Der Verlag Schneider hat den Kaiser, zwei Kriege, Weimar und Hitler überstanden – und behauptet sich in der demokratischen Gegenwart

Von Wolf Stegemann

Für die starke Hinwendung des „Fränkischen Anzeigers“ zum Nationalsozialismus bereits vor 1933 und die Vereinigung mit ihm danach zeichnete vor allem der 1879 geborene Hans Schneider verantwortlich. Er war der Sohn des Rothenburger Druckereibesitzers Conrad Schneider. Seine Berufslaufbahn begann schon als 16-Jähriger in der väterlichen Buchdruckerei und im „Fränkischen Anzeiger“. 1908 wurde er Prokurist und 1912 Chefredakteur des „Fränkischen Anzeigers“. Letzteres blieb er bis 1936. Ein sich verstärktes Augenleiden zwang ihn, den Posten des Chefredakteurs abzugeben, die Geschäfte der Druckerei in der Hofbronnengasse leitete er – zusammen mit Hermann Zwedling („Onkel Hermann“) – bis zum Herbst 1945 weiter.

Verlagshaus und Druckerei damals in der Hofbronnengasse

Verlagshaus und Druckerei damals in der Hofbronnengasse

In einer Laudatio zu seinem 70. Geburtstag wird Hans Schneider 1949 als „Zeitungsmann im wahrsten und besten Sinne des Wortes“, als ein Journalist „vom alten Schlage und aus der alten Schule“ bezeichnet. Aus heutiger Sicht und mit dem heutigen Wissen lässt sich diese Beurteilung nicht aufrecht halten. Auch die Beurteilung, Hans Schneider gingen „die Interessen seiner geliebten Rothenburger Heimat“ über alles „und standen stets im Vordergrund seiner Arbeit“. Diese 1949 veröffentlichte Bewertung lässt vor dem Hintergrund seines Einsatzes für den Nationalsozialismus in Rothenburg und für die Rothenburger NSDAP auch eine andere Deutung zu.

Der Erste Weltkrieg selbst und die Zeit danach waren für viele Menschen, Parteien und Unternehmen mit ihren Brüchen schwere Jahre. Folgt man Schneiders Würdigung, dann war er der „Typ des von seinem Berufe besessenen Heimatredakteurs“, dessen Arbeit für „Rothenburger Heimatinteressen durch Jahrzehnte hinweg unendlich ersprießlich …Seine Arbeit habe „uns allen Segen und Nutzen gebracht“, ist zu lesen. Immerhin war Hans Schneider 24 Jahre lang Chefredakteur der Zeitung. In einem Vierteljahrhundert häufen sich viele Verantwortungen auf, an die man in einer späteren Betrachtung gemessen werden kann, wie an der durchgeführten Arisierung 1938 des Haues in jüdischem Besitz in der Herrngasse 26. Als Käufer trat die Schneider’sche Buchdruckerei OHG Gebr. Schneider auf (eine Artikelreihe über die „Arisierung“ jüdischer Häuser, darunter das Synagogengebäude, in Rothenburg ist in Vorbereitung).

Ehrenmitglied im Verein „Historischer Schäfertanz“

Hans Schneider wirkte ab 1922 im Hauptausschuss des Vereins „Historisches Festspiel“, wurde 1929 Ehrenmitglied und war nach Kriegende dessen Schriftführer. Auch um das deutsche Liedgut hat sich der Verleger verdient gemacht. Von 1920 bis 1936 war er Vorstand des Gesangvereins Rothenburg 1842, Vorstandsmitglied des Sängergaues Südwest, von 1938 bis 1945 Sängergauführer des Sängergaues Südwest im Fränkischen und Deutschen Sängerbund, der die Städte und Landkreise Rothenburg ob der Tauber, Ansbach, Gunzenhausen, Feuchtwangen und Dinkelsbühl umfasste. Zudem war Hans Schneider Sängerkreisführer des Sängerkreises Rothenburg, dessen Ehrenvorsitz er zugleich innehatte. In weiteren Gesangvereinen in Wien, Dresden und im Volkschor Rothenburg ob der Tauber fungierte er als Ehrenmitglied. Sein Verlag lobte ihn mit den Worten: „Der Fränkische Anzeiger, der unter der redaktionellen Leitung des Jubilars immer mehr blühte und gedieh, dankt dem […] Berufskameraden für sein unermüdliches Schaffen…!“

