Fürsorge und Wohlfahrt: Spenden für das Winterhilfswerk in Rothenburg waren nicht immer freiwillig. Rassische Maßstäbe beim NSV-Hilfswerk „Mutter und Kind“

Straßensammlung in Rothenburg (Marktplatz)

Straßensammlung in Rothenburg (Marktplatz)

Als „Sozialismus der Tat“ konnte die NS-Ideologie in der echten „Volksgemeinschaft“ Armut nicht hinnehmen, jedenfalls nicht, sofern die Not „politisch, rassisch und erbbiologisch würdige“ Personen betraf. Schon vor der Machtergreifung bemühte man sich daher um verarmte „Volksgenossen“. Adolf Hitler verfügte dann am 3. Mai 1933 die Einrichtung der NS-Volkswohlfahrt (NSV), die für alle Fragen der Fürsorge zuständig sein sollte. Seit 1935 war sie ein angeschlossener Verband der NSDAP.

In Rothenburg entwickelte sich die Fürsorge- und Wohlfahrtspolitik unter nationalsozialistischen Aspekten besonders deutlich. Maßgeblich waren vor allem das „Winterhilfswerk“ (WHW) und das Hilfswerk „Mutter und Kind“. Beide Organisationen wurden von der Stadtverwaltung finanziell unterstützt. In die Sammler- und Hilfs­tätigkeiten wurden die Angehörigen verschiedener NS-Organisationen als freiwillige Helfer einbezogen. Der „Fränkische Anzeiger“ schrieb am 31. Januar 1936:

„In Treue verschworen zum Volk […] Auch in Stadt und Kreis Rothenburg werden am 1. und 2. Februar die Männer von der SA, der SS und dem NSKK sich in den Dienst der schönen Sache stellen und das schmucke WHW-Abzeichen […] verkaufen.“

NS-Propagandaplakat

NS-Propagandaplakat

Spenden für das Winterhilfswerk auch mit Druck eingeworben

Der NS-Volkswohlfahrt standen viele ehrenamtliche Helfer und Helferinnen zur Verfügung. Allein bei der Sammeltätigkeit für das Winterhilfswerk (WHW) halfen ehrenamtlich beispielsweise für den Winter 1935/36 rund 700 Personen. Stolz nannten die Verantwortlichen dies als „Sozialismus der Tat“. Gesammelt wurden Sachspenden, vor allem Lebensmittel und Brennmaterial, aber auch Geld. Letzteres forcierten die Organisatoren im folgenden Winter, wo 2.259 Reichsmark zusammenkamen. Wer sich verweigerte, musste, wenn er denunzierte wurde, mit Sanktionen rechnen. Die NSDAP-Kreisleitung erstellte dafür eine Sanktionsliste. So konnten Verweigerern Zuschüsse und Unterstützungen des Wohlfahrtsamtes entzogen sowie Steuernachlässe abgelehnt werden, um sie „auf ihre Pflichten gegenüber Volk und Staat aufmerksam zu machen“. Dies offenbart den „Zwang zur Freiwilligkeit“ in Zusammenarbeit zwischen Partei, NSV, Kommunal- und Staatsbehörden.

Kritik am Winterhilfswerk wurde sanktioniert

Dass die Funktionäre des Winterhelfswerks nicht unbedingt harmlose Zeitgenossen waren, musste der Rothenburger Andreas Hausner (Bronnenmühle) erfahren. Wegen „jeden Dankgefühls baren Verhaltens“ wurde er am 28. Dezember 1935 von der Polizei in Schutzhaft genommen. Denn er hatte gegenüber Hausbewohnern die „Liebesgaben des Winterhilfswerks“ (Spielsachen) an seine Kinder mit dem Satz kommentiert, damit könne er seine Familie nicht einkleiden. Die Mitbewohner denunzierten ihn. Die Spielsachen wurden im Hanuar 1936 zurückgefordert. Der „Fränkische Anzeiger“ kommentierte am 30. Dezember diesen Fall:

