Sondergericht (16): Drei Fälle von Verbrechen bzw. Vergehen gegen die Kriegswirtschaftsverordnung und Verbrauchsregelungsstrafverordnung – Geldstrafen und Zuchthaus

Bezugskarten für alles: Fleisch, Kleidung, Lebensmittel u. a.

Bezugskarten für alles: Fleisch, Kleidung, Lebensmittel u. a.

Von Wolf Stegemann

 „Die Sicherung der Grenzen unseres Vaterlandes erfordert höchste Opfer von jedem deutschen Volksgenossen. Der Soldat schützt mit der Waffe unter Einsatz seines Lebens die Heimat. Angesichts der Größe dieses Einsatzes ist es selbstverständliche Pflicht jedes Volksgenossen in der Heimat, alle seine Kräfte und Mittel Volk und Reich zur Verfügung zu stellen und dadurch die Fortführung eines geregelten Wirtschaftslebens zu gewährleisten. Dazu gehört vor allem auch, dass jeder Volksgenosse sich die notwendigen Einschränkungen in der Lebensführung und Lebenshaltung auferlegt.
Der Ministerrat für die Reichsverteidigung verordnet daher mit Gesetzeskraft:
Abschnitt I – Kriegsschädliches Verhalten
§ 1 Abs. I: Wer Rohstoffe oder Erzeugnisse, die zum lebenswichtigen Bedarf der Bevölkerung gehören, vernichtet, beiseite schafft oder zurückhält und dadurch böswillig die Deckung dieses Bedarfs gefährdet, wird mit Zuchthaus oder Gefängnis bestraft. In besonders schweren Fällen kann auf Todesstrafe erkannt werden…“ (4. September 1939).

Fall 1:
Nichterfüllung der Abgabepflicht von Brotgetreide

Weil er durch Nichtablieferung von Brotgetreide und Verfütterung von Weizen gegen die „Verordnung zur Sicherstellung des Brotgetreidebedarfs“ verstieß, verurteilte das Sondergericht Nürnberg den Bauern Georg Holziger aus Erlbach am 4. März 1943 zu einer Geldstrafe von 300 Reichsmark ersatzweise 30 Tage Gefängnis. Vorsitzender Richter, Landgerichtsdirektor Dr. Ferner, und die Beisitzer, Landgerichtsrat Groben und Amtsgerichtsrat Dr. Pfaff, sowie Staatsanwalt Dr. Dorfmüller bewerteten die Tat als „Verbrechen gegen die Kriegswirtschaftsverordnung“.

Dem Bauern wurde zur Last gelegt, seiner Ablieferungspflicht hinsichtlich Roggen, Weizen und Gerste im Wirtschaftsjahr 1941/42 nicht nachgekommen zu sein. Anstatt der ihm aufgetragenen zehn Doppelzentner Roggen, 80 Doppelzentner Weizen und 27 Doppelzentner Gerste, lieferte Georg Holzinger lediglich jeweils sechs Doppelzentner Weizen und Gerste sowie 63 Doppelzentner Weizen ab.
Da die Ernte in angegebenen Wirtschaftsjahr besonders schlecht ausgefallen und infolge der außerordentlichen Strenge des Winters viel Getreide ausgewintert worden sei, was Zeugen bestätigten, konnte der Angeklagte nicht als „Kriegsschädling im Sinne der Kriegswirtschaftsverordnung“ betrachtet und ihm Böswilligkeit und Gefährdung der Bedarfsdeckung auch nicht unterstellt werden. Im laufenden Wirtschaftjahr 1942/43 hatte Georg Holzinger seiner Ablieferungspflicht vollauf genügt. Der Stabsleiter bei der Kreisbauernschaft sagte als Zeuge aus, dass man bei den zuständigen landwirtschaftlichen Stellen erstaunt gewesen sei, wie viel an landwirtschaftlichen Erzeugnissen der Angeklagte mit seiner Frau hergebracht habe. Das Gericht:

„Die Persönlichkeitsbewertung des Angeklagten war bei der Strafbemessung in den Vordergrund zu stellen. Eine Geldstrafe von 300 Reichsmark erachtete das Gericht als schuldentsprechende und ausreichende Sühne.“

