicht ein, weil wir ihnen kein Forum bieten wollen.
Ein vom Verfasser unabsichtlich gehörtes Gespräch zwischen drei älteren Männern wollen wir hier wiedergeben. Man kann darüber nur den Kopf schütteln, man kann sich aber auch fragen, ob nicht noch mehr so denken: Die drei Herren saßen auf einer Steinbank vor dem Gebäude der Ratsherrentrinkstube und sprachen über den Tagungs-Bericht im „Fränkischen Anzeiger“. Der Mithörer stand rein zufällig daneben und wurde hellhörig, als er das Wort „Jude“ hörte.

Einer: „Was die immer häwe mit dem Jude-Zeigs, des wolle mer nit häre. Des wor ja a net sou, wie’s heit gsocht wird. Die Jude häwe der Stadt nie guet doa. Desweche musste sie ja a wech und sind ja selber wech gange. Die solle froh sei, das… (nicht verstanden).
Ein anderer: Denne hat doch kaaner was doa. Des is doch alles a Liech, do stecke doch die Jude selber dahinter…
Auf gut Deutsch: Einer: Was die immer haben mit dem Juden-Zeugs, das wollen wir nicht mehr hören. Das war ja auch nicht so, wie es heute gesagt wird. Die Juden haben der Stadt nie gut getan. Deswegen mussten sie ja weg und sind ja selber weg gegangen. Die sollen froh sein, dass … (nicht verstanden). Ein anderer: Denen hat doch keiner was getan. Das ist doch alles eine Lüge, da stecken doch die Juden selbst dahinter.

Siehe auch die Vorträge der beiden Herausgeber dieser Online-Seite:

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Unter den über 450 Artikeln in „Rothenburg unterm Hakenkreuz“ haben wir einige ausgewählt, die zu den in der Tagung vorgetragenen Themen weiterführend Information geben. Über das themengeordnete Inhaltsverzeichnis sind weitere Artikel zu finden. 

Zum Tagungsort selbst

Wildbad: Sanatorium, Luxushotel, Lazarett, HJ-Musikschule, US-Truppenunterkunft, UNRRA-Camp, Polizeischule, „Residenz der Erleuchtung“, Tagungszentrum der Ev. Kirche

Tourismus

Rothenburg ob der Tauber – Romantiker küssten die Stadt aus dem Dörnröschenschlaf, seitdem beleben Touristen Gassen und Plätze. Ein Blick in die Geschichte

Literaten und Dichter entdeckten Rothenburg immer wieder neu. Heute gibt es erfreuliche Tabubrüche. Der Versuch eines unvollständigen Überblicks des Schöngeistigen

Festspiel „Der Meistertrunk“ – NSDAP 1940: Nusch war bereits nationalsozialistisch gesinnt! Oberbürgermeister Hörner 1950: „Rothenburg ohne Festspiel nicht denkbar!“

Verein Historischer Schäfertanz: Sie tanzten vor dem Bischof von Canterbury und vor Nazigrößen in Hamburg, wo Theodor Schletterer zum Tee bei Joseph Goebbels eingeladen war

NS-Reiseveranstalter „Kraft durch Freude“ organisierte den Massentourismus und schickte Sonderzüge und Busse aus dem ganzen Reich nach Rothenburg

Nationalsozialismus in Rothenburg

In Rothenburg stieg die Zustimmung zum Nationalsozialismus stetig an. Von der sozialdemokratischen über die rechtskonservativen zur nationalsozialistischen Vorzeige-Stadt

Gleichschaltung I: Mit Sieg-Heil und Begeisterung ließen sich Vereine im Sinne der NS-Ideologie gleichschalten – Mitglieder mussten arischer Abstammung sein

Rothenburg im Jahr 1933 – Mit der Machtübernahme änderte die Stadt auch optisch ihr Gesicht: Hakenkreuzfahnen, braune Uniformen, Fackelzüge und das übliche NS-Gedröhn

Who’s who im nationalsozialistischen Rothenburg o. d. Tauber

Ortsgruppenleiter und Lehrer Fritz Götz ohrfeigte auf offener Straße die Haushaltshilfe der jüdischen Familie Wimpfheimer und beschimpfte sie als „Judenmatz“

Mit Pathos, Pomp und Propaganda feierte die Rothenburger NSDAP ihren zehnjährigen Kampf – auch mit einer Ausstellung. Die Zeitung schrieb: Eine von Gott gestellte heilige Aufgabe

Euthanasie IV: Der Rothenburger geistig behinderte Junge Bernhard, neun Jahre, kam 1940 in die Heil- und Pflegeanstalt Bruckberg. Ein Jahr darauf war er tot

