Sondergericht (15): „Göring ist auch kein Gescheiter“ – dafür musste der Gastwirt Leonhard Schmidt 1945 fünf Monate ins Gefängnis. Und ein weiterer Fall aus Detwang

Von Wolf Stegemann

Als sich im Juni 1944 in der Rothenburger Gaststätte des 73 Jahre alte Gastwirts Leonhard Schmidt mit dem 77-jährigen Bauer Friedrich Hirsch aus Gattenhofen unterhielt, hörte ein weiterer Gast zu. Das war Leonhard Junker. In dem Gespräch zwischen Schmidt und Hirsch ging es um Schwierigkeiten, in die manche bäuerlichen Familien kämen, wenn der einzige bauernfähige Erbe den „Heldentod“ stürbe. Dabei wurde gesagt:

„An der Regierung sei sehr viel faul, nach Röhm, Heß und Streicher seit es auch mit Göring nicht in Ordnung. Göring sei auch kein Gescheiter, das seien alle Leute ohne Erfahrung. Früher seien die Bauern Herr über ihre Höfe gewesen, seit dem Erbhofgesetz aber sei, insbesondere im Hinblick auf die vorgeschriebene Erbfolge, eine Verstaatlichung der Landwirtschaft eingetreten. Die Ernährung sei unzureichend, sie lange hinten und vorn nicht mehr und seit dem Verlust der Ukraine werde es noch schlechter. Die Eltern dürften heute die Kinder aufziehen und dann nehme sie der Staat ihnen weg. Die Nazi würden immer predigen, der Jugend gehöre die Zukunft, aber wie solle die Zukunft aussehen, wenn die Jugend jetzt erschossen und ermordet werde.“

Strafverfolgung vom Reichsjustizministerium angeordnet

Es kam zur Denunziation. Leonhard Schmidt sagte bei der Polizei aus, dass er das alles gar nicht so gesagt und schon gar nicht gemeint habe. Der Zeuge Junker, dem eine begrenzte Urteilsfähigkeit attestiert wurde, habe bei der Polizei allerdings „bestimmte klare Aussagen“ gemacht, wie der Rothenburger Revieroberleutnant Drossel (manchmal wird er auch Droßel geschrieben) bei der Hauptverhandlung des Sondergerichts am 2. Februar 1945 als Zeuge zu Protokoll gab. Die Äußerungen Schmidts über das Erbhofrecht wurden vor Gericht nicht weiter verfolgt, weil sie „nicht über den Rahmen besorgter Erörterungen“ hinausgegangen seien.

„Dagegen  enthalten die Äußerungen über den Reichsmarschall und die über die Jugend eine sehr abfällige Tendenz gegenüber dem Nationalsozialismus. … Er griff damit führende Männer des Reiches unmittelbar an. Aus diesen Äußerungen des Angeklagten spricht eine niedrige Gesinnung. Der Angeklagte Schmidt hat sich daher eines Vergehens gegen das Heimtückegesetz schuldig gemacht. Die Strafverfolgung ist angeordnet. Dem angeklagten Hirsch kann, wenn er auch verdächtig bleibt, die Beteiligung an der Straftat nicht nachgewiesen werden.“

Zugunsten von Leonhard Schmidt bewertete das Sondergericht ihn nicht als Staatsfeind. Da er bislang weder politisch noch kriminell aufgefallen war und sich „im Leben auf seinem Platz bewährte“, seine „nörgelnde Art eine Folge seines Alters“ sei, er an Herzmuskelentartung und an erhöhtem Blutdruck leide und eine seelische „Veränderungen im Greisenalter“ mitmache, hielt das Gericht unter Vorsitz von Landgerichtsdirektor Dr. Ferber und die beisitzenden Richter Oberlandesgerichtsrat von Axthalb und Landgerichtsrat Dr. Hoffmann fünf Monate Gefängnis als Sühne für ausreichend. „Da der Angeklagte, soweit er überführt ist, geständig ist, ist es billig, die Strafe als durch die Untersuchungshaft verbüßt gelten zu lassen.“ Der Angeklagte Friedrich Hirsch wurde wegen mangels Nachweises einer Schuld freigesprochen.

