Wiedergutmachung (6): Wohn- und Gasthaus „Zum Schwan“ wurde an die Erben der Brüder Steinberger 1954 aus formalen Gründen nicht zurückgegeben. Auch das Brauhof-Anwesens in der Galgengasse blieb im Besitz des Käufers

Von Wolf Stegemann

Im Zuge der Rückerstattung entzogenen jüdischen Besitzes fanden Anfang der 1950er-Jahre Verhandlungen der Erben der Brüder Emil und Siegfried Steinberger mit dem Brauereibesitzerehepaar Siegfried und Irma Unbehauen aus dem württembergischen Spielbach vor der Wiedergutmachungsbehörde für Ober- und Mittelfranken in Nürnberg-Fürth statt. Das Ergebnis wurde nach der mündlichen Verhandlung vom 29. Juni 1954 am 18. August verkündet. Es ging um den Zwangsverkauf des Wohn- und Gasthauses (Zum Schwan) in der Oberen Schmiedgasse 15. Die Brüder wohnten in diesem Haus.

Siegfried Steinberger, 1889 in Colmberg geboren, führte mit seinem Bruder Emil eine Pferdehandlung. Siegfried, der unverheiratet blieb, zog im Oktober 1938 nach Würzburg und wurde von dort 1941 nach Riga deportiert, wo er vermutlich erschossen wurde. Sein Bruder Emil, geboren 1887, starb schon 1937 im Elternhaus in Colmberg. Siegfried Steinberger war Eigentümer des Brau- und Gasthofanwesens Galgengasse 13, das hoch verschuldet im Oktober 1938 an die Rothenburger Gastwirtseheleute Michael und Franziska Moll zwangsverkauft wurde.

Steinberger-Erben in den USA, München, London und Frankreich

Die Brüder Siegfried und Emil Steinberger

Die Brüder Siegfried und Emil Steinberger

Im Verfahren um das Haus Obere Schmiedgasse 15 traten die Erben der Steinbergers auf, die durch ihre Anwälte Stern und Dr. Engel aus Fürth sowie der „Jewish Restitution Successor Organization“ (JRSO) in Frankfurt am Main vertreten waren. Die Verhandlungsgegner, das Ehepaar Unbehauen, war vertreten durch Rechtsanwalt Schubert aus Rothenburg, Kapellenplatz 7. Die Erbenliste führt zehn Namen auf: Sofie Frank, geborene Steinberger, in Philadelphia; Ida Wittelshöfer, geborene Steinberger, aus München, Dr. Daniel Steinberger aus New York, Robert Jakob Weinstein aus Beeroth Jitzchak (Israel), Ernst Haas aus Brooklyn-New York, Walter Haas ebenfalls aus Brooklyn-New York, Ada Maier aus New York, Karl Steinberger aus New York, Erne Helene Michaels aus Chelsea-London und Fritz (Fred) Michaels aus Forbach an der Mosel (Frankreich).

Das Anwesen mit Wohnhaus und Gastwirtschaft in der Oberen Schmiedgasse war von beträchtlicher Größe. Es gab eine Durchfahrt, Nebengebäude, Stallungen, eine Waschküche und einen Hofraum. Verbunden mit dem Haus war eine Gastwirtschaftsgerechtigkeit. Nach dem Erwerb am 29. November 1938 (34.336 RM) durch das Ehepaar Unbehauen wurden die Stallungen erneuert, größere Umbauten vorgenommen und bis in die 1950er-Jahre neue Wohnungen eingebaut. Noch vor dem Kauf hatte der Stadtrat in der Sitzung vom 9. Dezember 1938 auf Antrag des Käufers die zu zahlende Wertzuwachssteuer auf einen Pauschbetrag von 4.000 Reichsmark ermäßigt. Über den Verkauf berichtet am 4. März 1946 der Notariatsbeamte Hans Schmidt der Militärregierung in Rothenburg:

