Die NSDAP trimmte auf ihren Ordensburgen begeisterte junge und auserwählte Nationalsozialisten zur künftigen Partei-Elite. Der Rothenburger Ordensjunker Edwin Böhm war dabei

Ordensburg Vogelsang in der Eifel in den 1940er-Jahren; Foto: Vogelsang ip

Ordensburg Vogelsang in der Eifel in den 1940er-Jahren; Foto: Vogelsang ip

Von Wolf Stegemann

Zwischen 1934 und 1937 richtete die NSDAP unter der Bezeichnung Ordensburgen drei Ausbildungsstätten für zukünftiges Führungspersonal der Partei ein, die dem Chef der Deutschen Arbeitsfront (DAF) Robert Ley unterstanden. NS-Ordensburgen waren Neubauten, nicht aber umfunktionierte mittelalterliche Burgen. Doch waren die mittelalterlichen Deutschordensburgen, eine Mischung aus Burg, Kloster und Kaserne, Vorbilder. Neu gebaut und in Betrieb genommen wurden die Ordensburgen Vogelsang in der Eifel, Sonthofen im Allgäu und Krössinsee in Pommern. Andere waren in Planung, konnten aber nicht mehr errichtet werden.

Drei Ordensburgen: Krössinsee, Vogelsang, Sonthofen

Ordensburg Vogelsang

Vogelsang: Ordensjunker marschieren

Das parteiliche Ausbildungskonzept auf den drei Ordensburgen der NS-elitären Lehrgangsteilnehmer, die Ordensjunker genannt wurden, sah im Sinne des menschenverachtenden Nationalsozialismus die charakterliche Bildung (Krössinsee), die „Rassische Philosophie der neuen Ordnung“ (Vogelsang) sowie Verwaltungs-, Militäraufgaben und Diplomatie (Sonthofen) vor. In dieser Reihenfolge durchliefen die Ordensjunker jeweils für ein Jahr die Lehrgänge auf den Ordensburgen.
Die für die Schulung zugelassenen Ordensjunker mussten sich in der NSDAP oder einer ihrer angeschlossenen Verbände bewährt haben und zwischen 25 und 30 Jahren alt sein. Nach Abschluss dieser dreigliedrigen ideologischen Schulung sollten die Absolventen Führungsstellen als politische Leiter in der Partei und im Staat übernehmen. Lehrgänge wurden ab 1936 durchgeführt; in Vogelsang und in Krössinsee durchliefen schätzungsweise 2.000 Männer die ideologische Schulung. Ordensjunker, die, so Franz Albert Heinen in seinem Buch „Gottlos, schamlos, gewissenlos. Zum Osteinsatz der Ordensburg-Mannschaften“ zu den „skrupellosesten und fanatischsten“ Führern gerechnet wurden, nahmen gerade im Osten führende Stellungen in der deutschen Zivilverwaltung ein, etwa als Gebietskommissare in den Reichskommissariaten Ukraine und Ostland. In diesen Dienststellen waren die Ordensburg-Angehörigen maßgeblich an den NS-Verbrechen beteiligt, nicht zuletzt an der planmäßigen Ermordung der jüdischen Bevölkerung. Bei den Ansiedlungen volksdeutscher Umsiedler 1939 und 1940 im besetzten Gebiet leisteten die Ordensburgen mit Bussen logistische Unterstützung durch den Transport (Heinen).

Edwin Böhm in Krössinsee und Vogelsang

Einer jener 2.000 Ordensjunker, die bereits die Ausbildung bis zur pommerschen NS-Ordensburg Krössinsee durchlaufen hatten, war der Rothenburger Edwin Franz Böhm. Ältere Rothenburger mögen ihn aus der Zeit kennen, als er in den 1950er- und 60er-Jahren als Teilhaber der Firma Auto-Edelhäuser und Söhne, bei ihm als Fahrlehrer den Führerschein machten. Ob er zu dieser Zeit noch rechtem Gedankengut anhaftete, ist nicht bekannt. Doch lässt sich aus seinem selbstgeschriebenen Lebenslauf, den er in den 1950er-Jahren verschickte, aufschlussreich herauslesen, dass er voller Stolz auf seine braune Karriere als Ordenjunker zurückblickte.

