Für den NS-Bürgermeister Friedrich Schmidt gab es 1945 kaum eine Zäsur. Er blieb seiner Gesinnung treu und saß 1952 wieder im Stadtrat – für die rechte „Deutsche Gemeinschaft“

Neuer NS-Oberbürgermeisterin Rotheneburg 1936: Dr. jur. Friedrich Schmidt

Neuer NS-Bürgermeister in Rothenburg 1936: Dr. jur. Friedrich Schmidt; Foto entnommen FA

Von Wolf Stegemann

Wenn etwa im September 1940 der in Nordfrankreich „im Felde stehende“ Rothenburger Bürgermeister und zugleich Führer des Vereins Alt-Rothenburg Dr. Friedrich Schmidt sein Grußwort zur Vereinsschrift „Rothenburger Wappen und Siegel“ von Martin Weigel derart pathetisch formuliert, wie im Folgenden zitiert, weiß man eigentlich schon Bescheid. Bürgermeister Dr. Michael Friedrich Schmidt schrieb damals:

„Kraftvoll und soldatisch war die Geschichte der Stadt ob der Tauber stets auf ein Ziel gerichtet, das Reich. Heute ist für Großdeutschlands Freiheit das ganze Volk angetreten. In den Ländern besiegter Feinde, in der Heimat tun wir unsere Pflicht. Der Endkampf bringt uns den Sieg. Aus der Ferne grüße ich ,Alt-Rothenburg’ – Heil Hitler!“

Ruhmreiche Vergangenheit der Stadt in Großdeutschland fortgesetzt

Beim Lesen der Widmung des in Frankreich im Kriegseinsatz stehenden Bürgermeisters hält man inne. Das „ganze deutsche Volk“ sei „angetreten“. Natürlich zählte Schmidt diejenigen nicht mehr zu den Deutschen, die aus ihrer Heimat vertrieben worden waren, im Exil lebten oder in den Konzentrationslagern. Zwischen den Zeilen suggeriert Schmidt, die „ruhmreiche“ Vergangenheit der Vaterstadt werde nun in „Großdeutschland“ eine Fortsetzung und ein noch ehrenvolleres Ende finden. Der damalige Bürgermeister mag ja „kraftvoll und soldatisch“ gewesen sein, doch der Geschichte der alten Reichsstadt Rothenburg tut er zuviel der Ehre an, wenn er sie mit solch schwülstigem Vokabular charakterisiert. Bürgermeister Schmidt schwadroniert, er stellt die Vergangenheit falsch dar – vielleicht nicht absichtlich. Wusste er es womöglich nicht besser? Doch, der redegewandte Jurist beider Rechte  wusste es besser! In seiner Heimatstadt war er hinter dem NSDAP-Kreisleiter ein mächtiger Mann, der unter den damaligen Umständen über Menschenschicksale bestimmen konnte. Das sollte man nicht übersehen.

Den Kantor von St. Jakob bedroht, weil dieser mit Nein gestimmt hatte

Allein der „Fall Feige“ aus dem Jahr 1938 ist ein Armutszeugnis für die seinerzeitige Stadtverwaltung und für Bürgermeister Dr. Friedrich Schmidt. Damals hatte der Kantor von St. Jakob, Hans Feige, bei der Volksabstimmung vom 10. April, bei der es um den „Anschluss“ Österreichs ging, mit „Nein“ gestimmt, was nach Aussage von Schmidt Feiges  Tochter unvorsichtigerweise ausplauderte. Tatsächlich wurde Feiges ablehnendes Votum von einer NS-Frau beobachtet, die im Wahllokal Helferin war. Bürgermeister Schmidt reagierte hart, ja unmenschlich. Der städtische Zuschuss zum Gehalt des Kantors wurde gestrichen, ihm wurde das Betreten aller städtischen Gebäude verboten. Der Mann sollte fertiggemacht werden, man bedrohte ihn in seiner materiellen Existenz. Dr. Friedrich Schmidt beherrschte den Nazi-Jargon perfekt, er schreibt von „jüdisch-freimaurerischer Frechheit“ des Kantors, von „Ehrlosigkeit“. Feige war ganz einfach „ein Lump, ehrloser als ein Zuchthäusler“. Die gegen ihn verhängten städtischen Maßnahmen aus „präventivpolizeilichen Gründen“ zur „Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung“ sowie zu seiner eigenen Sicherheit sollten legal erscheinen. So begründete man damals auch die „Schutzhaft“ und die Einweisung in ein KZ. So handelte Dr. Friedrich Schmidt, Bürgermeister der Stadt Rothenburg ob der Tauber und Vereinsführer von Alt-Rothenburg (Jahresbericht Verein Alt-Rothenburg 2004/05).