„Der Verkauf des Anwesens Gasthaus Schwan an Herrn Unbehauen erfolgte meines Wissens freiwillig und ohne einen Druck seitens des Käufers. Der Kaufpreis war nach meinem Dafürhalten den Verhältnissen entsprechend angemessen; dies äußerte auch Herr Steinberger mir gegenüber. Er war fest entschlossen, das Anwesen an Herrn Unbehauen zu verkaufen. Herr Siegfried Steinberger wohnte zur Zeit der Kaufverhandlungen in Würzburg und wollte nicht mehr nach Rothenburg; er gab mir deshalb Vollmacht, die Angelegenheit in der zwischen ihm, dem Käufer Unbehauen und mir besprochenen Weise zu regeln.“

Die Erben beantragten die Rückerstattung in Natur, also das Haus. In der mündlichen Verhandlung konnte zwischen den Erben und den Käufern von 1938 keine Einigung erzielt werden. Daher erging ein rechtsverbindlicher Beschluss der Wiedergutmachungskammer unter Vorsitz von Landgerichtsrat Pfeuffer und den Beisitzern Amtsgerichtsrat Nothacker und Gerichtsassessor Schreyer.

Rückerstattungsantrag war zwar fristgerecht aber unvollständig

Obere Schmiedgasse 15 heute

Obere Schmiedgasse 15 heute

Dem Antrag der Steinberger-Erben auf Rückgabe wurde aus formalen Gründen nicht stattgegeben. Die Anmeldung der Rückgabeforderung war zwar fristgerecht in der Zentralstelle Nauheim eingegangen, es fehlte aber die zwingend vorgeschriebene „Beschreibung des entzogenen Vermögensstandes“. Im Antrag war lediglich von der Rückerstattung des Nachlasses von Jakob, Siegfried und Emil Steinberger die Rede.

„Aus welchen Gegenständen sich dieser Nachlass zusammensetzte, insbesondere, dass sich darunter auch Grundstücke und zwar die im vorliegenden Verfahren beanspruchten befunden haben, bleibt dagegen unausgesprochen.“

Eine nachträgliche Beschreibung im Schriftsatz der Anwälte Stern und Dr. Engel (10. 7. 1950) konnte nicht berücksichtigt werden, weil sie nachträglich angefertigt wurde.

„Fehlt nämlich die hinreichende Beschreibung des entzogenen Vermögensgegenstandes, dann ist eine nachträgliche Ergänzung (nach Ablauf der Anmeldefrist, also nach dem 31. 12. 1948) nicht möglich, das die Beschreibung des beanspruchten Gegenstandes Grundvoraussetzung für eine wirksame Anmeldung ist.“

Die Kammer musste vermutlich so entscheiden, da sie sich mit diesem Urteil in Übereinstimmung mit dem höchsten Gericht in Rückerstattungssachen befand. „Das Rückerstattungsbegehren“, so die Kammer schlussendlich, „war daher als unzulässig zurückzuweisen.“