Fall 2:
Zuchthaus für Erschleichen von Lebensmittelkarten

Sie wurde am 15. August 1944 zu der empfindlichen Haftstrafe von einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt und ihre „Ehrenrechte einer Deutschen“ auf die Dauer von zwei Jahren aberkennt.  Die 45-jährige Schlossersehefrau Marie G. hatte für eine nicht zu ihrem Haushalt gehörige Person sämtliche Lebensmittelkarten bezogen. Damit hatte sie sich eines Verbrechens gegen die Kriegswirtschaftsverordnung schuldig gemacht. Vorsitzender der öffentlichen Verhandlung war Landgerichtsdirektor Dr. Ferber, Beisitzer der Oberlandesgerichtsrat von Axthalb und Landgerichtsrat Dr. Hoffmann, Die Anklage vertrat Staatsanwalt Dr. Müller.
Das Ehepaar G. hatte drei Kinder, darunter einen 1944 neunzehn Jahre alt gewesenen Sohn, der 1939 als Koch-Lehrling im Hotel „Eisenhut“ anfing und – obwohl er zu Hause schlief – dort voll verköstigt wurde. Bei der Erfassung aller versorgungsberechtigten Personen in den Rothenburger Haushalten wurde deshalb auch sein Verpflegungsort zum Hotel zugerechnet.  Es wurden dort auch sämtliche auf ihn bezogene Lebensmittelkarten ordnungsgemäß bezogen. Die Mutter hat bei der Erfassung der versorgungsberechtigten Personen diesen Sachverhalt verschwiegen und für ihren Sohn Konrad sämtliche Lebensmittekarten bezogen, obwohl die auf ihn treffenden Karten schon an den Hotelier Pirner abgegeben wurden. Auch als ihr Sohn 1943 zum Reichsarbeitsdienst nach Scheinfeld eingezogen und er in die Gemeinschaftsverpflegung des RAD aufgenommen wurde, ließ sich die Mutter die Lebensmittelkarten für ihren Sohn weiter aushändigen.

Erschwindelte Lebenmittelkarten brachten Erleichterung für den Haushalt

Die Angeklagte entschuldigte ihr Verhalten damit, dass ihr die Tragweite ihres Handelns nicht bewusst gewesen sei und die Karten ihres Sohnes eine Erleichterung für ihren Haushalt waren. Das Gericht konnte in dieser Einlassung „in keiner Weise“ eine Entlastung sehen:

„Die kriegsbedingte Einschränkung des Bezuges von Lebensmitteln gilt für alle Volksgenossen. Wenn auch ihre Tat in erster Linie ein fortgesetztes Erschleichen ihr nicht zustehender Bezugsberechtigungen war, so erschöpft sich hier der strafbare Gehalt ihres Handelns nicht. Bei dem großen Ausmaß nämlich, in welchen sich die Angeklagte während der langen Zeitdauer bezugsbeschränkte Lebensmittel verschafft hat, war ihre Tat als ein Kriegswirtschaftsverbrechen zu bewerten. Böswillig hat sie gehandelt, weil sie erkennen musste und bei ihrer geistigen Reife auch erkannt hat, dass ihre Tat vom Standpunkte der Allgemeinheit aus betrachtet, eine verwerfliche war. … Die verwerfliche Einstellung der Angeklagten, der Umfang der Straftat und der Strafzweck der Abschreckung erforderten die Bestrafung mit einer Zuchthausstrafe. Als solche erschienen ein Jahr und sechs Monate Zuchthaus als schuldangemessen.“

