Hochkomplizierter Fall John M. Friedle – Wie einem US-Bürger seine Häuser weggenommen wurden, wobei das Rothenburger Finanzamt arglistig getäuscht und betrogen hatte

John M. Friedle, Mitinhaber des Strand-Vergnügungsparks in San Franciso

John M. Friedle, Mitinhaber des Strand-Vergnügungsparks in San Franciso

Von Wolf Stegemann

Unter Mitwirkung der NSDAP fanden in Rothenburg bei missliebigen Personen Enteignungen statt. Davon betroffen waren besonders jüdische Bürger. Aber auch andere. Eine dieser nichtjüdischen Personen war der US-amerikanische Staatsbürger John Martin Friedle. Es ist übrigens der bislang einzige in Rothenburg bekannte Fall einer Entziehung, nicht gegen Juden gerichtet war. John hatte als Johann seine Wurzeln in Detwang, wanderte 1895 in die USA aus, wurde dort wohlhabend und ging in die legendäre Geschichte von „Playland“ ein. Das ist ein riesiger Strand-Vergnügungspark in San Francisco, den es heute noch gibt. In erster Ehe war er verheiratet mit Elsa (Elsie), geb. 1892 in Deutschland, mit der er 1922/23 Deutschland besuchte. 1929 kam John M. Friedle (nunmehr geschieden) nach Deutschland zurück, wohnte in Rothenburg und war für amerikanische Rummel-Unternehmen tätig.

"Zum schwarzen Lamm", Friedles Elternhaus in Detwang

“Zum schwarzen Lamm”, Elternhaus in Detwang

In Detwang war der Name Friedle vor, während und nach der NS-Zeit bestens bekannt. Auch heute noch. Er wohnte in einer Villa am Nuschweg 7; ihm gehörten noch das Haus Nummer 9 daneben und zwei Häuser in der Klingengasse 4 und 4a. In Rothenburg war er ein angesehener Einwohner mit Mitgliedschaften in verschiedenen Vereinen, die er stets finanziell unterstützte, bis ihm die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft in Kumpanei mit dem Rothenburger Finanzamt wegen angeblicher Devisenvergehen und Steuerschulden sein gesamtes Vermögen beschlagnahmte und ihm schließlich auch sein ihm verbliebenes Wohnhaus wegnehmen wollte, wobei auch höhere Parteikreise das Ihre dazu taten. Dazu wurden die Rothenburger Behörden durch ihren Ehrenbürger, dem bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert, schriftlich aufgefordert. Denn der Partei- und Generalarbeitsführer Freiherr Curt Löffelholz von Colberg wollte das Haus mit Tauberblick als Alterssitz. Für Enteignungen zuständig waren die unteren Verwaltungsbehörden sowie der Rothenburger Landrat Dr. Simon Meißner und der Oberbürgermeister Dr. Friedrich Schmidt, die auch auf Druck der NSDAP tätig wurden. Im Fall John M. Friedle Dank des mutigen Amtsrichters Dr. Schaute ohne Erfolg. Friedle kehrte 1945 oder 1946 ohne Familie in die USA zurück. Er starb in San Francisco 1950 im Alter von 74 Jahren.