„Am vergangenen Freitag musste, wie schon kurz berichtet, der verheiratete Andreas Hausner, Kurze Steige 7a in Schutzhaft genommen werden. Mit vielen anderen Volksgenossen wurde Hausner bei der Volksweihnacht mit einem großen Liebesgabenpaket bedacht, das außer Lebensmittel und Spielsachen für die Kinder des Hausner auch Kleidungsstücke enthielt. Mit einem mehr als ungezogenen Brief hat Hausner einen Teil der ihm für seine Familie übersandten Weihnachtsgaben an die Kreisführung des Winterhilfswerkes zurückgegeben. Stellt dieses Verhalten an sich schon eine gröbliche Verletzung des Winterhilfswerks dar, so ist es noch viel mehr ein ganz gemeines Verhalten gegenüber der Volksgemeinschaft, die gerade in den Weihnachtstagen durch das Winterhilfswerk einen so erhebenden Ausdruck fand. Welchen Eindruck muß das unglaubliche Verhalten eines Volksgenossen vom Schlage eines Hausner auf die opferfreudige Bevölkerung machen, die im Winterhilfswerk Großes geleistet hat und noch leistet. Alle anständigen Volksgenossen, die vom Winterhilfswerk betreut werden und die den Segen dieses grandiosen Hilfswerkes des Volkes tagtäglich am eigenen Leibe verspüren, und die oft in rührenden Briefen Beweise der Dankbarkeit ablegen, rücken allein schon aus Gründen der Sauberkeit von solchen Volksgenossen ab, die glauben, an den Einrichtungen des Winterhilfswerkes irgendwelche abfällige Kritik üben zu müssen. Es möge sich jeder gesagt sein lassen, daß das Winterhilfswerk lediglich eine zusätzliche Unterstützung darstellt und unter keinen Umständen die Aufgabe hat, arbeitsscheuen und asozialen Elementen ein angenehmes Leben zu verschaffen. Es steht außer allem Zweifel, daß, wie der Fall Hausner zeigt, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln gegen solche Saboteure des Winterhilfswerkes vorgegangen wird, die sich außerdem selbst durch ihr Verhalten außerhalb jeglicher Volksgemeinschaft stellen.“

Kein Deutscher darf eine kalte Stube haben

Als im Oktober 1936 in der Herrngasse 17 das neue Partei-Kreishaus eröffnet wurde, in dem die Volkswohlfahrt auch ihren Sitz hatte, appellierte der oben bereits erwähnte  stellvertretende Gauleiter Holz (Nürnberg) angesichts des bevorstehenden Winters an die Anwesenden, sich besonders jetzt mit dem „Winterhilfswerk des deutschen Volkes“ zu befassen. Er sagte u. a.:

„Die Nationalsozialisten reden zwar weniger von Religion und Christentum, sie handeln aber mehr darnach. Das Wort Volksgemeinschaft ist keine leere Phrase, sondern ein Wort der Tat… Es darf auch im kommenden Winter wieder keinen Deutschen geben, der eine kalte Stube hat, der sich nicht kleiden kann und der kein entsprechendes Essen hat. Jeder Volksgenosse hat die Pflicht, seine ganze Kraft für das WHW einzusetzen. Auch in diesem Winter muss die Parole lauten: Franken voran!“

Danach erläuterte er, welche Aufgaben auf den Politischen Leitern der Partei, dem SA- und dem SS-Mann und die Hitlerjugend innerhalb des Winterhilfswerks zukomme und geißelte scharf das traurige Verhalten all jener Kreise, die zwar aus dem Vollen schöpfen, die aber umso weniger für ihren Nächsten übrig haben. Zum Schluss seiner Ausführungen über das Winterhilfswerk sagte Holz:

„Der Nationalsozialismus will, dass das ganze deutsche Volk geschlossen durch den kommende Winter hindurch  kommt, ohne dass ein Volksgenosse zugrunde geht…“

Gutschein für den Tag des Eintopfessens

Gutschein für den Tag des Eintopfessens

„Eintopfsonntage“ zu Feiertagen gemacht

Der stellvertretende Gauleiter von Franken, Karl Holz, sprach bei einem Besuch in Rothenburg 1935 über den Sinn der „Eintopfsonntage“. Er sagte:

„Wir groß und herrlich sind doch die Eintopfsonntage, deren tiefer Sinn es ist, einmal im Monat ein Essen einzunehmen das für den deutschen Arbeiter tägliche Kost ist. Durch den Eintopf wird der deutsche Arbeiter geehrt, der ein Eintopfessen täglich zu sich nimmt.“

Zum Zeichen der Haltung, dass der Nationalsozialismus ein „Sozialismus der Tat“ sei, propagierten sie 1933 Eintopfsonntage, an denen das ganze Volk statt üppiger Mahlzeiten nur Eintopfgerichte essen und das so gesparte Geld dem Winterhilfswerk spenden sollte. Zur Förderung dieses Gedankens nahmen Prominente an öffentlichen Schauessen teil, darunter auch Hitler, und ließen sich fotografieren. Reispropagandaminister Goebbels verstieg sich zu dem Vergleich: „Der Nationalsozialismus ist eine gute deutsche Hausmannskost, ein Eintopfgericht“ (Rede 7. November 1933).

Im Winter 1935/36 unterstützte das Winterhilfswerk in Rothenburg und im Bezirk 3.791 Personen, was bei einer Gesamteinwohnerzahl von 28.651 ganze 13 Prozent der Bevölkerung betrug. Unter den finanziellen Spenden der Bevölkerung an das WHW waren auch die aus den „Eintopfsonntagen“. Propagandistisch öffentlich fanden diese Essen im Raum der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ am Marktplatz statt. Der Fränki­sche Anzeiger warb am 10. Oktober 1938: „Wir wollen besonders den […] Eintopfsonntag […] zu einem wahren Feiertag machen […] Auch am kommenden Sonntag wird ein öffentliches Es­sen alle Volksgenossen vereinen.“ NSDAP-Funktionäre und einfache Parteigenossen nahmen daran teil, auch geschlossen Behörden des Rathauses und Belegschaften von Unternehmen.

Emailschild der NS-Volkswohlfahrt

Emailschild der NS-Volkswohlfahrt

Die Stadt errichtete in Detwang eine „Kleinkinderbewahranstalt“

Bei der Betreuung legte das NSV-Hilfswerk „Mutter und Kind“ strenge „rassische und erbbiologische“ Maßstäbe an. Kinderreiche Hausfrauen und Mütter, kinderreich und erwerbstätig, konnten durch die Organisation zur Erholung verschickt werden. In Rothenburg gab es sowohl die NSV-Einrichtung „Mutter und Kind“ wie auch die „Kinderbetreuung auf dem Lande“. Es gab Sozialleistungen, Arbeitsplatzhilfe Fürsorge für werdende Mütter. Das NSV-Hilfswerk „Mutter und Kind“ in Rothenburg war für die „Erholung erwerbstätiger Mütter und Hausfrauen aus kinderreichen Familien“ und für „Kindererholung auf dem Lande“ zuständig. Da­neben bot das Hilfswerk Sozialleistungen an, wie Arbeitsplatzhilfe, Fürsorge für wer­dende Mütter, Erziehungsberatung und Jugenderholungspflege. 1934 wurden 122 Mütter und Pflegemütter beraten, welche die Mütterberatungsstelle aufgesucht und 130 Kinder vorgestellt hatten. Diese 130 Kinder wurden im Laufe des Jahres 572 Mal zur Mütterberatungsstelle gebracht. 13 Pflegemütter brachten ihre Pflegekinder im Alter bis zu einem Jahr 65 Mal mit zur Beratung. Die Gesamtausgaben für die Mütterberatung betrugen 1934 rund 870 Reichsmark. Für Beratung und medizinische Untersuchung stellte sich der Bezirksarzt Dr. Winkler von Mohrenfels zur Verfügung. Beraterinnen waren 1934 zudem Else Lutz, Meta Wendel, Frau Schaffitzel und Frau von Mohrenfels.

