Lokale und reichsweite Gründung von Parteien nach 1945 in Rothenburg – die Reichs-FDP wurde hier gegründet

Von Wolf Stegemann

Christlich Soziale Union (CSU): Dr. Joseph Müller (genannt „Ochsensepp“) gründete im Herbst 1945 einen vorbereitenden Ausschuss zur Gründung der Christlich Sozialen Union in Bayern, der ein Programm erarbeitete. Der CSU-Ortsverband Rothenburg ob der Tauber wurde am 7. Januar 1946 im Gasthof „Marktplatz“ von Willibald Braun aus der Taufe gehoben. Die Gründungsversammlung erfolgte auf Initiative des katholischen Stadtpfarrers und Dekans Wolfgang Müller mit Unterstützung des evangelischen Dekans Jelden. Wolfgang Müller war der Bruder von Dr. Joseph Müller. Die Gründungsversammlung  wurde geleitet vom Landwirt Hans Centmayer, den die Versammlung dann auch zum ersten CSU-Vorsitzenden in der Geschichte des Ortsverbandes wählte. Er blieb es bis 1966.

Parteigründer Dr. Josef Müller ("Ochsensepp")

Parteigründer Dr. Josef Müller (“Ochsensepp”)

Bei der ersten Landtagswahl im Dezember 1946 wurde Hans Centmayer in den Bayerischen Landtag gewählt, dem er bis 1950 angehörte. Von 1948 bis 1952 war er zudem Mitglied des Stadtrats von Rothenburg, sowie von 1954 bis 1958 Mitglied des Bezirkstages Mittelfranken. Dort machte er sich insbesondere um die Pflege der Landwirtschaftlichen Lehranstalten verdient. Am 26. August 1949 war er Mitglied der 1. Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten. Neben der politischen Tätigkeit bekleidete er zahlreiche öffentliche Ämter in Verbänden des Bauernstandes.

Centmayer besuchte von 1923 bis 1925 die Landwirtschaftsschule in Neuburg/Donau und war anschließend mehrere Jahre als Gutsverwalter und Gutsbesitzer in Norddeutschland und in der Nähe von Düsseldorf tätig. Seine Stellung brachte ihn auch mit der rheinischen Industrie in Verbindung. 1940 übernahm er als Pächter das Gut Wildbad bei Rothenburg ob der Tauber, dessen Besitzer er von 1956 an war und das er bis 1968 führte.

Am 8. Januar 1946, also einen Tag nach der Gründung des CSU-Ortsverbandes Rothenburg ob der Tauber, erteilte die amerikanische Militärregierung die Lizenz zur Gründung der CSU als Volkspartei in Bayern. Bereits im Juni 1945 hatten sich der spätere CSU-Landesvorsitzende Dr. Joseph Müller mit Adam Steigerwald, einem ehemals einflussreichen Politiker des Zentrums und Gewerkschaftsführer in der Weimarer Zeit, im Haus seines Bruders, dem katholischen Stadtpfarrer und Dekan Wolfgang Müller, in Rothenburg getroffen. Es ging dabei darum, die Grundlage für eine Partei zu finden, in der sowohl Protestanten als auch Katholiken eine politische Heimat finden konnten.

Politische Ausrichtung nach 1945: Die CSU setzte bedingt die Tradition der Bayerischen Volkspartei (BVP) fort. Zwar hatte sich diese 1918 aus Protest gegen den von der Zentrumspartei verfolgten unitaristischen Kurs von dieser abgespalten und betonte von nun an die bayerischen Sonderinteressen. Jedoch fanden sich die stark rechtskonservativen und restaurativen Positionen der BVP in der CSU nur noch sehr vereinzelt wieder. Ein weiterer bedeutender Unterschied war, dass sich die CSU von Anfang an auch als Partei für protestantische Christen verstand, während die BVP eine ausschließlich katholische Partei war, die zudem jede sozialistische Vorstellung radikal ablehnte, wohingegen in der CSU in ihren Anfangsjahren durchaus Tendenzen zu sozialistischen Forderungen (Verstaatlichungen, Bodenreform) vorhanden waren.

Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD). 1933 wurde die SPD reichsweit verboten. In Rothenburg hatte der Ortsverein zu diesem Zeitpunkt bereits eine Bestandsgeschichte von 33 Jahren hinter sich. 1902 wurde die Sozialdemokratische Partei im Gasthaus Schwarzer Adler von etwa 30-40 Personen gegründet. Erst nach dem Ersten Weltkrieg konnte sich die SPD-Arbeiterpartei im bürgerlich geprägten Rothenburg politisch entfalten und sich fest etablieren. Auch im Stadtrat. Die Sozialdemokratin Maria Philipp war als erste Frau in diesem Gremium. Nach der NS-Zeit gründete sich die SPD neu und stellte mit Friedrich Hörner den ersten Bürgermeister.

Karl Schumacher (Mitte) auf dem Parteitag Hannover 1946

Karl Schumacher (Mitte) auf dem Parteitag Hannover 1946

Politische Ausrichtung nach 1945: Kurt Schumacher, bis zu seinem Tod im August 1952 unumstrittener Führer der SPD in den Westzonen und in den Anfangsjahren der Bundesrepublik, lehnte Diskussionen um ein neues Grundsatzprogramm stets als unzeitgemäß ab. Für ihn galt noch das Heidelberger Programm von 1925. Was die Sozialdemokratie im Grundsatz wolle, „ist uns allen klar“ – so Schumacher. Wichtiger war ihm die Formulierung einer deutlichen Alternative zur Regierungspolitik, insbesondere auf den Feldern der Deutschland- und Außenpolitik. Schumacher war ein scharfer Gegner von Bündnissen mit Kommunisten der Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ). Aufgrund der Erfahrungen mit dem Dritten Reich stand für ihn und viele Sozialdemokraten der Sozialismus als Gesellschaftsform und Sozialisierungen als Weg zu ihrer Durchsetzung nach den Erfahrungen des Dritten Reichs auf der Tagesordnung. Gleichzeitig betonte er nach 1945 die weltanschauliche Offenheit seiner Partei. Insbesondere Menschen, die aus christlichen Überzeugungen heraus den Sozialismus bejahten, forderte er auf, in der SPD ihr politisches Wirkungsfeld zu sehen. Der SPD kam in Schumachers Augen die führende Rolle beim wirtschaftlichen und politischen Wiederaufbau zu, dies umso mehr, wenn es ihr gelingen würde, neben der Arbeiterschaft auch Angestellte, Beamte, Kleinhändler, Handwerker und Bauern anzuziehen. Schumacher warf der damaligen Adenauer-Regierung vor, das Politikziel der nationalen Einheit der Deutschen zugunsten einer Westbindung Westdeutschlands aufzugeben. Gemeinsame politische Institutionen Westeuropas wie den Europarat lehnte er als „konservativ, klerikal, kapitalistisch und kartellistisch“ ab.

Hans Wirsching, Stadtamtmann unter den Nazis, gehörte nach 1945 der FRV an.

Hans Wirsching, Stadtamtmann unter den Nazis, gehörte nach 1945 der FRV an.

Freie Rothenburger Vereinigung (FRV). Die Freie Rothenburger Vereinigung reicht weiter zurück, als ihre Neugründung im Jahr 1949 vermuten lässt. Bereits 1896 gründete sich eine Art Vorläuferin, die „Freie bürgerliche Vereinigung“, die im Jahre 1919 mit 14 von 20 Sitzen noch die Mehrheit der Stadträte stellte und der es später wie den Parteien erging. 1933 wurde sie im Zuge der Gleichschaltung aufgelöst. Gründungsvorsitzender und ihre erster Stadtrat war 1949 Fritz Huhn. Zu den Gründungsmitgliedern gehörte Wilhelm Müller. Ihre Maxime war „frei von Weltanschauung, unparteiisch, sachbezogen, mit Herz und Verstand“ für das Wohl der Stadt und ihrer Bürger einzusetzen. Verbunden ist die FRV-Tradition mit vielen Namen; Hans Wirsching, Fritz Gehringer, Walter Ritschel, Josef Bünsch, Gerhard Neuberger sowie Fritz Wünsch, Karl Thürauf, Karl Mönkheim, Karl Korn, Otto Bergher, Gerhard Rüdinger, August Köppel, Lore Klingler, Willi Ott und andere. Karl Keitel war Stellvertreter des ersten berufsmäßigen Oberbürgermeister Dr. Lauterbach. Der erste Oberbürgermeister Rothenburgs nach dem Kriege, der Sozialdemokrat Friedrich Hörner, hatte das Amt noch ehrenamtlich bekleidet und dabei viel für die politische Kultur und den Wiederaufbau der zerstörten Stadt geleistet.
Als die FRV im Jahre 2009 ihre 60-jähriges Gründungsjubiläum begehen konnte, feierte Wilhelm Müller mit, der 1949 die Freie Rothenburger Vereinigung mitgründete. In seiner Rede beschwor Karl Thürauf, 50 Jahre Mitglied in der FRV, den liberalen Geist, den die Stadt und ihre Bürger in der Geschichte stets bewiesen hätten. Der historische Bogen reiche bis in die stolzen reichsstädtischen Tagen der Stadt zurück mit dem berühmten jüdischen Talmudgelehrten Rabbi Meir Ben Baruch. Auch habe es nur wenige Hexenprozesse  in Rothenburg gegeben und die Toleranz zeige sich auch daran, dass die Bürger, die nach dem Wechsel der Stadt zur lutherschen Konfession, katholisch geblieben waren, toleriert wurden.