Villa am Nuschweg 7 sollte „eingedeutscht“ werden

Anwesen am Nuschweg; Foto: Schreglmann

Anwesen am Nuschweg 7; Foto: Schreglmann

Johann (John) Martin Friedle, geboren 1876, in Detwang, war der Bruder des Detwanger Christian Friedle, der ein ausgewiesener Nationalsozialist war und für die NSDAP im Stadtrat saß. Verheiratet war John M. Friedle mit Irma geborene Esser. Das Paar hatte zwei Kinder, Ingrid Ehrengard (geb. 1934) und Margarete (geb. 1941). Johann Friedle kehrte mit 19 Jahren dem Wilhelminischen Kaiserreich den Rücken und wanderte 1895 in die USA aus, erhielt 1920 die US-Staatsangehörigkeit und nannte sich fortan John. Er wurde in San Francisco ein erfolgreicher Geschäftsmann, erwarb das Vergnügungsunternehmen „Chutes at the Beach“ und verkaufte es im Jahr 1929 für 250.000 US-Dollar an die Firma Whitney Brothers. 1929 kehrte er als Im- und Exporteur für Schaustellungsunternehmen nach Deutschland zurück und vertrat als Generalbevollmächtigter die US-Firma Lusse, die vor allem Auto-Skooter herstellte. Die amerikanischen Scooter-Fabrikanten waren den deutschen weit überlegen. Daher stellten die Amerikaner immer wieder Patentverletzungen der Deutschen fest und schickten John M. Friedle nach Deutschland, um gegen die Patentverletzungen vorzugehen. Daraus entstand ein regelrechter „Staatenkonkurrenzkampf, wobei die Tatsache, dass Friedle US-Bürger war, eine große Rolle spiele“ (Wiedergutmachungsbehörde III Ober- und Mittelfranken 1952).  John M. Friedle arbeitete erfolgreich. „Mit dem Erfolg meiner geschäftlichen Tätigkeit in Deutschland wuchs aus Konkurrenzneid die Gegnerschaft“, gab er 1945 in Rothenburg zu Protokoll der amerikanischen Militärregierung. Auch zog er den Rothenburger Stadtamtmann Hans Wirsching als Zeugen zu, der ihm 1940 gesagt hatte: „Das wäre alles nicht geschehen, wenn du nicht Amerikaner wärst!“

John Friedle mit seiner 1. Frau Elsie

John Friedle mit seiner 1. Frau Elsie

Erfolgreich war auch 1937 seine Beteiligung an der Düsseldorfer Messe „Schaffendes Volk“,  für die er zehn US-Schaustellungsunternehmen gewinnen konnte. Wenige Tage danach wurde John M. Friedle am 22. November 1937 von der Polizei in der Rheinmetropole festgenommen und in das Untersuchungsgefängnis Düsseldorf eingeliefert. Dort erlitt der 61-Jährige einen schweren Nervenzusammenbruch und musste am 14. März 1938 wegen Haftunfähigkeit entlassen werden. Die Staatsanwaltschaft warf ihm vor, sich als Ausländer in den Jahren 1933 bis 1937 in zehn selbstständigen Handlungen gegen das „Volksverratsgesetz“ von 1933, das Devisengesetz von 1935 und die Reichsabgabenordnung verstoßen zu haben (StAN, BLVW 325a). Erst zweieinhalb Jahre später, am 30. März 1940, wurde von der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf unter Aktenzeichen Js 42/38 Anklage erhoben.

Ein Strafverfahren auf tönernen Füßen

Die Verhandlung vor der Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf fand erst im August 1941 statt, die mit einer Verurteilung zu neun Monaten Gefängnis und 9.000 RM Geldstrafe endete (Az KMs 2/41 GStA). Eine Aktennotiz aus dem Verfahren beleuchtet die damalige Rechtsmoral. Aus ihr geht hervor, dass der Verteidiger Friedles, Rechtsanwalt Dr. Fiedler, während des Prozesses ohne Wissen seines Mandanten dem Finanzamt Rothenburg den Vorschlag machte, das Auslandsvermögen John M. Friedles von Schweden und aus den USA nach Deutschland zu transferieren. ohne dass dies die schwedischen bzw. amerikanischen Behörden merken sollten. Damit sollten die vom Finanzamt zu hoch angegebenen Steuerschulden in Höhe von fast 500.000 Reichsmark bezahlt werden, um vor Gericht einen guten Eindruck zu machen. Die Rothenburger waren mit diesem Deal sofort einverstanden, obwohl John M. Friedle wegen eines solchen „Deals“ angeklagt war und das Finanzamt die Steuerschuld wegen eines „Irrtums“ seitens des Finanzamts auf 180.000 RM reduzieren musste. Friedles Auslandsvermögen wurde nicht nach Deutschland geschafft. – Die Geldstrafe des Gerichts wurde mit der Untersuchungshaft verrechnet, die Verbüßung des Strafrests bis zum 28. Februar 1945 mit der Aussicht auf einen Gnadenerweis für den Fall guter Führung ausgesetzt. Die Aussetzung des Vollzugs der Strafe erfolgte aufgrund seiner Haftunfähigkeit (StAN, BLVW 325a).