Der Neusitzer RAD-Mann rührte in Rothenburg die Trommel

Edwin Böhm (M.) im RAD-Lager Rothenburg

Edwin Böhm (M.) im RAD-Lager Rothenburg

Jahrzehnte zuvor war Edwin Böhm, der 1915 in Neusitz geboren wurde, ein eifriger und überzeugter Nationalsozialist, der sich auch an Aktionen gegen jüdische Bürger tatkräftig beteiligte. Zum Beispiel war er der junge Mann, der die Trommel schlug, mit der er am 6. August 1933 der Gruppe von Reichsarbeitsdienst- und SA-Männern sowie sonstigen Antisemiten vorausging, die den jüdischen Kaufmann Leopold Westheimer barfuß mit einem umgehängten „Rassenschänder“-Schild durch die Stadt schleppten. Sie hatten ihm die Füße blutig getreten und Edwin Böhm ging der Gruppe mit der Trommel voraus. Edwin Böhm war damals gerade 18 Jahre alt und Reichsarbeitsdienstmann im RAD-Lager am Topplerweg. Warum er sich als Trommler dieser menschenverachtenden und schändlichen Tat hinreißen ließ, ist nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass er als kaufmännischer Lehrling von 1929 bis 1932 im jüdischen Textilhaus Heumann & Strauß in der Herrngasse 2 gelernt hatte. Dieser bei seiner Biografie doch recht verwunderliche Umstand, den er in seinen Rentenversicherungsangaben 1952 machte, kommt in den sonstigen bekannten Unterlagen wie die seines Entnazifizierungsverfahrens von 1948, in dem er zahlreiche „Persilscheine“ zur Entlastung erhielt, nicht vor. Wie auch immer. Sein damaliger jüdischer Chef Adolf Heumann galt als sehr zuvorkommend und hilfreich, der seinen Angestellten nicht nur mit Rat, sondern auch sachlich geholfen hatte, wenn sie in Not waren, wie die ehemalige Angestellte Marianne Bach vor der Rothenburger Spruchkammer 1949 aussagte.

Böhms NS-Hochzeit mit ... Edelhäuser auf  der Ordensburg1938

Böhms NS-Hochzeit mit Annemarie Edelhäuser auf der Ordensburg1938

Böhm strebte die Parteikarriere als Politischer Leiter an

1932 trat Edwin Böhm in die Hitler-Jugend ein, wurde Kameradschaftsführer, was nun gar nicht mit seiner Arbeitsstelle bei einem Juden zusammenpasste. Zudem war er Mitglied in der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und anderen NSDAP-Gliederungen. Böhm verließ seine Arbeitsstelle im Textilhaus Heumann & Strauß und trat 1933 in den Freiwilligen Arbeitsdienst ein, aus dem die Nationalsozialisten den Reichsarbeitdienst machten. Für seine frühe Mitgliedschaft in der Hitlerjugend erhielt er das HJ-Ehrenzeichen. 1937 trat er in die Partei ein (Nr. 4.166.812), strebte eine Parteikarriere als „Politischer Leiter“ an und bewarb sich daher zur Parteischulung als Ordensjunker. Seine Rothenburger Parteiaktivitäten scheinen dazu ausreichend gewesen zu sein, denn er durchlief als erste Station die pommersche Ordensburg Krössinsee zur nationalsozialistischen Charakterbildung, danach die ideologische Rassenschulung auf Vogelsang, wo er 1938 seine Braut Annemarie Edelhäuser aus Rothenburg heiratete. Dem Ehepaar sollten zwei Söhne geboren werden: Volker und Gernot.

Einsatz in Rothenburg als weltanschaulicher Redner der NSDAP-

Edwin Böhm

Edwin Böhm

Der Ausbruch des Krieges verhinderte den Besuch der dritten Ordensburg. Edwin Böhm wurde 1939 zur Wehrmacht einberufen und führte ab 1940 als Leutnant eine Kompanie in die Besatzungsgebiete Polens und Russlands (Besatzungsheer). In Warschau wurde er schwer verwundet und kam nach Rothenburg ins Lazarett, danach nach Dänemark. Während über seine Einsätze als Kompanieführer im Osten und in Dänemark kaum etwas bekannt ist, so rückte Edwin Böhm ab 1943 wieder mehr in das Blickfeld der Rothenburger. Von Dänemark holte ihn die Rothenburger Kreisleitung zurück an die Heimatfront. Die Partei im Gau Franken suchte 1944 parteigeschulte Wehrmachtsoffiziere für einen Einsatz in der Heimat. Die Propagandaoffensive der NSDAP hieß: „Einsatz von weltanschaulichen Rednern im Offiziersrang der Wehrmacht.“ Nationalsozialistische Führungsoffiziere sollten als hauptamtliche Politische Leiter in den Kreisleitungen die militärische Ideologie gegen Ende des Krieges in der Partei festigen. Dazu war Edwin Böhm als Kreisstabsamtsleiter und Kreisredner vom Abschnittsleiter des NSDAP-Kreisschulungsamts, Burkhard, am 20. Januar 1944 gemeldet worden. Edwin Böhm kam sodann von Dänemark in die NSDAP-Kreisleitung Rothenburg und wurde als „Ordensjunker zur praktischen Schulung“ eingesetzt. Dies sagte 1946 eine frühere Mitarbeiterin der Kreisleitung vor der Spruchkammer aus. Im August 1948 stufte ihn die Spruchkammer als Mitläufer (Kategorie IV) ein.