  • Anmerkung der Redaktion: Diese Bewertung über die Liberalität der Rothenburger in der Geschichte lässt sich so, wie Karl Thürauf sie laut „Fränkischer Anzeiger“ (20. November 2009) getroffen hat, nicht aufrecht halten. Ein Blick in die Geschichte und in diese Online-Dokumentation zeigt, dass Rothenburg gegenüber „anderen“ wenig bis gar keine Toleranz zeigte, sich gegenüber ihren jüdischen Mitbürgern mit Beraubung, öffentlicher Demütigung und grausamer Vertreibung hervortat.
Parteigründer und späterer Bundespräsident Theodor Heuß, Parteigründer

Parteigründer und späterer Bundespräsident Theodor Heuß,

Demokratische Partei Deutschlands (DPD) / Freie Demokratische Partei (FDP). Am 17. März 1947 wurde in Rothenburg ob der Tauber die Demokratische Partei Deutschlands (DPD) als gesamtdeutsche Partei gegründet. Vorsitzende waren Theodor Heuß und Wilhelm Külz. Aufgrund von Auseinandersetzungen über den politischen Kurs von Külz konnte sich dieses Projekt jedoch nicht dauerhaft durchsetzen. Wohl aber anderthalb Jahre später die Freie Demokratische Partei durch Zusammenschluss aller 13 liberalen Landesverbände der drei westlichen Besatzungszonen. Die FDP wurde 1948 von ehemaligen Mitgliedern der DDP und der DVP gegründet. Der Name „Liberaldemokratische Partei“ (LDP) konnte sich dabei nicht durchsetzen. Der Name Freie Demokratische Partei (FDP) wurde von den Delegierten der Landesverbände mit 64 gegen 25 Stimmen gebilligt. Ihr erster Vorsitzender war Theodor Heuß, dessen Stellvertreter Franz Blücher. Um diesen Zusammenschluss in die Wege zu leiten, traf sich 1947 ein Forum von FDP-Politikern aus der amerikanischen und englischen Zone in Rothenburg ob der Tauber. Die Franzosen erlaubten zu diesem Zeitpunkt keine Parteigründung auf Reichsebene. Zu diesem Treffen, noch mit dem Vorzeichen der DPD, schrieb 1947 der württemberg-badische Ministerpräsident Reinhold Meier im SPIEGEL:

Reinhold Meier, Briefmarke zum 100. Jahrestag seines Geburtstags

Reinhold Meier, Briefmarke zum 100. Jahrestag seines Geburtstags

 „Nur ein einziges Mal sah uns einträchtig ganz Deutschland versammelt. Das war am Gründungstag der Demokratischen Partei Deutschlands (DPD) in diesem Frühjahr in Rothenburg ob der Tauber. Aus jedem Winkel des alten Reichs und seiner fernsten Ecke standen Männer auf und bekannten sich zu dem wieder zu vereinigenden unzerstörbaren Deutschland. Eine Irrealität? Dann rollte aber die Deutsche Ministerpräsidentenkonferenz heran und der fürchterliche Rückschlag von München. In den dunklen Ecken des Saals geisterte in jener Mitternachtsstunde die deutsche Zwietracht. Eine Realität? Personen trennen, Personen verbinden. Hier trennten sie. Unvergesslich wird der Eindruck jener Nacht sein: die Selbstverständlichkeit, mit welcher Deutsche es hinnahmen, dass Deutsche mit Deutschen im Zwiste leben und dass dieser Zwist höher wiegt als selbst Deutschland. Deutschland darf in keinem Fall aus dem nichtigen Grund nicht zusammenkommen, weil zwei große Parteien sich auf den Tod bekämpfen. So leicht darf es der Londoner Konferenz nicht gemacht werden, und so einfach dürfen wir uns nicht in das Ersatzvaterland der Bizone verweisen lassen. Können die deutschen Sozialisten sich nicht einigen, so müssen es die deutschen Demokraten tun. Wenn die deutschen Sozialisten Deutschland nicht zusammenführen und die deutschen Demokraten es auch nicht fertig brächten, so werden dies später deutsche Nationalisten tun. Wir sind durch die nicht abreißenden Sorgen alle miteinander müde bis ins Mark. Nehmen wir die Entwicklung der nächsten Jahre in Gedanken vorweg, so erkennen wir, dass diese Entwicklung bestimmt werden wird durch ein von einer Urkraft getragenes Wiederzusammendrängen aller Deutschen.“

