Ermittlungsverfahren der Polizei und Staatsanwaltschaft wegen Heimtücke (1): Unvorsichtige Bemerkungen am falschen Ort! – Drei Fälle aus dem Kreis Rothenburg

Tafel mit dem Hinweis, wo Rundfunkübertragungen des Führers zu hören sind

Tafel mit dem Hinweis, wo Rundfunkübertragungen des Führers zu hören sind

Von Wolf Stegemann

  • Vorbemerkung: Neben den in unseren Artikeln „Sondergericht“ 1 bis 16 dargestellten Fällen von Rothenburgern, die vor dem Sondergericht Nürnberg zur Anklage und Verurteilung kamen, gibt es im Bestand „Anklagebehörde bei dem Sondergericht Nürnberg“ in Staatsarchiv Nürnberg eine Anzahl von Akten, deren Fälle entweder nicht abgeschlossen wurden, weil Beschuldigte flüchtig waren, sie von der Gestapo ins KZ eingeliefert wurden oder Teile der Akten bei Kriegsende verloren gegangen sind. Wir stellen in dieser Artikelreihe einige dieser Fälle vor, die meist durch Denunziation oder Wahrnehmungen der Polizei über das Bezirksamt Rothenburg an die Sonderstaatsanwaltschaft beim Sondergericht Nürnberg-Fürth weitergeleitet wurden.

Fall 1: Ehemaliger Schillingsfürster SA-Mann flüchtete in die Schweiz

Adolf Paulfranz, Gendarmerie-Kommissar in Schillingsfürst, berichtet am 24. April 1933 dem für Polizei zuständigen Bezirksamt Rothenburg, dass bei einer Hausdurchsuchung am 22. April bei dem 32-jährigen Maurer Josef Baer ein Militär-Seitengewehr für Pioniere und mehrere Uniformteile der SA gefunden wurden. Baer war als Führer der Schillingsfürster SA-Spielmannstruppe und der SA-Stabswache Anhänger des von Hitler geschassten Schillingsfürster SA-Führers Wilhelm Stegmann (siehe dort) und Mitglied des von den Nazis verbotenen „Freikorps Franken“. Schon 1932 wurde Baer aus der SA ausgestoßen und am 20. Januar 1933 aus der NSDAP ausgeschlossen. Neben dem Seitengewehr wurden noch ein Stahlhelm, ein SA-Braunhemd, eine SA-Mütze, Koppelzeug und 2 Hosen gefunden. Wegen des Fundes wurde Josef Baer beschuldigt, die Gegenstände nicht abgeliefert zu haben, wie es gesetzlich die Pflicht gewesen wäre. Somit hatte er, so der Gendarmerie-Kommissar, gegen die Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933 verstoßen.

„Die bei der Hausdurchsuchung anwesende Ehefrau konnte keine Angaben machen. Baer selbst ist flüchtig und wurde vor einigen Tagen in der Schweiz festgenommen.“

Das Bezirksamt Rothenburg leitete die Polizeimeldung an die Amtsanwaltschaft beim Landgericht Ansbach mit dem Bemerken weiter, dass der Rothenburger Amtsanwalt in Verhandlungen mit Konstanz stünde, um Josef Baer aus der Schweiz wegen einer anderen Strafsache ausgeliefert zu bekommen. Baer saß in der Schweiz in Haft. Zuständigkeitshalber reichten die Ansbacher die Anzeige mit der Anmerkung „politisch“ an die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Nürnberg weiter. Gegen Josef Baer wurde vorsichtshalber Haftbefehl erlassen und Schutzhaft angeordnet. Wie es weiterging ist nicht bekannt.