Fall 2:
Denunzierung Friedrich Ohrs in Detwang als Rachakt gewertet

Tatort: Kirche Peter und Paul in Detwang

Tatort: Kirche Peter und Paul in Detwang

Statt einer verwirkten Gefängnisstrafe von einem Monat wurde der 52-jährige Rothenburger Schmiedemeister Friedrich Ohr wegen eines Vergehens gegen das Heimtückegesetz am 17. November 1941 vom Sondergericht Nürnberg zu einer Geldstrafe von 90 Reichsmark verurteilt. Über ihn saßen als Vorsitzender Landgerichtsdirektor Oeschey sowie die Beisitzer Landgerichtsrat Dr. Hofmann und Amtsgerichtsrat Groben zu Gericht. Staatsanwalt war Dr. Hofmann II.
Wagnermeister Bach aus Detwang, mit dem Ohr eng zusammengearbeitet hatte, erstattete Ende Juli 1941 bei der Polizei Anzeige. Er sagte aus, dass Friedrich Ohr am Sonntag, den 22. Juni 1941, dem Tag des Beginns der Feindseligkeiten mit Russland, gegen 9 Uhr in der Detwanger Kirche gegenüber dem Schreinermeister Roth sich staatsabträgliche Äußerungen zuschulde kommen ließ. Ohr soll gesagt haben: Ich will nur wissen, was die Russen noch machen. Bach habe darauf erwidert, dass sich Deutschland ab heute im Kriegszustand befände, denn Dr. Goebbels habe heute früh eine Proklamation des Führers verlesen. Darauf hätte Friedrich Ohr, so Bach bei der Polizei und später vor Gericht, mit beiden Armen um sich schlagend gesagt:

„Vom Goebbele, vom Goebbele, wenn ich nur was höre, das sind lauter Lumpen und Spitzbuben da droben. Das hat man an Heß und Streicher gesehen.“

Vor Gericht bezeichnete Friedrich Ohr als Angeklagter die Anzeige als Rachakt, dessen Grund in den geschäftlichen Spannungen liege. Nicht er habe das Gespräch vor der Kirche angefangen, sondern Bach, der behauptet habe, die Russen hätten den Deutschen den Krieg erklärt. Daraufhin hätten er und Roth sich ungläubig angesehen und Bach seine Behauptung durch den Hinweis erhärtet, Dr. Goebbels habe dies im Rundfunk erklärt. Daraufhin, so Ohr, habe er zu Bach und Ohr gesagt: „Von dem Goebbels wenn ich nicht so viel höre, ist mir lieber.“ Friedrich Ohr sagte vor Gericht weiter aus, dass Dr. Goebbels ihm nicht sympathisch sei.

Dem Denunzianten wurde vom Gericht nicht geglaubt

Vor Gericht wiederholte Bach seine Aussage, die er vor der Polizei gemacht hatte, legte aber den Zusatz „das habe man an Heß und Streicher gesehen“ dem Roth in den Mund. Als das Gericht Bach vorhielt, sich zu widersprechen, „brachte der Zeuge vor, er habe sich die Ohr’schen Äußerungen sogleich in der Kirche aufgeschrieben und auf Grund dieser Notizen den Sachverhalt zuhause schriftlich niedergelegt.
Das Gericht bewertete Bachs Anzeige als offensichtlichen Racheakt und die Aussagen des Zeugen Roth, die Bach widersprachen, als glaubhaft. „Infolgedessen erscheint die Aussage Bach offenbar unglaubhaft“ (Urteil). Damit waren die schwersten Vorwürfe gegen Friedrich Ohr unbewiesen geblieben. Geblieben war allerdings die Äußerung Ohrs „Von dem Goebbels wenn ich nicht soviel höre, ist mir lieber“. Das Gericht bewertete diese Äußerung als „Verächtlichmachung des Reichsministers Dr. Goebbels“. Die Äußerung habe sich aber in einem bescheidenen Rahmen gehalten:

„Sie besagt nichts anderes, als dass dieser ein Mann sei, den man nicht ernst nehmen solle und auf dessen Reden man nichts geben könne. Auch auf den Führer, der sich mit solchen Männern umgibt, wirft sie ein schiefes Licht. In diesem Sinne ist sie durchaus geeignet, das Vertrauen des Volkes in Dr. Goebbels und den Führer zu erschüttern. Das der Angeklagt keinen Anlass hatte, sich an der Person des Dr. Goebbels zu reiben, ist sie auch böswillig.“

Richter verhängten eine glimpfliche Strafe

Das Sondergericht verhängte die relativ bescheidene Strafe von einem Monat Gefängnis und milderte sie in eine Geldstrafe in Höhe von 90 RM um.

„Das Gericht nimmt an, dass es genügt, wenn dem Angeklagten mittels einer Geldstrafe vor Augen geführt wird, dass er besonders im Kriege Disziplin zu wahren und ungerechtfertige Kritik an führenden Persönlichkeiten zu unterlassen hat.“

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Quellen: Staatsarchiv Nürnberg, Bestand: Anklagebehörde bei dem Sondergericht Nürnberg, Nr. 2750 (Schmidt), Nr. 1296 (Ohr).
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