Sondergericht (15): „Göring ist auch kein Gescheiter“ – dafür musste der Gastwirt Leonhard Schmidt 1945 fünf Monate ins Gefängnis. Und ein weiterer Fall aus Detwang

Jüdische Gemeinde

Die jüdischen Bürger Rothenburgs – Eine Übersicht

Alexander Kann: seine Bank, seine Familie, seine Geschäfte – Ein Lebensweg von Oberzell über Rothenburg ob der Tauber, Sandhausen, Essen und Paris bis Auschwitz

Lebensstationen der Rothenburger Familie Mann: Ermetzhofen, Rothenburg ob der Tauber, London, Argentinien, Sydney, New York, Chula Vista und Sausalito in Kalifornien

Brutale Rothenburger SA-Männer überfielen in der Nacht zum 27. März 1933 die jüdische Familie Mann in ihrem Haus – Es wurde geschlagen und geschossen

Antisemitismus IV: Rothenburger Juden wurden noch vor dem Pogrom im November 1938 aus der Stadt getrieben. Ihre Spuren führen nach Auschwitz, Riga, Theresienstadt

Freudentag nach der Vertreibung von 1938: „Nie wieder wird ein Jude nach Rothenburg zurückkehren.“ Der „Fränkische Anzeiger“ berichtete

Judengasse in Rothenburg – Schweigen und Staub legten sich auf die Häuser. Ein wichtiges Kulturdenkmal aus dem Mittelalter wurde endlich vor dem Verfall gerettet

„Jeder Stein ein Leben“ – Rothenburger Bürger erinnerten mit Stolpersteinen an die Vertreibung und das Leiden der Juden in der Tauberstadt

70 Jahre danach: Das Evangelische Bildungswerk Rothenburg erinnerte an die brutale Vertreibung der jüdischen Bürger 1938

Kriegsende, die Verbrechen von Brettheim und die Erschießung Rößlers

Kriegsende (I): Sechs US-Parlamentäre forderten die kampflose Übergabe. Die GIs wurden von Bürgern angespuckt. William Dwyer von „Stars & Stripes“ war dabei

Blick nach Brettheim I: In den letzten Kriegstagen ließen SS-Schergen Zivilisten hinrichten. Nachkriegsgerichte waren noch der NS-Vergangenheit verhaftet

Blick nach Brettheim II: „Am Grabe der Opfer von Brettheim“ – Eine kommentierende Betrachtung des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg im Jahr 1962

SS-Standgericht verurteilte den Rothenburger Johann Rößler in seiner Heimatstadt wegen Defätismus zum Tode – Exekution in Dunkelheit auf dem Friedhof

Frühes und spätes Nachkriegs-Rothenburg

NSDAP-Mitglieder mussten 1945 für Flüchtlinge Kleidung und Leibwäsche abgeben – Emilie Meißner, Frau des NS-Landrats, verlangte 13 Jahre später von der Stadt Entschädigung

Neubeginn des „Fränkischen Anzeigers“ in einer Atmosphäre des „Vergebens und Vergessens“ am 1. September 1949

Wiedergutmachung (10): US-Bürger John M. Friedle stellte 1948 Rückerstattungsantrag, um die vom Finanzamt abgepressten Häuser wieder zu bekommen. Die Witwe hatte wenig Erfolg

Rechtsruck in den 1950er-Jahren II: Die Stadtrats- und Bürgermeisterwahl 1952 brachten in Rothenburg Altnazis wieder in Amt und Würden

Dieter Balbs Artikelserie im „Fränkischen Anzeiger“ brachte 1983 erstmals Erkenntnisse über den Nationalsozialismus in Rothenburg – eine Pioniertat

Tagung der Bundeskadetten 1981 in Rothenburg brachte dem Bürgermeister und Volksschullehrer Fritz Gehringer Verdruss, weil er auf seine SS-Vergangenheit stolz war

Bernhard Gehringers Rothenburger Familiensaga aus der NS-Zeit – Die Liebesgeschichte seiner Eltern im Schatten der nationalsozialistischen Propaganda

Der Verein Alt-Rothenburg tut sich immer noch schwer, seine Tätigkeit während der NS-Zeit zu erforschen und frei von Relativierungen zu veröffentlichen – dies täte Not

Der letzte Nazi verschwindet 2015 von den Straßenschildern in Rothenburg – Chronologie und Dokumentation einer längst überfälligen Umbenennung

Flucht vor der Geschichte – Täter erklärten sich zu Verführten, Mitläufer zu Opfern: Warum die Deutschen so lange brauchten, bis sie sich ihrer NS-Vergangenheit stellten

Eine nicht ganz einfache Betrachtung über das Verdrängen und Verschweigen – und wie nach 1945 damit umgegangen wurde – am Beispiel der Jubiläumsbroschüre 700 Jahre Rothenburg

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