Das von der Stadt geführte Waisenhaus und eine Kleinkinderbetreuungsanstalt mit durchschnittlich 200 Kin­dern gingen schon 1933 in die Verantwortlichkeit der nationalsozialistischen Volkswohlfahrt über. In Detwang kaufte die Stadt 1935 ein Anwesen und errichtete eine „Kleinkinderbewahranstalt“, deren Betreuung ebenfalls die NSV übernahm. Man wollte die konfessionellen Wohlfahrtseinrichtungen und Erziehungsanstalten nach und nach verdrängen. In einem Schreiben des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus an das Bezirksamt Rothenburg steht die Zielsetzung: „Die nationalsozialistische Weltanschauung verlangt die Beseitigung aller klösterlichen und sonsti­gen bekenntnismäßig geführten Schulen.“

NS-Propagandaplakat 1934

NS-Propagandaplakat 1934

Weniger Säuglingssterblichkeit: 140.000 Kinder mehr für den großen Führer

In einem Vortrag referierte im Dezember 1938 der Hauptamtsleiter Erich Hilgenfeldt im Kreishaus mit umfangreichem Zahlenmaterial über „Neue Wege nationalsozialistischer Wohlfahrtspflege“. Die Säuglingssterblichkeit im Reich sei von 7,9 Prozent auf 6,57 gesunken und dadurch „ dem Führer und deutschen Volke 140.000 Jungen und Mädel erhalten geblieben“. In 194 Mütterschulen wurden „deutsche Frauen“ auf ihre große Aufgabe des „nationalsozialistischen Mütterseins“ vorbereitet. Fast 50 Millionen Kinderspeisungen wurden ausgegeben und für rund 20 Millionen Reichsmark seien Kinderwagen und Säuglingsausstattungen als materielle Hilfe verteilt worden. 16.000 Kindergärten stünden für die Betreuung des „besonders gefährdeten und früher völlig vernachlässigten Kleinkindes zur Verfügung. Der Redner schloss seinen Vortrag mit den Worten:

„Die neuen Wege, die sie nationalsozialistische Volkswohlfahrtspflege einschlägt, sind nach der Erkenntnis ausgerichtet, dass Geschichte nicht in Tagen und Jahren gemacht werden kann, dass sie Aufgabe und Arbeit von Generationen ist: Jede Generation wird weiterleben in den Werken, die andere Generationen hinterlassen haben. Nicht aus der Schau der Gebundenheit eines Lebens, sondern der Schau der Ewigkeit des Volkes erhält die nationalsozialistische Volkswohlfahrtspflege ihre Aufgeben.“

Vom dem Jahr an, in dem Erich Hilgenfeldt diese Rede in Rothenburg hielt, dauerte der Generationenanspruch der Nationalsozialisten gerade noch sechs Jahre.

Konfessionelle Kindergärten geschlossen

1941 gab es in Rothenburg noch drei konfessionelle Kindergärten. Diese wurden im Juni geschlossen mit der Begründung, dass der Unterrichts- und Erziehungsanstalten eine öffentliche Angelegenheit sei und nach den Grundsätzen des Nationalsozialismus geführt werden müssen. So übernahm die NS-Volkswohlfahrt den protestantischen Kindergarten Eli­senstift, den katholischen Kindergarten im Kloster der Armen Schulschwestern und den katholischen Kindergarten in Gebsattel. Die bis dahin dort tätigen Erzieherinnen wurden entlassen.

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Quellen / Literatur: Friedemann Bedürftig „Drittes Reich und Zweiter Weltkrieg. Das Lexikon“, Piper München / Zürich 2002. – Katja Klee: „Nationalsozialistische Wohlfahrtspolitik am Beispiel der NSV in Bayern“, in: Rumschöttel/Ziegler: „Staat und Gaue in der NS-Zeit. Bayern 1933-1945“, München 2004. – Herwart Vorländer: „Die NSV. Darstellung und Dokumentation einer nationalsozialistischen Organisation“, Schriften des Bundesarchivs Nr. 35, Boppard 1988. – Hans Wirsching: „Rothenburg ob der Tauber in der Zeit vom 1. 1. 1900 bis 31. 12. 1945, Rothenburg o. J. – Eckhard Hansen: „Wohlfahrtspolitik im NS-Staat. Motivation, Konflikte und Machtstrukturen im Sozialismus der Tat des Dritten Reiches“, Augsburg 1991.
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