Fall 2: Kritische Bemerkungen zum Wert des Geldes

Wegen eines Vergehens gegen die „Verordnung zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung und nationale Ergebung“ wurde der Rothenburger Georg Schletterer vom Gendarmerie-Kommissar Kriegbaum in Wettringen dem Rothenburger Stadtrat gemeldet. Kriegbaum ersuchte den Stadtrat, Schletterer einvernehmen zu lassen. Denn der Gendarmerie sei zu Ohren gekommen, dass der Beschuldigte die ländliche Bevölkerung durch kritische Bemerkungen über die Geldwirtschaft in Unruhe versetze und eine Inflation wahrscheinlich sei. Auszug aus der Anzeige des Polizisten:

„Am 29. Mai 1934 wurde ich von dem Altsitzer Georg Köhler von Oberöstheim gefragt, ob es wahr sei, dass unsre Mark im Ausland nur 3 bis 4 Pfennig wert sei. Nach Aufklärung des wahren Sachverhalts  habe ich Köhler gefragt, wer solchen Blödsinn verbreitet habe. Köhler gab mir folgendes an: Heute Mittag ist der Metzger Schletterer von Rothenburg (früher in Amerika) bei mir gewesen. Dabei hat dieser erzählt, das unsere Mark im Ausland nur 3 bis 4 Pfennig wert sei.’“

Polizeimeister-Hauptwachtmeister Hein von der „Schutzmannschaft Rothenburg ob der Tauber“ stellte in einem Schreiben an die Gendarmerie-Station Wettringen vom 11. Juni 1934 erst einmal den Namen des Beschuldigten als Schlötterer, 30 Jahre alt, richtig. In der Rödergasse Nr. 15 habe er eine Metzgerei. Der Wettringer Gendarm Kriegbaum ersuchte daraufhin die Rothenburger Polizei am 13. Juni:

Sie möge „den Einkassierer Dinkel von Bockenfeld über das stattgefundene Gespräch zwischen Köhler und Schletterer [die Wettringer blieben bei dem Namen Schletterer] einvernehmen und dessen Angaben anher mitteilen lassen zu wollen. Dinkel hat dem Gespräch zugehört.“

So geschah es. Hauptwachtmeister Schmidt von der Rothenburger Gendarmerie-Hauptstelle, berichtete nach Wettringen über die Einvernahme des Getreidehändlers Karl Dinkel aus Bockenfeld. Dieser konnte sich nicht an die Schlötterer vorgeworfenen Aussagen erinnern, lediglich daran, dass Schlötterer gesagt habe, er wolle seine Metzgerei nicht verkaufen, „denn er wisse nicht, wie es mit dem Geld noch gehe“. Dinkel sagte noch aus:

„Ob er gesagt hat, das Geld werde doch wieder kaputt oder sich noch kräftiger ausgedrückt hat, weiß ich nicht mehr. In diesem Zusammenhang hat er auch gesagt, dass unser Geld nur mehr 3 bis 4 Pfennig wert sei und dass wir sehr wenig Devisen habe, In den Äußerungen des Schlötterer habe ich nichts Unrechtes gefunden.“

Der Gendarm Kriegbaum aus Wettringen blieb weiterhin beharrlich bei dem Namen Schletterer und teilte am 9. Juli 1934 dem Amtsanwalt beim Amtsgericht Rothenburg mit, dass sich zwar auch Köhler nicht mehr an die Bemerkung erinnern könne, dass die Mark nur noch 3 bis 4 Pfennig wert sei und schrieb:

„Nach dem Geständnis des Schletterer und den Aussagen des Dinkel ist erwiesen, dass Schletterer gesprochen hat, dass unsere Mark im Ausland sehr schlecht stehe. Zweifellos hat Schletterer eine grob fahrlässige Behauptung aufgestellt, die geeignet ist, in der Bevölkerung Unruhe zu erzeugen.“

Der Amtsanwalt in Rothenburg reichte den Vorgang an die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Ansbach weiter, diese „zuständigkeitshalber“ am 10. Juli an die Staatsanwaltschaft beim Sondergericht Nürnberg-Fürth. Weiteres geht aus den Akten nicht hervor.