Bürgermeister Schmidt eröffnet das Volksfest 1937; Foto entnommen FA

Bürgermeister Schmidt eröffnet das Volksfest 1937; Foto entnommen FA

Für die NSDAP Karriere im öffentlichen Dienst gemacht

Dr. Friedrich Schmidt wurde 1905 in Nürnberg geboren, studierte ab 1924 in München und Freiburg, bestand 1928 das Jura-Examen, promovierte 1920 in Erlangen zum Doktor beider Rechte, bestand die Prüfung für den höheren Staats- und Verwaltungsdienst in Bayern, ließ sich in Nürnberg als Rechtsanwalt nieder, wurde nach der Machtergreifung 1933 kommissarischer Bürgermeister in Spalt und war von 1934 bis 1936 rechtskundiger dritter Bürgermeister in Schwabach. Schmidt war von rechtsradikaler und antisemitischer Gesinnung, was in seinen abgedruckten Reden und seinem Handeln dokumentiert ist. Zuerst gehörte er der Organisation „Reichsflagge“, dann der „Altreichsflagge“ an, trat 1930 der NSDAP (Nr. 315.574) und der SA bei. 1932 wurde er Gauredner der Partei und Rechtsberater der Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation (NSBO) und der NS-Bauernschaft. Zudem hatte er ab Mai 1934 bis 1936 den Vorsitz des NSDAP-Kreisgerichts Schwabach inne.

Ausschreibung der Stelle eine „nutzlose Formalie“

Von dort holte ihn Rothenburgs NSDAP-Kreisleiter Karl Steinacker als Ersten Beigeordneten in die Tauberstadt. Nach sechs Monaten, im Oktober 1936, berief ihn der stellvertretende Gauleiter Karl Holz zum Ersten Bürgermeister und damit zum Nachfolger des seit 1920 in diesem Amt tätigen Dr. Liebermann. Dieser war den Nationalsozialisten in Rothenburg offensichtlich nicht nationalsozialistisch genug, obwohl sich Liebermann Mühe gab. Nach den Bestimmungen der Gemeindeordnung hätte die Stadt die Stelle ausschreiben müssen. Sie tat dies nicht, weil der NSDAP-Kreisleiter Karl Steinacker es nicht wollte und dies bereits mit dem Gauleiter abgesprochen hatte, der die vorgeschriebene Ausschreibung ebenso als nutzlose Formalie ansah. Steinacker wollte den Ersten Beigeordneten Dr. Schmidt zum Ersten Bürgermeister  machen, der, so der Kreisleiter, bereits das „restlose Vertrauen“ der Bevölkerung und der Gefolgschaft (Mitarbeiter) habe. An die Stadträte gerichtet, sagte Steinacker in der Ratssitzung vom 31. August 1936, dass der Pg. Schmidt seine Redegewandtheit unter Beweis gestellt habe. „Diese Eigenschaft ist für eine Stadt wie Rothenburg besonders wertvoll.“ Da die Ratsherren sich der Meinung Steinackers angeschlossen hatten, „dass auf der Stelle des Ersten Bürgermeisters niemand anders als Pg. Dr. Schmidt zu berufen sei, der nicht nur liebenswürdig, sondern auch energisch sein könne“, wurde der Nationalsozialist Dr. Friedrich Schmidt Erster Bürgermeister der Stadt Rothenburg.

Auf dem Weg des Führers

Bei der feierlichen Amtseinführung Dr. Schmidts am 16. Oktober 1936 sagte der stellvertretende Gauleiter Holz, dass Rothenburg eines der schönsten Städtchen mit einer wundervollen Geschichte im Frankengau sei. Es habe Bürgermeister gegeben, die Großes gewollt und geleistet haben, „die aber zum Teil nicht verstanden wurden“. Nun werde ein Mann in Rothenburg als Bürgermeister eingesetzt, der wirklich Nationalsozialist sei und damit werde „nun auch Rothenburg seinen nationalsozialistischen Bürgermeister haben“. Holz betonte, dass er den Parteigenossen Dr. Schmidt noch von früher als einen „schneidigen Kämpfer für die nationalsozialistische Bewegung“ kenne, als einen guten Redner, der immer bereit war, seine ganze Kraft für die Bewegung einzusetzen. „Stets hat er in vorderster Front treu und ehrlich, brav und anständig für die nationalsozialistische Bewegung gearbeitet und gekämpft.“

Nachdem bei dieser Einführung noch andere Honoratioren Schmidt mit Lob überhäuft hatten, ihm die Amtskette umgehängt und Schmidt die Anstellungsurkunde ausgehändigt in Händen hielt, sagte er im Jargon seiner Vorredner, dass er alles geben will für diese Stadt. „Ich will den Weg gehen, den uns der Führer und der Frankenführer vorgezeichnet haben. So sei mein Gelöbnis ein Dank. Des Volkes und des Reiches Wohl und des Führers Wille sei mein oberstes Gesetz. Das ist mein Schwur…!“