Fall 3:
Über 800 Liter Benzin unrechtmäßig bezogen   

Als dem Firmeninhaber Fritz S., damals 41 Jahre alt, im November 1942 die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft bei dem Sondergericht Nürnberg zugeschickt wurde, war er Soldat in Posen. Mitbeschuldigte war die Rothenburger Tankstelleninhaberin Josefine P. Ihm wurde vorgeworfen, 1940 der öffentlichen Bewirtschaftung 882,5 Liter Benzin entzogen zu haben, indem er diese Menge Benzin ohne gültige Bezugsgenehmigung getankt hatte und Josefine P, wurde beschuldigt, ihm das Benzin unrechtmäßig ohne Bezugsschein verkauft zu haben. S. hatte ihr lediglich eine Bescheinigung vorgelegt, auf der stand, dass chemisch reines Benzin „für technische Zwecke“ bezugsscheinfrei abgegeben werden darf. Solches Benzin wurde für Reinigungszwecke verwendet, beispielsweise für Schreibmaschinen-Typen oder Fahrradketten. Fritz S. soll allerdings seinen Personenwagen, der als Behelfslieferwagen diente, mehrmals vollgetankt haben. Die Staatsanwaltschaft warf beiden Beschuldigten vor, dass sie wussten, dass er kein chemisch reines Benzin tankte, und ihr dies bewusst gewesen sein musste, denn sie führte ein solches Benzin an ihrer Nebenerwerbszapfsäule in der Herrngasse überhaupt nicht. Die Staatsanwaltschaft wertete dieses Verhalten als „fortgesetztes Verbrechen gegen die Kriegswirtschaftverordnung“ und klagte an. Das Sondergericht ließ die Klage zu und setzte den Termin der Hauptverhandlung auf den 26. November 1942, 11 Uhr, im Nürnberg-Fürther Justizgebäude an.

Ordnungsstrafbescheid über 3000 Reichsmark

Warum diese Verhandlung nicht stattfand, ist aus den nicht vollständig erhaltenen Akten nicht ersichtlich. Offensichtlich hat das Sondergericht Nürnberg seine Zulassung der Anklage wieder zurückgezogen, denn am 18. Januar 1944 erhielt Fritz Schneider einen Ordnungsstrafbescheid des Regierungspräsidenten über das Landwirtschaftsamt Fürth i. Bayern. Darin wird gegen Fritz S. eine Ordnungsstrafe von 3.000 Reichsmark und Zahlung der Verfahrenskosten in Höhe von 150 RM verhängt. Auf sechs Seiten begründet das Landwirtschaftsamt die Verfügung, geht darin auf die Einlassungen Schneiders und seines Anwalts, des Justizrats Adolf Bayer aus Ansbach („S. ist ein in Rothenburg sehr angesehener Mann“) manchmal zweifelnd, manchmal zustimmend ein. Schließlich kommt Dr. Graf vom Landwirtschaftsamt zur Bewertung der Tat:

„Damit hat er sich eines fortgesetzten Vergehens nach § 1 Abs. I Ziff. 1 der VRStVO [Verbrauchsregelungsstrafverordnung, seit 1941 in Kraft] in Tateinheit mit einem fortgesetzten Vergehen nach § 12 Abs. I Ziff 2 der Verordnung über den Warenverkehr schuldig gemacht. … Die Handlungsweise des Beschuldigten muss als besonders verwerflich bezeichnet werden. Um sich widerrechtlich in den Besitz von Benzin zu setzen, sollte die Zapfstelleninhaberin P. … getäuscht werden. Diese Täuschung ist auch gelungen und es ist Frau P. durch die Abgabe des Treibstoffs der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt worden.“

Gegen die Mitbeschuldigte Josefine P. wurde kein Ordnungsstrafverfahren eingeleitet, da ihre Einlassung, getäuscht worden zu sein und im besten Wissen gehandelt zu haben, nicht widerlegt werden konnte.

Es kam dann doch nicht zur Verhandlung vor dem Sondergericht

Fritz S. legte gegen die Strafverfügung Beschwerde ein und beantragte eine „gerichtliche Entscheidung“. Ihm musste danach bewusst geworden sein, dass er sich in einer Gerichtverhandlung vor dem Sondergericht in Nürnberg angesichts von 882 Liter erschlichenes Benzin sich wohl eine Zuchthausstrafe einhandeln würde. Daher nahm er seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung wieder zurück und zahlte die 3.150 Reichsmark auf das Postscheckkonto 7263 des Landwirtschaftsamts Fürth ein. Daraufhin wurde das Verfahren gegen den Rothenburger Firmeninhaber Fritz S. am 17. November 1944 eingestellt. – Zur Sache: 1941, als die Verbrauchsregelungsstrafverordnung in Kraft trat, wurden reichsweit 7.806 Urteile mit diesem Delikt gesprochen. 1942 waren es schon 18.645 Urteile, darunter befanden sich 4.863 Urteile gegen Frauen.

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Quellen: Staatsarchiv Nürnberg, Bestand: Anklagebehörde bei dem Sondergericht Nürnberg, Nr. 1827 (Fall 1), Nr. 254 (Fall 2), Nr. 1782 (Fall 3).

 

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