Nachzahlung für das Haus in der Galgengasse

Stolperstein in der Oberen Schmiedgasse

Stolperstein in der Oberen Schmiedgasse

Im Büro des Regensburger Notars Carl Schöpperl in der dortigen Maximilianstraße 27 trafen sich am 1. November 1938 der ehemals Rothenburger jüdische Kaufmann Adolf Heumann, der nach der Vertreibung aus Rothenburg in Regensburg wohnte, mit dem Rothenburger Gastwirtsehepaar Michael und Franziska Moll aus der Klingenschütt 7 zu einer Vertragsvereinbarung. Adolf Heumann vertrat mit richterlicher Genehmigung des Amtsgerichts Rothenburg den einst Rothenburger Juden Siegfried Steinberger, der bis 1. Oktober in der Oberen Schmiedgasse 15 wohnte, danach in Würzburg. Es stand der Verkauf des im Besitz von Steigenberger befindlichen Anwesens Galgengasse 13 an das Ehepaar Moll an. Das 400 Quadratmeter große Brau- und Gasthaus-Anwesen mit bewohnbaren Seitengebäuden, Sudhaus, Malzdarre, Hof, Stall und mit dem gesamten Inventar wurde für 14.000 Reichsmark verkauft. Bevor der Vertrag am 16. Dezember rechtsgültig wurde, setzte der Stadtrat von Rothenburg den Kaufpreis um 4.000 Reichsmark auf 10.000 herunter. Adolf Heumann (jüdisch) hatte an das Anwesen Hypothekenansprüche in Höhe von 6.000 Reichsmark mit jährlicher Verzinsung von fünf Prozent. Auch waren für ihn zwei Grundschuldeinträge in Höhe von 6.000 und 12.000 Goldmark im Grundbuch eingetragen, beide mit sechsprozentiger Verzinsung. Diese drei Belastungen wurden am 20. November 1939 gelöscht. – Siegfried Steinberger wurde 1941 nach Riga deportiert, wo sich seine Spur verliert.

Wurde den Steinberger-Erben das Hauses in der Oberen Schmiedgasse 15 aus formalen Gründen nicht zurückerstattet, einigten sie sich in nichtöffentlicher Sitzung der Wiedergutmachungskammer für Ober- und Mittelfranken vom 23. November 1951 mit den Käufern des Hauses Galgengasse 13, den Eheleuten Moll.

Erben hatten Anspruch auf Rückerstattung

Das Haus gehörte ursprünglich Emil Steinberger. Nach dessen Tod erbte alleinig sein Bruder Siegfried 1937 das Wohn- und Brauhof-Anwesen. Siegfried wurde 1944 für tot erklärt. Erben waren zu je einem Siebtel seine Geschwister Sofie Frank, geborene Steinberger), Ida Mittelhöfer (geb. Steinberger), Dr. Daniel Steinberger, Lina Weinstein (geb. Steinberger) und Frieda Haas (geb. Steinberger, verstorben 1944). Zu den Erben gehörten noch Neffen und Nichten zu je einem Vierzehntel: Ada Meier, Karl Steinberger, Erne Helene Michels und Fritz (Fred) Michels. Für die 1944 verstorbene Frieda Haas erbten deren Kinder Ernst Haas, Walter und Ilse Margot zu je Drei-Zwölftel, da der Ehemann von Frieda Haas bereits für tot erklärt war. Da der frühere Rothenburger jüdische Kaufmann Adolf Heumann, später Regensburg, am Anwesen Galgengasse 13 vermögensrechtlich beteiligt war, hatten auch seine Erben Anspruch auf Rückerstattung. Dies waren Mary Fordham, geborne Heumann, in New Jersey/USA und Kathie Hahn, geb. Heumann, in New York/USA.

Gütlicher Vergleich erlangte Rechtskraft

Beide Parteien, die Erben Steinbergers und das Ehepaar Moll, waren einverstanden, dass das Anwesen im Besitz der Eheleute Moll bleibt und den Erben eine Nachzahlung von 3.500 DM leistet. Eventuelle Ansprüche aus Kriegsschäden verbleiben bei dem Ehepaar Moll, Entschädigungsansprüche aus der Tatsache, dass der seinerzeit ausgezahlte Kaufpreis nicht zur freien Verfügung des Verkäufers gestanden hatte, verblieben bei den Erben. Eine Ergänzung dieses Vergleichs behielt sich die Wiedergutmachungsbehörde vor.

Vom Widerrufsrecht dieser Vereinbarung machten die Parteien keinen Gebrauch, so dass das Amtsgericht München 7 unter dem Aktenzeichen VIII/3889/52 am 10. Juli 1954 in einem Schreiben an die Wiedergutmachungsbehörde III den Vergleich rechtswirksam erklärte.

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Quellen: Staatsarchiv Nürnberg, Bestand BLVW ASt Nürnberg Nr. 387/1 und 387/2

 

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