Esplanate San Francisco im Besitz Friedles gewesen

Esplanate San Francisco im Besitz Friedles gewesen

Die Vorwürfe des Generalstaatsanwalts konnten in der Hauptverhandlung zum größten Teil nicht aufrecht erhalten werden. Dazu Friedle 1945 vor der amerikanischen Militärregierung Rothenburg: „Ich wurde durch die im nationalsozialistischen Reich erlassenen Steuergesetze zu Fall gebracht.“ Damit meinte er die Devisenbewirtschaftung. Ausländer benötigten für alle Planungen und Vorhaben eine Genehmigung der Devisenstellen, was sie zu einem Spielball der Partei und der Behörden machte. Dazu John M. Friedle:

„Infolge meines dreißigjährigen Aufenthalts in Amerika habe ich mir niemals vorstellen können, dass eine Regierung, deren Bürger ich nicht bin, mir verbieten könnte, mit meinem in Amerika verdienten und in Amerika befindlichen Vermögen in den USA Handelsgeschäfte zu betreiben, ohne dass eine Genehmigung von Seiten dieser Regierung vorliegt.“

Die hohen Steuerforderungen des Finanzamts waren fehlerhaft

Während des langjährigen Verfahrens von 1937 bis 1941 wurde Friedles gesamtes in Deutschland befindliches Vermögen beschlagnahmt. Die Generalstaatsanwaltschaft schrieb die Beschlagnahme wohl im Wissen um die Unrechtmäßigkeit ihres Handelns einseitig um in einen „Vertrag“. Nach diesem verpflichtete sich Friedle, sein Vermögen dem Direktor Dr. Paul Hartmann von der Düsseldorfer Treuhandgesellschaft Altenburg & Tewes zu übergeben. Einspruch konnte Friedle nicht erheben. Die Beschlagnahme, so Friedle, sei rigoros von allen Behörden betrieben worden, von der Treuhandgesellschaft ebenso wie vom Hauptzollamt Düsseldorf und vor allem vom Finanzamt Rothenburg ob der Tauber, wobei sich alle nicht an die Maßstäblichkeit ihrer Forderungen hielten. Der Rothenburger Finanzbeamte Paulus hatte, wie 1952 amtlich festgestellt wurde, gegenüber Frau Friedle anlässlich ihrer Vorstellungen im Finanzamt mehrmals erklärt, dass die Situation eine andere wäre, wenn Friedle nicht Amerikaner wäre.

Die ehem. Friedle-Häuser Klingengasse 4 und 4a; Foto: Gußmann (2016)

Die ehem. Friedle-Häuser Klingengasse 4 und 4a; Foto: Gußmann (2016)

Das Finanzamt Rothenburg ob der Tauber schätzte seinen Steuerrückstand auf die astronomisch hohe Summe von 473.100,40 Reichsmark. Dem Angeschuldigten und späteren Angeklagten Friedle wurde keine Gelegenheit gegeben, dieser Summe belegbar zu widersprechen, weil ihm nicht gestattet wurde, in seine beschlagnahmten Geschäftsbücher einzusehen. In Rothenburg war er der Eigentümer der Häuser 4 und 4a in der Klingengasse. In dem letztgenannten Haus verbrachte der Humanist Johannes Böhm bis zu seinem Tod 1535 den letzten Teil seines Lebens. Zudem gehörten Friedle die Häuser am Nuschweg 7 und 9 sowie etliche unbebaute Grundstücke. Er war auch im Besitz einer Reihe durch Hypotheken und Grundschulden gesicherter Forderungen aus Darlehen, die er an Firmen und Privatleute in Rothenburg und Umgebung gegeben hatte. Sein Vermögensverwalter war damals Martin Baumann, jener berüchtigte Immobilienhändler und Steuerberater aus der Schmiedgasse, der kurz vor der Vertreibung der Juden im Oktober 1938 für die NSDAP in deren Wohnungen eindrang, um ihren Besitz zu registrieren, zu bewerten und ihn, nachdem die Juden weg waren, zu verkaufen. 1952 stellte die Wiedergutmachungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth fest, dass allein im Jahr 1937 die Behörden „das Vermögen des John M. Friedle in Höhe von 4 – 500.000 Reichsmark verschleudert“ hatten, obgleich noch gar kein Schuldurteil gefallen war.