Bei der Zusammensetzung des Vorstands gab es bereits Streitereien, weil die Vertreter darauf achteten, dass die Zonen-Abgeordneten  gleichberechtigt vertreten waren. Der Vorsitzende in der britischen Zone, Finanzminister Dr. Franz Blücher (Nordrhein-Westfalen) wurde nicht – wie erwartet – Vorsitzender der NRW-FDP. Er war auch nicht in Rothenburg. Für ihn war Dr. Friedrich Middelhauve gekommen, der wenige Jahre später in die Schlagzeilen geriet, als ehemalige nationalsozialistische Gauleiter durch Eintritt in die NRW-FDP diese unterwanderten, um wieder eine nationalsozialistische Partei erstehen zu lassen. Die britische Militärpolizei zerschlug die Konspiration, die unter „Gauleiter-Putsch“ in die Annalen der FDP einging.

Die FDP löste sich von der DPD, die keinen Erfolg hatte

Die Gründung der Demokratische Partei Deutschlands wurde in Rothenburg ob der Tauber von der Liberal-Demokratischen Partei (LDP) der Ostzone, der Freien Demokratischen Partei (FDP) der britischen Zone und der Demokratischen Volkspartei (DVP) Württemberg-Badens, von der LDP in Hessen, der FDP in Bayern und der BDV, der Bremer Demokratischen Volkspartei, beschlossen. Die bisherigen Namen wurden neben dem einigenden Namensband DPD weitergeführt. Gleichberechtigte Vorsitzende waren Dr. Wilhelm Külz aus Berlin, damals schon 72 Jahre alt, und Dr. Theodor Heuß, Heidelberg. Wie oben erwähnt, konnte sich das DPD-Projekt allerdings nicht durchsetzen, dafür aber die FDP, die 1948 durch Zusammenschluss in Heppenheim gegründet wurde.

Wahlplakat gegen die Entnazifizierung 1949

Wahlplakat gegen die Entnazifizierung 1949

Politische Ausrichtung nach 1945: In den Zonen und Ländern trat die FDP teilweise unter verschiedenen Namen auf: Beispielsweise in der Britischen Zone hießt sie auch Partei Freier Demokraten (PFD), in Bayern auch Deutsche Demokratische Partei (DDP), in der Sowjetzone Deutsche Demokratische Partei (DDP) und Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD), in auch Sozialer Volksbund (SV), in ganz Deutschland 1947/48 auch Demokratische Partei Deutschlands (DPD) usw. Bei der Schaffung des Grundgesetzes 1948/49 und dessen Ausgestaltung hatte die FDP stets mehr Anteil als ihre Wahlergebnisse vermuten lassen. So war sie die Hüterin der persönlichen Freiheitsrechte, des parlamentarischen Systems und der Marktwirtschaft, während alle anderen am Grundgesetz wirkenden Parteien eine eher staatsgelenkte Wirtschaft bevorzugten.

  • Über die Partei „Deutsche Gemeinschaft“ (DG) gibt es einen eigenen Artikel in dieser Online-Dokumentation: „Deutsche Gemeinschaft: rechtsradikale Partei nach dem Krieg im Stadtrat stark vertreten…“

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Quellen: Bayerisches Hauptstaatsarchiv StK BayVO 232 (CSU, Centmayer). – hd in FA vom 22. März.1947. – „Der Spiegel“ Nr. 12/1947 und 48/1947. – Wikipedia, Online-Enzyklopädie (CSU, SPD, Liberale).
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