Fall 3: Nach der Führerrede im Radio diese als „Gschmu“ bezeichnet

Gegen den 82-jährigen Christian Assenbaum, Altsitzer in Stettberg, bahnte sich großer Ärger an, als er am 27. September 1938 vom Gendarmerie-Bezirksoberwachtmeister Johann Binder von Geslau beschuldigt wurde, gegen das Heimtückegesetz verstoßen zu haben. Dies brachte der NSDAP-Ortsgruppenleiter Hans Schwab bei der Polizei zur Anzeige. Christian Assenbaum wurde vorgeworfen, am 26. September, also einen Tag vor der Denunzierung, nach Schluss der Führerrede in der Wirtschaft Kurz in Stettberg sich abfällig über die Rede Hitlers geäußert zu haben. Mehrere Personen, die bei dem Gemeinschaftsempfang zugegen waren, machten darüber Aussagen. Das waren u. a. der Bürgermeister Leonhard Hautum aus Stettberg, der Landwirt Stöhr sowie der Ortsbauernführer. Bürgermeister Hautum gab bei der Gendarmerie an:

„Als die Führerrede und das Absingen der Deutschen Lieder beendet war, stand (Assenbaum) auf, um nach Hause zu gehen. Dabei musste er an mir, (und den Zeugen) Kurz und Stöhr, vorbei. Im Vorbeigehen sagte er laut, so dass es mehrere Anwesende hören konnten, ich kann das Gschmu gar nicht mehr anhören, da geh ich lieber ins Theater. Diese Äußerung, womit er die Rede des Führers meinte, hat unter den Anwesenden sofort lebhafte Empörung hervorgerufen und wenn Assenbaum nicht schon so alt wäre, hätte er bestimmt Prügel bekommen. Das Wort Gschmu bedeutet bei uns soviel wie Geschmus oder Geschwätz.“

Die Zeugen Michael Kurz (Gastwirt) und Georg Stöhr bestätigten die Aussagen des Bürgermeisters. Gendarmerie-Bezirksoberwachtmeister Johann Binder bewertet in seinem Bericht an das Bezirksamt Rothenburg auch die Persönlichkeit des Beschuldigten:

„Die angeführten Zeugen, sowie auch andere von mir befragte Leute erklärten, dass der Assenbaum ein alter Meckerer sei und diesem einmal eine empfindliche Strafe gebühre. Wenn er auch schon alt sei, so wisse er doch ganz genau, was er sage und was er wolle.“

Rothenburgs NSDAP-Kreisleiter Karl Steinacker nannte Christian Assenbaum in einem als „vertraulich“ gekennzeichneten Gutachten für das Bezirksamt Rothenburg am 7. November 1938 als „unverbesserlichen Kritikaster und Besserwisser.

„Der Volksmund nennt ihn Lügenmüller. Trotz seines hohen Alters lässt Assenbaum nicht von gemeinen Angriffen gegen die Bewegung ab. Heil Hitler!“

Bei seiner Vernehmung durch den Gendarmen Johann Binder gab Christian Assenbaum, der weder  Parteimitglied noch in irgendeiner anderen Parteiorganisation war, auf Vorhalt zur Sache an:

„Ich habe in der Zeitung gelesen, dass der Hitler am 26. 9. 38 abends im Radio spricht und bin daher zu dieser Zeit in die Wirtschaft kurz gegangen. Da das aber immer so laut geklungen und geschlagen hat, meinte ich, dass der Streicher oder irgendein anderer spreche und habe nach Schluss der Rede im Hinausgehen gesagt, dass ich das Gschmu nicht mehr länger anhören könne, ich gehe lieber einmal nach Nürnberg ins Theater, da höre ich was anderes. Ich weiß zwar, dass man so was nicht sagen soll, es ist mir aber halt so herausgerutscht. Wenn die Sache verhandelt wird, dann nehme ich mir schon einen Rechtsanwalt.“

Ob das notwendig war, ist nicht bekannt.

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Quellen: Staatsarchiv Nürnberg, Bestand: Anklagebehörde bei dem Sondergericht Nürnberg; Fall 1: Nr. 2817, Fall 2: Nr. 2948; Fall 3: Nr. 3655.

 

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