Internierung in Hammelburg, Entnazifizierung in Rothenburg

Edwin Böhm wurde von 1945 bis 1946 im Lager Hammelburg interniert, war von 1947 bis 1948 als kaufmännischer Angestellter in der Firma Heinrich Schmidt tätig. 1949 trat er als Teilhaber in die Firma Auto-Edelhäuser und Söhne ein. Mit der Familie Edelhäuser war er über seine Frau verwandt. Seinen Einsatz als Ordensjunker in der Rothenburger Kreisleitung beschrieb Theodor Seyfried, ehemaliger Nationalsozialist, 1948 so:

„Ich lernte Herrn Böhm gelegentlich seiner Einsätze, die er als Ordensjunker bei der früheren Kreisleitung Rothenburg abzuleisten hatte, als einen Mann von stark idealistischer Gesinnung kennen, der seine Handlungen von dieser Gesinnung her bestimmte. Er glaubte durch seinen Dienst in der NSDAP dem Fortschritt der menschlichen Gesellschaft zu dienen. Von einer einmal gefassten Meinung ließ er sich nicht abbringen.“

Und ein Inspektor namens P. F. Waldmann aus Augsburg, der in Edwin Böhms 7. Kompanie des Regiments 290 seit 1942 war, schrieb in seiner für Böhm positiven eidesstattlichen Erklärung zur Vorlage bei der Spruchklammer Rothenburg (ohne Datum):

„Herr Böhm besitzt die Charaktereigenschaft, die zu allen Zeiten einen anständigen Deutschen gekennzeichnet haben.“

Siehe weiterführenden Artikel:
Entnazifizierung (11): Am Fall Edwin Böhm sind die Probleme zu sehen, nach welchen Maßstäben die Spruchkammern ihre oft widersprüchlichen Urteile bildeten

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Quellen/Literatur: Stadtarchiv Rothenburg ob der Tauber, Nachlass Böhm. – Staatsarchiv Nürnberg, Spruchkammer Rothenburg ob der Tauber, Nr. 7628/Ro/B. – Wikipedia (Aufruf 2015 „Ordensburgen“). – Franz Albert Heinen in „Gottlos, schamlos, gewissenlos. Zum Osteinsatz der Ordensburg-Mannschaften“ (Düsseldorf, 2007). – Literatur: Hans-Dieter Arntz: „Ordensburg Vogelsang 1934–1945. In: Deutschland-Archiv. Drittes Reich. Dokumente.“ Archiv-Verlag, Braunschweig 2008 (Loseblatt-Sammlung). – Paul Ciupke, Franz-Josef Jelich (Hrsg.): „Weltanschauliche Erziehung in Ordensburgen des Nationalsozialismus. Zur Geschichte und Zukunft der Ordensburg Vogelsang.“ Klartext, Essen 2006 (Geschichte und Erwachsenenbildung. Bd. 20). – Ders. „NS-Ordensburgen. Vogelsang, Sonthofen, Krössinsee“, Ch. Links Verlag, Berlin 2011. – Ders. „Vogelsang. Im Herzen des Nationalparks Eifel. Ein Begleitheft durch die ehemalige NS-Ordensburg“. Gaasterland Verlag, Düsseldorf 2006. – Michael Schröders: „Eine Revolution unseres gesamten Geschichtsbildes? Erich Maschke, die NS-Geschichtsideologie und die politische Schulung in Ordensburgen der NSDAP“ in: Nationalsozialismus im Kreis Euskirchen“, Bd. 3: Kultur, Wirtschaft, Tourismus. Hg. vom Geschichtsverein des Kreises Euskirchen, Euskirchen 2001.
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