Rechtsruck in den 1950er-Jahren II: Die Stadtrats- und Bürgermeisterwahl 1952 brachten in Rothenburg Altnazis wieder in Amt und Würden

Rechtsruck-Wahlergebnis im "Fränkischen Anzeiger"

Rechtsruck-Wahlergebnis im “Fränkischen Anzeiger” vom 2. April 1952

Von Wolf Stegemann

Die Ergebnisse der Bürgermeister- und Stadtratswahlen des Jahres 1952 machen deutlich, wie stark der Rechtsruck in Rothenburg ob der Tauber gewesen war, den sowohl die Kommunalpolitik wie auch die Wählern wollten. Der Himmel quittierte das Geschehen an jenem Wahlsonntag, den 30. März 1952 mit einem lieblichen Sonnenschein. Noch am Samstag stürmte, regnete und schneite es. Dies ließ die Rats- und Bürgermeisterkandidaten nicht davon abhalten, an diesem Samstag noch einmal ihre politischen Thesen zugespitzt unters Wahlvolk zu bringen.

Der früherer NS-Bürgermeister Dr., Schmidt hatte mit Abstand das beste Wahlergebnis

Rothenburgs früherer NS-Bürger-meister Dr. Schmidt hatte mit Abstand 1952 das beste Wahlergebnis

Im vollbesetzten Bärensaal begrüßte der frühere Stadtamtmann Hans Wirsching von der „Freien Wählervereinigung Rothenburg“ (FWV) die Wähler und Kandidaten der Partei. Er rief die Anwesenden zu einem stillen Gedenken an die Bombardierung der Stadt am 31. März 1945 auf, bevor die Kandidaten letztmalig vor der Wahl zu Wort kamen. Das waren der Bürgermeister-Kandidat Hermann Ulmer aus Nürnberg sowie die Ratskandidaten Ernst Keller, Karl Keitel, Wilhelm Reingruber, Zimmermann, Heinrich Müller, Wilhelm Steiner, Dr. Rainer Schubert, Fritz Huhn und Franz Weber. Der Oberbürgermeister-Kandidat wurde von einer in dieser Frage der Aufstellung des Kandidaten abweichenden Gruppierung der Freien Wählervereinigung, die Freie Wählergemeinschaft; aufgestellt, die zusammen mit Wirtschaftsverbänden als Rechtsblock galt, so der „Fränkische Anzeiger“.  In Detwang versammelte die Deutsche Gemeinschaft (DG) ihre Kandidaten um sich. Dort sprach der Spitzenkandidat Dr. Fritz Schmidt, der bis 1945 noch Bürgermeister der Stadt und glühender Nationalsozialist war, anfangs dieses Wahlkampfes von 1952 sogar nominierter Bürgermeister-Kandidat der rechten DG. Wo sich die SPD und die KPD versammelten, ist hier nicht bekannt.

Heute wäre eine Wahlbeteiligung von 83,6 Prozent ein Traumergebnis

Gegen Dr. Lauterbach die Stichwahl verloren: Hermann Ulmer

Gegen Dr. Lauterbach die Stichwahl verloren: Hermann Ulmer

Die Wahlbeteiligung war trotz Konfirmationssonntag anderntags rege. Um 18 Uhr schlossen die Wahllokale. Um 22 Uhr konnte der „Fränkische Anzeiger“ in den Wirtshäusern ein „Extra-Blatt“ mit dem Bürgermeister-Wahlergebnis verteilen. Rechtsrat Dr. Erich Lauterbach (Überparteiliche Liste) und Rechtsanwalt Hermann Ulmer (Freie Wählergemeinschaft und Wirtschaftsverbände, Rechtsblock) erhielten die meisten Stimmen, mussten allerdings zur Stichwahl am 6. April antreten. Der amtierende Oberbürgermeister Friedrich Hörner (SPD) fiel durch. Von 7.481 Wahlberechtigen gaben bei der Oberbürgermeisterwahl 6.256 ihre Stimme ab. Das waren 83,6 Prozent. Friedrich Hörner erhielt 1.342 Stimmen (21,94 Prozent), Hermann Ulmer 2.071 Stimmen (33,86 Prozent) und Dr. Erich Lauterbach 2.702 (44,18 Prozent). Ulmer und Lauterbach mussten sich der Stichwahl am 6. April stellen. Daraus ging Lauterbach mit 3.339 Stimmen und somit als neuer Oberbürgereister der Stadt Rothenburg hervor. Rechtsanwalt Hermann Ulmer (CSU-Mitglied seit 1947) unterlag mit 2.024 Stimmen.