Friedles Achterbahn am Strand in San Francisco

Friedles Achterbahn am Strand in San Francisco

Erst nachdem dieses deutsche Vermögen Friedles entzogen war, korrigierte das Rothenburger Finanzamt den Steuerrückstand Friedles „wegen eines Versehens“ von 473.100 RM auf 180.000 RM. Dennoch blieben die Häuser zur Zwangsversteigerung mit der Folge ausgeschrieben, dass Friedle zum Verkauf der Häuser vor der Zwangsversteigerung mit der Drohung, „sonst gar nicht zu erhalten“, genötigt wurde. Die Rothenburger NSDAP kam so in den Besitz des Doppelwohnhaus Klingengasse 4 und 4a (der historische „Deutschherrenhof“) zum Preis von 45.000 RM, das einen Mindestwert von 51.600 RM hatte. Den Kaufpreis kassierte das Finanzamt. Im April 1940 wurde John M. Friedle gezwungen, wie er schreibt, die Villa Nuschweg 9 innerhalb einer Stunde an den Sparkassendirektor Georg Küspert zu verkaufen. Küspert war in der NSDAP Kreishauptstellenleiter und hatte somit den Parteirang eines Politischen Leiters des Kreisstabs. Der Kaufpreis lag bei 14.000 Reichsmark, der reale Wert betrug 25.000 RM. Auch hier ging der gesamte Erlös an das Finanzamt Rothenburg.

NS-Ministerpräsident Siebert argumentierte mit erlogenen Unterstellungen

Der bayerische Ministerpräsident Ludwig Siebert

Der bayerische Ministerpräsident Ludwig Siebert

John M. Friedle wohnte mit seiner Familie noch in dem bereits beschlagnahmten Haus am Nuschweg 7. Dieses wollte der Obergeneralarbeitsführer des Reichsarbeitsdienstes als Alterssitz in Besitz nehmen und bat den bayerischen Ministerpräsidenten Ludwig Siebert um Unterstützung. Die bekam er auch. Mit Rücksicht auf die „großen Verdienste des Obergeneralarbeitsführers von Löffelholz um Partei und Arbeitsdienst“ setzte sich der bayerische Ministerpräsident Siebert persönlich dafür ein, dass Baron Löffelholz das Haus entweder im Zwangsversteigerungswege oder freihändig erwerben konnte. Am 9. Februar 1942 schickte Ludwig Siebert an Bürgermeister Dr. Friedrich Schmidt einen Brief, in dem Rothenburgs Ehrenbürger Siebert sich erlogener zumindest falscher Argumente bediente, wenn er schreibt:

„Ich würde Baron Löffelholz gerne zu der Erfüllung seines Wunsches behilflich sein. Könnte man sich nicht nochmals an den Oberfinanzpräsidenten insbesondere unter Schilderung der Verdienste des Barons Löffelholz um die Bewegung, insonderheit aber um den Reichsarbeitsdienst wenden? Dabei könnte man vielleicht anfragen, ob und welche politischen Schritte man unternehmen könnte. Friedle ist ein ganz schlechter Mensch, wie mir berichtet wurde. Seine kleineren Stiftungen in Rothenburg o. T., für die er sich immer beweihräuchern ließ, hatte er aus seiner Haupteinnahmequelle (Halten eines oder mehrerer Bordelle) finanziert. Ich bin froh, dass er nicht noch Ehrenbürger wurde. Im Übrigen zeigen ja auch seine devisen- und steuerrechtlichen Vergehen, wess‘ Geist der Mann ist. Irgendwelche Schonung verdient er wahrhaftig nicht.“