Stadtrat in Rothenburg Dr. jur. Friedrich Schmidt nach 1952; Zeichnung H. Böhme; entn. FA 1965

Stadtrat in Rothenburg Dr. jur. Friedrich Schmidt nach 1952; Zeichnung H. Böhme; Foto entn. FA 1965

Nach dem NS-Regime wieder für eine rechte Partei im Stadtrat

In die Amtszeit des Nationalsozialisten Dr. jur. Schmidt, der 1938 in die (allgemeine) SS eintrat, fiel der unsägliche Antisemitismus der Rothenburger mit dem Anbringen der Judentafeln an den Toren, der Vertreibung der jüdischen Bürger aus der Stadt, die Zerstörung der Synagoge und die Arisierung jüdischen Besitzes, wobei ihm der Stadtamtmann Hans Wirsching half. Schmidt blieb formal Bürgermeister bis zum Ende des NS-Regimes, das er mitgetragen hat – allerdings nicht zum Wohle der Stadt und der Bürger. Er hinterließ eine moralisch verwilderte und zerstörte Stadtgesellschaft.
Im Krieg war er zeitweise an der Westfront, gehörte der Reserve Abt. 191 des II. Flakregiments 42 als Oberleutnant an und war von August 1944 bis Februar 1945 nationalsozialistischer Führungsoffizier. Bei Kriegsende kam er nach Rothenburg zurück, wurde am 15. Juni 1945 verhaftet und bis 21. Februar 1948 in Moosburg (Lager 6542) interniert. 38 Personen, meist Rothenburger, halfen ihm, aus der Internierung frei zu kommen. Darunter Polizisten und Pfarrer, Ärzte und Schwestern, Landwirte, städtische Beamte und ehemalige Parteigenossen. Der frühere NS-Regierungspräsident Hans Dippold schrieb am 29. September 1947: „Er war ein zu rechtlich denkender Beamter, als dass er sich einem sturen Parteiformatismus ergeben hätte.“ August Müller, Pfarrer im Ruhestand udn egemaliger „Deutscher Christ“ bestätigte, dass Schmidt, der dieser nationalsozialistischen Kirche ebenfalls angehörte, „zum Christentum und einer volksnahen Kirche durchaus bejahend“ gegenüberstand.

Fritz Schmidt machte politisch weiter – eigentlich nahtlos

Schmidt kam 1948 frei, ließ sich in Rothenburg als Rechtsanwalt nieder und 1952 wieder in den Stadtrat von Rothenburg wählen. Er nannte sich jetzt Fritz. Gemäß der Würdigung des stellvertretenden Gauleiters Holz von 1937, er sei ein treuer Kämpfer der Bewegung, blieb er seiner Gesinnung treu. Diesmal als Fraktionsvorsitzender für die rechtsgerichtete Partei „Deutsche Gemeinschaft“. 1956 wechselte er als Stadtrat zur „Freien Wählervereinigung Rothenburg ob der Tauber“ (Freie Rothenburger Vereinigung). 1960 schied wegen einer Erkrankung aus dem Stadtrat aus.

Im Nachruf steht, dass er als Bürgermeister Vorzügliches geleistet habe

1965 starb Friedrich Schmidt. Im Nachruf des „Fränkischen Anzeigers“ (Autor nicht genannt) stand am 21. Januar 1965: „Der Verstorbene leistete nicht nur als Stadtoberhaupt Vorzügliches für Rothenburg…“  Begründet wurde diese absonderliche Würdigung mit der Einführung des Weihnachtsmarktes 1937, die Förderung des Vereins Alt-Rothenburg und die des Aufbaus der verfallenden Mauern und Türme Rothenburgs mit Hilfe des NS-Regierungspräsidenten Siebert. Seine Tätigkeit nach dem Krieg wurde im Nachruf als die eines „hervorragenden Bürgers“ bezeichnet: Er war Mitglied im Aero-Club, war Syndikus des ADAC, Ausschussmitglied im Verein Alt-Rothenburg und „immer wieder ein gern gesehener Gast“ beim Rothenburger Künstlerbund. – Dr. Friedrich Schmidts Porträt fehlt im Sitzungssaal des Rathauses. 

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Quellen: Fränkischer Anzeiger vom 4. April und 27. Oktober 1936, vom 21. Januar 1965. –  Ratsprotokoll 1952 bis 1960. – Dr. Richard Schmitt in Jahresbereicht Verein Alt-Rothenburg 2004/2005 (Fall Feige). – Rothenburger Kalender, Ausgaben 1952 bis 1960. –  Die “Linde” 1940 (alle Stadtarchiv Rothenburg). – Staatsarchiv Nürnberg, NS-Mischbestand, Rep 50, Rothenburg. – Stadtarchiv Rothenburg, Ratsprotokolle.
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