Wahl des 20-köpfigen Stadtrats

In den sieben Stimmbezirken wurden 6.115 gültige Wahlzettel abgegeben, auf denen insgesamt 108.766-mal gültige Kreuzchen gemacht wurden. Davon erhielt die SPD 25.507 Kreuze (5 Sitze), die KPD 2.082 (kein Sitz), die Deutsche Gemeinschaft 23.004 (4 Sitze), die Freie Wählervereinigung Rothenburg 46.844 (9 Sitze) und die Wählervereinigung der Heimatvertriebenen und Kriegsgeschädigten 11.329 Kreuze (2 Sitze).
Für die Freie Wählervereinigung wurden gewählt: Heinrich Müller (4.808 Stimmen), Karl Keitel (4.488), Franz Weber (3.962), Wilhelm Steiner (3.321), Dr. Rainer Schubert (2.974), Wilhelm Reingruber (2.772), Fritz Huhn (2.666), Hans Schlee (2.402), Martin Hachtel (2.363); Ersatzmänner: Ernst Keller, Michael Moll, Willibald Braun.
Für die SPD: Michl Emmerling (2.342), Friedrich Hörner (2.153), Georg Schadt (1.994), Eduard Friedlein (1.827), Adolf Bohn (1.853); Ersatzmänner: Hans Gehring, Johann Herrscher, Leonhard Rupp.
Für die Deutsche Gemeinschaft: Dr. Fritz Schmidt (6.999), Friedrich Zidan (3.238), Christian Wurzrainer (3.075), Georg Schmidt (1.943); Ersatzmänner: Siegfried Wobst, Friedrich Neubert, Fritz Fester.
Für die Wählergruppe der Heimatvertriebenen und Kriegsbeschädigten: Alois Kresta (2.038), Richard Gaudi (1.763); Ersatzmänner bzw. Ersatzfrau: Gerhard Köbe, Gertrud Klatt, Ferdinand Hanl sen.

Ein überaus kompliziertes Auswertungssystem

Das System der Sitzverteilung war damals mit den Stimmen schwierig zu berechnen. Die Gemeindewahlordnung war 1952 neu und die Vorschriften und das Auswertungssystem äußerst kompliziert. Die Sitze wurden auf die Wahlvorschläge nach dem Verhältnis der Gesamtszahlen der gültigen Stimmen verteilt, welche für die in den einzelnen oder verbundenen Wahlvorschlägen aufgestellten Bewerber abgegeben wurden. Die einem Wahlvorschlag zugefallenen Sitze wurden den darin enthaltenen Bewerbern in der Reihenfolge ihrer Stimmenzahl zugewiesen. Das Verfahren war so kompliziert, dass es sicherlich nur Fachleute nachvollziehen und erklären können. Das schrieb jedenfalls damals der „Fränkische Anzeiger“.

Im Braunhemd und Bürgermeisterkette: Dr. Lauterbach, Rothenburgs neuer OB war in Oggersheim NS-Bürgermeister (Bildmitte hinten)

Im Braunhemd und Bürgermeisterkette: Dr. Lauterbach, ab 1952 Rothenburgs neuer OB, war in Oggersheim NS-Bürgermeister (Bildmitte hinten)

Etliche ehemalige Nationalsozialisten wurden aufgestellt und gewählt

Liest man die Namen der gewählten Stadträte, dann wird einem klar, warum die Zeitung bei der Bewertung dieser Wahl von einem „Rechtsruck“ schrieb. Allerdings fällt bei der Berichterstattung auch auf, das beispielsweise bei den Oberbürgermeister-Kandidaten die Zeitungsleser und somit die Wähler mit keiner Zeile über die Lebensläufe der Kandidaten und deren politischen Vergangenheit berichtet hat. Hätte sie das getan, dann hätte sie berichten müssen, dass Dr. Erich Lauterbach ein aktiver Nationalsozialist gewesen war und in dieser Eigenschaft NS-Bürgermeister von Oggersheim, Parteimitglied von 1933 bis 1945. Über Dr. Schmidts Vergangenheit, nominierter Bürgermeister- und aufgestellter Stadtrat-Kandidat der DG, zitierte der „Fränkische Anzeiger“ am 24. März 1952:

„Nicht Ehrgeiz oder persönliches Geltungsbedürfnis seien es gewesen, die ihn veranlassten noch einmal in die Öffentlichkeit zu treten, sondern einzig das sittliche Gefühl der Verpflichtung, einer Aufgabe zu dienen, der er schon einmal seine ganze Kraft gewidmet habe, dem Wohle der Stadt und ihrer Menschen.“

^Fridrich Hörner mit der Bürgermeister-Kette

Bürgermeister Friedrich Hörner (SPD) unterlag

Ein sittliches Gefühl, wie er vorgab, hatte Schmidt nicht. Das bewies er als Rothenburgs Bürgermeister von 1936 bis 1945. Er war schon 1930 NSDAP- und SA-Mitglied, NSDAP-Kreis- und Gauredner, Kreisleiter der NSDAP in Schwabach, Kreisorganisationsleiter der NSDAP, Vorsitzender des Kreisparteigerichts der NSDAP, Leiter der „Lügen-Abwehrstelle Franken“ der NSDAP in Nürnberg und Inhaber vieler anderer Ämter. Vom Kreisleiter der NSDAP wurde er bei der Amtseinführung 1936 als „glühender Nationalsozialist“ bezeichnet und nach dem Krieg als solcher in Moosburg interniert. Die Spruchkammer Rothenburg machte aus ihm lediglich einen „Mitläufer“. Der Vorsitzende der Spruchkammer war Georg Schadt (SPD), mit dem Schmidt ab 1952 im Stadtrat saß. Erstaunlich ist auch, dass gerade dieser Mann 1952 von allen 20 gewählten Stadträten auf sich die meisten Stimmen vereinigen konnte, nämlich 6.999. das sind über 2.000 Stimmen mehr, als Heinrich Müller (FWV), der nach ihm die meisten Wähler hatte.