Belegschaftsfeier Gebr. Schneider am 26. Mai 1937

Belegschaftsfeier Gebr. Schneider am 26. Mai 1937

Darin enthalten sind auch die vielen Jahre, in denen der „Fränkische Anzeiger“ das hässliche Gesicht einer öffentlich verordneten Intoleranz zeigte. Nach dem Tod der Seniorchefin Lisette Schneider, die 1926 auf dem Weg zum Ostergottesdienst im Friedhof, einem Herzschlag erlag, verjüngte sich mit deren Söhnen Fritz und Hermann Schneider die Führungsmannschaft des Unternehmens. Die Verlagsleitung übernahm Fritz, der in München sein Studium beendet hatte. Sein Bruder Hermann, der im Betrieb das Handwerk des Buchdruckers gelernt und die Meisterschule für das Grafische Gewerbe in Elberfeld-Barmen absolviert hatte, übernahm die technische Leitung des Betriebs. Ihm zur Seite stand ab 1928 Otto Göppel. Hermann Schneiders Name taucht auch immer wieder als Fotograf unter den Bildern im „Fränkischen Anzeiger“ auf.

Die Jahre der Wirtschaftsflaute von 1927 bis 1931 gingen auch an dem Druckereibetrieb Schneider nicht spurlos vorüber. Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und allgemeine Notstände waren die Folge. In der Firmenchronologie, 1966 geschrieben und veröffentlicht, stand dann der beim Lesen wie befreiend und erhoffend wirkende Satz: „Dann kam das Jahr 1933! Die neue Zeit! Die Nationalsozialisten hatten die Macht übernommen.“

Verlag und Druckerei dienten sich dem NS-Regime und der örtlichen NSDAP an, das Unternehmen florierte auch durch Druckaufträge. (Über die Entwicklung der Zeitung in der NS-Zeit informiert der Artikel „Der „Fränkische Anzeiger stand schon vor 1933 im Dienst des Nationalsozialismus…“). 

Im Krieg starke Einschränkungen

Für das Unternehmen bedeutete der Kriegsausbruch 1939 starke Einschränkungen. Mitarbeiter wurden eingezogen, Ersatzleute mussten angelernt werden, Kriegslasten führten zu Einschränkungen auf allen Ebenen. Die Papierzuteilung wurde rationiert, so dass der „Fränkische Anzeiger“ in den letzten Kriegsjahren manchmal nur noch mit vier Seiten erscheinen konnte, das letzte Mal am 31. März 1945, an jenem Tag, an dem die Stadt bombardiert wurde.

Nach 1945: Betrieb teilweise demontiert – führende Mitarbeiter in Haft

Nachdem die Amerikaner in Rothenburg eingerückt waren und die US-Militärregierung die Verwaltung übernommen hatte, wurde nach verantwortlichen Nationalsozialisten gesucht und diese dann interniert. Verleger Hermann Schneider wurde festgenommen und arretiert. Sein älterer Bruder Fritz, der im Krieg einer Propagandakompanie der Luftwaffe angehörte, saß in Berlin fest. Willi Junker, Chefredakteur des „Fränkischen Anzeigers“ seit 1936, wurde ebenfalls festgenommen und verbrachte einige Jahre im Internierungslager (über die Entnazifizierung von Rothenburgern ist eine Artikelserie in Vorbereitung). Eine Druckmaschine wurde demontiert und nach Ansbach verbracht. Sie wurde erst nach einen drei Jahren und einem langwierigen Rechtsstreit zurückgegeben. Das „Siemens-Hell-Schreibgerät“, das ebenfalls demontiert und nach Coburg verbracht worden war, blieb für die Druckerei verloren. Später verfügte die US-Kreis-Militärregierung, dass die Druckerei ihre Geschäfte wieder aufnehmen durfte (ohne Herausgabe der Zeitung). Allerdings erlaubten die Amerikaner nicht, dass ein Mitglied der Familie Schneider wieder die Leitung übernahm, sondern es wurde ein „Treuhänder“ eingesetzt, der sich an die strengen Regeln der Militärregierung zu halten hatte. Dazu gehörte die Vorlage eines jeden Druckauftrags bei den Amerikanern, die dazu ihre Genehmigung gaben – oder auch nicht. Erst als Fritz Schneider 1947 aus Berlin wieder nach Rothenburg zurückkam, durfte er sich um den Aufbau des Unternehmens kümmern und in beschränktem Maße wieder Drucksachen für Geschäfte und Behörden sowie den „Neuen Rothenburger Kalender“  herstellen.