Damit bezeichnete der Ministerpräsident den Strand-Vergnügungspark für Kinder und Familien in San Fransisco kurzerhand als Bordelle, um Friedle zu diffamieren. Ein ungewöhnlicher Vorgang! Rothenburgs NS-Bürgermeister teilte der Bayerischen Staatskanzlei in München mit, dass auf dem Anwesen von Friedle eine Hypothek von 20.000 RM zugunsten der Stadtsparkasse Rothenburg eingetragen sei, die bereit wäre, sie an Löffelholz abzutreten, sodass gegebenenfalls von seiner Seite selbst die Zwangsversteigerung betrieben werden könnte, da auch Zinsrückstände vorhanden seien. Es gäbe ein Höchstgebot von 35.000 RM, wie aus dem Schreiben des Ministerialrats Bezold an den Obergeneralarbeitsführer in der Kanzlei des Führers vom 2. März 1942 hervorgeht.

Amtsrichter Dr. Schautes verhinderte hartnäckig die Zwangsversteigerung

Auch der Oberfinanzpräsident Nürnberg trug den Wunsch an das Finanzamt  heran, das Haus dem Obergeneralarbeitsführer, Mitglied des Reichstages, Mitglied des Volksgerichtshofs und Inhaber des Goldenen Parteiabzeichens, Freiherrn Löffelholz von Colberg, zu übereignen (BayHStA StK 5542). John Friedle beschrieb 1945 der US-Militärregierung die damalige Situation:

„Löffelholz kam nach Rothenburg und erzwang sich die Besichtigung des Anwesens, in dem ich mit meiner Frau und zwei unmündigen Kindern noch wohnte. Löffelholz wollte die Durchführung der angeordneten Zwangsversteigerung beim Amtsgericht Rothenburg erwirken, um so ganz billig in den Besitz des Anwesens zu kommen. Das Amtsgericht Rothenburg lehnte das Verlangen des Löffelholz ab, obwohl der amtierende Richter [Dr. Schautes] unter Druck gesetzt und ihm der Vorwurf gemacht wurde, er ,handle nicht nach nationalsozialistischem, sondern nach formalem Recht. Der Amerikaner sei ein Devisenschieber, ein Staatsverbrecher, ein Feind des deutschen Volkes, er, der Richter, schütze Friedle, der ein Lump sei’. Löffelholz versuchte nach der erfolglosen Erpressung des Richters über den Oberfinanzpräsidenten Nürnberg bzw. dem Finanzamt Rothenburg die Zwangsversteigerung trotzdem durchzuführen. An der Hartnäckigkeit des Richters scheiterten die Versuche. Um den immer größer werdenden Druck zu entgehen, kauften Freunde meiner Frau für meine Frau das Anwesen, um mir und den Kindern die Wohnung zu erhalten.“

Insgesamt hat das Rothenburger Finanzamt durch die Zwangsverkäufe 168.000 Reichsmark auf die angebliche Steuerschuld von 180.000 RM erhalten. John M. Friedle verlor inzwischen nicht nur Hab und Gut sondern auch seine Erwerbstätigkeit. Er schreibt dazu:

„Das Finanzamt wusste auch, dass ich um mich, meine Frau und zwei unmündige Kinder ernähren zu können, gezwungen war, als fast siebenzigjähriger Mann zu einem Wochenverdienst von 25 RM als Chauffeur zu arbeiten. Trotzdem wurden mir keine Billigkeitsgründe zugemessen, sondern in brutaler Weise ging das Finanzamt gegen mich vor, weil ich ein Amerikaner war und mit der NSDAP nicht sympathisierte. Das  neben dem Steuerveranlagungsverfahren laufende Steuerstrafverfahren wurde vom Finanzamt Rothenburg in arglistiger Weise dazu benutzt, um von mir die Anerkenntnisse der Steuerbescheide im Steuerveranlagungsverfahren zu erpressen.“

Finanzamt Rothenburg vertuschte ihr eigenes arglistiges Handeln

Eingang des Finanzamts Rothenburg heute; Foto: Oliver Gussmann

Eingang des Finanzamts in Rothenburg heute; Foto: Oliver Gussmann

Zu dem kommt noch hinzu, dass das Finanzamt Rothenburg John M. Friedle nicht über das auf ihn zutreffende Amnestiegesetz von 1939 informiert hatte, wie es das Gesetz verlangte, sondern das Strafverfahren aufrecht erhielt, auch nachdem der Oberfinanzpräsident Nürnberg das Rothenburger Finanzamt zur Einstellung des Verfahrens aufgefordert hatte. Obwohl damit das Verfahren gegen Friedle eingestellt war, sagten die Rothenburger Finanzbeamten Friedle nichts, sondern verlangten weiterhin 25.000 RM Geldstrafe, reduzierten sie „wohlwollend“ auf 15.000 RM und stellten ihm in Aussicht, wenn er durch Unterschrift seine Schuld anerkenne, würden sie auch auf diese 15.000 RM verzichten. John M. Friedle unterschrieb. Dieses Verhalten der Rothenburger Finanzbehörde war auch im damaligen Unrechtsstaat eine Straftat. Nach Unterschrift erließen sie ihm die 15.000 RM Strafe. Dann begann die Vertuschung. Dem Rothenburger Finanzamt schrieb der Oberfinanzpräsident Nürnberg einen Mahnbrief, dass das gegen Friedle laufende Steuerstrafverfahren endlich „zu beenden sei, damit die ordentlichen Gerichte nicht die Fehler erfahren, die in diesem Verfahren gemacht worden sind“ (Akte Finanzamt Rothenburg Amtsgericht Dr. Schautes). – Der Leiter des Finanzamtes war Pg. Regierungsrat Dr. Hermann Wolz, Kreisobmann des NS-Rechtswahrerbundes in Rothenburg.

John M. Friedle forderte im Juli 1945 die amerikanische Militärregierung in Rothenburg auf, alle seine dem Finanzamt gegenüber unter Druck abgegebenen Erklärungen, „gleich welcher Art, wegen arglistiger Täuschung“ für ungültig zu erklären. Zudem beantragte er die Rückzahlung der 168.000 Reichsmark, die das Finanzamt Rothenburg eingenommen hatte, den Erwerb seiner Häuser durch die NSDAP und den Sparkassendirektor Küspert rückgängig zu machen, die frühere Steuerveranlagung beim Finanzamt Rothenburg aufzuheben und eine neue auszustellen. John M. Friedle erlebte die weitere Entwicklung seines Falles nicht mehr. Er starb nach längerer Krankheit am 26. Februar 1950 in San Francisco. Seine Frau und seine beiden Kinder waren in Rothenburg zurückgeblieben. In seinem am 2. Januar 1947 in San Francisco unterschriebenen Testament vermachte er die Hälfte seines Nachlasses seiner Frau Irma und je ein Viertel seinen beiden Töchtern. Der Nachlass umfasste Häuser, Grundstücke und Wertpapiere.

Enterbung seiner nationalsozialistischen Herkunftsfamilie in Detwang

Todesanzeige im Fränk. Anzeiger

Todesanzeige im Fränkischen  Anzeiger

Interessant ist eine Enterbung in dem Testament, die sich auf seine eigene Detwanger Familie bezieht, aus der er kam. Wie eingangs erwähnt war sein Bruder Christian Friedle Mitglied in der NSDAP, hatte Funktionen in der Partei und saß für sie im Rothenburger Stadtrat. Wie sich die Familie in der Auseinandersetzung ihres engen Familienmitglieds mit der Justiz und dem Finanzamt in den Jahren 1937 bis 1941 verhielt, ist hier nicht bekannt und auch nicht aktenkundig. In den Schriftstücken und Schreiben John Friedles kommt seine Familie in Detwang gar nicht vor. Weder vor 1945 noch danach. So, als hätte es sie gar nicht gegeben. Ohne seine Detwanger Familie namentlich zu nennen, hat er sich ihr in seinem Testament gewidmet. Allerdings in nur einem einzigen langen und juristisch abgefassten Satz. Er klingt wenig schmeichelhaft für die Familie. Auf Seite 2 der deutschen Abschrift steht unter Viertens:

„Ich habe absichtlich alle diejenigen meiner Erben übergangen, die hierin nicht ausdrücklich genannt sind, und hiermit enterbe ich jede und alle Personen allgemein und ausdrücklich, die behaupten, meine Erben zu sein oder kraft Gesetzes als meine Erben ermittelt werden, sofern nicht in dieser letztwilligen Verfügung ein anderes bestimmt ist, und wenn solche Personen oder Erben oder ihre Rechtsnachfolger, die im Falle meines Todes anteilsmäßig erbberechtigt wären, direkt oder indirekt, für sich oder in Gemeinschaft mit einer anderen Person, versuchen sollten, einen Anspruch auf meinen Nachlass oder einen Teil davon zu erheben oder geltend zu machen, der nicht im Einklang mit dieser letztwilligen Verfügung steht, oder eine ihrer Bestimmungen einzuschränken, außer Kraft zu setzen oder aufzuheben, oder wenn sie den Versuch machen sollten, ihren Anspruch mittels eines Vergleichs mit einem der durch diese letztwillige Verfügung Bedachten durchzusetzen, so gebe und vermache ich jedem der vorerwähnten Fälle solcher Person den Betrag von einem ($ 1,00) Dollar und nicht mehr an Stelle eines etwaigen sonstigen Anteils, auf den sie nach den gesetzlichen Bestimmungen einen Anspruch haben mag; und wenn ein Vermächtnisnehmer oder Bedachter diese letztwillige Verfügung oder einen Teil davon anficht, so widerrufe ich hiermit der Vermächtnis gegenüber einer solchen Person und gebe und hinterlasse ihr hiermit den Betrag von ($ 1.00) Dollar wie hierin ausgeführt.“

 Als John M. Friedle im fernen Amerika starb, veröffentlichte die Detwanger Friedle-Familie im März 1950 Trauer- und Dankanzeigen im „Fränkischen Anzeiger“, in denen neben der Frau und den Kindern auch sein Bruder Christian seiner Trauer Ausdruck gab. 1952 wurde vor der Wiedergutmachungsbehörde Ober- und Mittefranken in Fürth das Wiedergutmachungsverfahren zugunsten der Erben John M. Friedles eröffnet.

Siehe auch:

  • Wiedergutmachung (11): US-Bürger John M. Friedle stellte 1948 Rückerstattungsantrag, um die vom Finanzamt abgepressten Häuser wieder zu bekommen. Die Witwe hatte wenig Erfolg

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Friedle Curt_Loeffelholz_von_ColbergCurd Freiherr Löffelholz zu Colberg: Geboren 1874 in Ansbach, gestorben 1. April 1945 in Marquartstein, NSDAP-Politiker. Am 1. April 1933 wurde von Colberg zum Führer im Arbeitsdienst ernannt. Am 1. November 1933 folgte seine Ernennung zum Chef des Personalamtes der Reichsleitung des Arbeitsdienstes im Reichsarbeitsministerium. 1935 wurde er als Reichsarbeitsdienst-Direktor in den Reichsarbeitsdienst überführt und noch im selben Jahr zum Generalarbeitsführer ernannt. Am 1. April 1937 wurde er schließlich zum Inspekteur für das gesamte Personalwesen des Reichsarbeitsdienstes ernannt. Im Rang eines Obergeneralarbeitsführers schied Löffelholz von Colberg am 30. November 1939 altersbedingt aus dem Reichsarbeitsdienst aus, rückte in den Reichstag ein, wurde Mitglied des Volksgerichtshofs und war 1940 in der Kanzlei des Führers tätig.

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Quellen: Dank an das Staatsarchiv Nürnberg!  Staatsarchiv Nürnberg, Außenstelle Lichtenau, Wiedergutmachung III, III a 5640. – Bremer Passagierliste Bremen-New York, Landesarchiv Bremen.

 

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