Über die politische Vergangenheit des Rechtsblock-Kandidaten Hermann Ulmer Nürnberg, (seit 1947 CSU-Mitglied) ist wenig bekannt. Nach der OB-Niederlage in Rothenburg wurde er Richter am Sozialgericht und 1964 dessen Präsident.

„Fränkischer Anzeiger“ berichtet über Ruck nach rechts

Auch unter den gewählten Stadträten fanden sich etliche NSDAP-Funktionäre wieder, darunter, um einen zu nennen, Siegfried Wobst (jetzt DG), der in der NSDAP die Funktion eines Ortsgruppenamtsleiters und stellvertr. Ortsgruppenleiters inne hatte. Hatten die damaligen Rothenburger Wähler und Wählerinnen Sehnsucht nach den alten Zeiten? Darüber ließe sich jetzt vortrefflich spekulieren. Aber lassen wir es dabei. Unter der Überschrift „Ruck nach rechts“ kommt der „Fränkische Anzeiger“ am 2. April 1952 zu dem Fazit:

„Wenn wir das Ergebnis der Rothenburger Stadtratswahlen  kritisch unter die Lupe nehmen, so haben die Wahlen – politisch gesehen – einen Ruck nach rechts gebracht. Während im alten Stadtrat die SPD über sieben Sitze verfügte, wozu noch Oberbürgermeister Hörner als Vertreter der SPD kam, erhält diese Partei im neuen Stadtrat (nun)mehr fünf Mandate; die Kommunisten, die im alten Stadtrat ursprünglich einen Stadtrat stellten, fallen diesmal ganz aus und erhalten kein Mandat; FDP (einschließlich des 2. Bürgermeisters Dr. Wünsch) hatten im alten Stadtrat je sechs Sitze inne; im neuen Stadtrat finden wir die beiden Parteien mit der Freien Rothenburger Vereinigung und verschiedenen Wirtschaftsorganisationen zur „Freien Wählervereinigung“ (FWV) zusammengeschlossen mit insgesamt neun Sitzen; neu erscheinen im Stadtrat des 30. März die Deutsche Gemeinschaft (DG) mit vier und die Wählergruppe der Heimatvertriebenen und Kriegsgeschädigten mit zwei Sitzen. Es besteht also gegenüber der einzigen, in unserem Stadtrat noch vertretenen Linken mit fünf Sitzen, von politischen Aspekten aus betrachtet, ein Block von 15 Stadträten mit einer nach rechts gerichteten Tendenz, so dass die Feststellung eines durch die Wahl in Rothenburg erfolgten Rechtsruckes in vollem Maße den Tatsachen entspricht.“

Luswig Siebertstraße wird 2015 wieder umbenannt

Ludwig-Siebert-Straße wird 2015 wieder umbenannt

Folgejahre mit rechtslastiger Unsensibilität

Vor dem Hintergrund dieser Wahl und des Rechtsrucks im politischen Leben in Rothenburg ist es nicht verwunderlich, dass beispielsweise Johann Rößler, der in Rothenburg 1945 als Deserteur erschossen wurde und als Widerständler des NS-Regimes gilt, über Jahrzehnte hinweg verschwiegen wurde (erst im Jahr 2015 erhielt er eine Ehrentafel), dass 1955 die Obere Bahnhofstraße wieder den Namen Ludwig-Siebert-Straße erhielt, benannt nach dem bayerischen NS-Ministerpräsidenten, einem hochrangigen Nationalsozialisten (erst 2015 gegen aktiven Widerstand aus der Bevölkerung wieder in Obere Bahnhofstraße rückbenannt), dass äußerst unsensibel Altnazis und Antisemiten wieder zu öffentlichen Ehren kamen (Beispiel: Ernst Unbehauen), dass mit gleicher Unsensibilität in den 1950er-Jahren die Bürgermedaille an NS-Belastete verliehen wurde, dass 1958 der historische Namen des Platzes „Judenkirchhof“, den selbst die Nazis gelassen hatten, in Schrannenplatz umbenannt wurde.

Siehe auch die weiterführenden Artikel in dieser Online-Dokumentation:

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Quellen: „Fränkischer Anzeiger“ vom 19., 24. März und 2. April 1952.

 

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