Keine Lizenz zur Herausgabe der Zeitung

1946 war die Herausgabe von Zeitungen wieder erlaubt. Die Amerikaner vergaben an nicht belastete Verlagshäuser Lizenzen. Wegen der nationalsozialistischen Vergangenheit des Schneiderschen Unternehmens, das auch antisemitische Literatur druckte, wurde dem Unternehmen keine Lizenz erteilt. Erst nachdem die Amerikaner am 22. August 1949 den Lizenzzwang aufgehoben hatten, konnte die Zeitung wieder erscheinen. Das war  bereits am 1. September 1949 (siehe folgenden Artikel über die Erstausgabe des „Fränkischen Anzeigers“). Fritz Schneider kümmerte sich mit dem Chefredakteur Armin Groß (Rothenburg) vor allem um den Wiederaufbau der Zeitung, die im Laufe der vielen Jahrzehnte am Auf und Ab, an den politischen Brüchen und Herausforderungen teilgenommen hatte, ob unter dem bayerischen König oder den deutschen Kaiser, ob in der Weimarer Republik mit ihrem Versuch der Demokratisierung, an deren Scheitern auch der „Fränkische Anzeiger“ – wie viele andere auch  – ihren Anteil hatten. 1966 schrieb der „Fränkische Anzeiger“ in eigener Sache:

Im Hinblick auf die Umwälzungen auf politischem und wirtschaftlichem Gebiet ist auch die Frage nach einer Ausschau in die Zukunft berechtigt. […] Im Blick auf  die hinter uns liegenden schweren Zeiten des wirtschaftlichen Zusammenbruchs als Kriegsfolge sollte es für alle, nicht nur für den Verleger und die Mitarbeiter, sondern auch für die breite Öffentlichkeit eine wichtige Aufgabe sein, in verständnisvoller Gemeinschaftsarbeit das Wiederereichte zu bewahren und zu fördern, damit der „Fränkische Anzeiger“ auch die Zukunft unserer Heimat mitgestalten kann. Wir wollen einstehen für eine lebendige Wirklichkeit, für ein Mitleben mit allen Ereignissen in unserer Stadt und ihrer Nachbarschaft, den großen wie den kleinen. […] Der „Fränkische Anzeiger“ hat sich in Stadt und Kreis Rothenburg einen historisch begründeten Platz geschaffen und sich durch alle Wirren der letzten hundert Jahre deutscher und Rothenburger Geschichte behauptet. Er hat seine Existenz durch gute Leistung gerechtfertigt. Er wird seine Aufgabe im Dienste der Heimat auf ferner als Verpflichtung auffassen. Und dass seine Arbeit in Gegenwart und Zukunft fruchtbar sein möge, dass ist unser Wunsch! […] Möge der gute Geist, der einst die Gründer und Träger der Heimatzeitung erfüllte, auch lebendig sein in der Arbeit unserer Gefolgsleute von heute und all derer, die sich mit uns verbunden  wissen!“

Gefolgsleute? … im Dienst der Heimat? … in der Geschichte behauptet? – War dieser Sprachgebrauch, der stark an eine Zeit von vor 1945 erinnert, noch der der 1960er-Jahre mit Elvis Presley, Cornelia Froboess und Peter Kraus, den Beatles und dem Rock’n’Roll, mit Flower Power und Bob Dylans „Blowing in the Wind“, mit Bikini und Minirock? – Zukunftgerichtet war dieser Sprachgebrauch sicherlich nicht. Dies und der „Mief von tausend Jahren unter den Talaren“ motivierte schließlich auch die „1968er“ zu ihren Aktionen.

_______________________________________________________________

Quellen: „Fränkischer Anzeiger“: „Die Aufgabe der Presse im nationalsozialistischen Staat“ vom 16. März 1937. – FA vom 9. März 1933, 26. Mai 1933, 3. April 1934, 14. April 1934, 1. Nov. 1934, 11. Apr. 1935, 15. Apr. 1935,  26. Juli 1935, 21. Sept. 1936, 1. Okt. 1936. – Rückblick im FA „100 Jahre Fränkischer Anzeiger“, 1966. – Gespräch mit Verleger Wolfgang Schneider und Chefredakteur Dieter Balb am 19. September 2014. 

 

Dieser Beitrag wurde unter Erste Nachkriegsjahre, Personen / Porträts, Presse, Verlage / Literatur, Verlage / Schrifttum, Zeitungen abgelegt und mit , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Ein Kommentar zu Der Verlag Schneider hat den Kaiser, zwei Kriege, Weimar und Hitler überstanden – und behauptet sich in der demokratischen Gegenwart

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert