Der jüdische Kaufmann Bruno Westheimer beschwerte sich mit Erfolg über den Stadtrat, worauf Bürgermeister Dr. Schmidt ihn von der Polizei beobachten ließ, um ihn als „Rassenschänder“ bei der Gestapo melden zu können

Brüder Ivan und Bruno (re.) Westheimer

Brüder Ivan und Bruno (re.) Westheimer

Von Wolf Stegemann

Dass die Stadtbehörden im Rathaus mit der NSDAP-Kreisleitung bei der Drangsalierung und Entrechtung der jüdischen Einwohner an einem Strang zogen, mochten nach dem Krieg und mögen auch heute noch viele Rothenburger nicht hören. Auch die Stadtverwaltung und deren politische Vertreter taten nach 1945 so, als hätte sie mit den antisemitischen Ereignissen bis 1945 nichts zu tun. Die Akten sagen anderes. Die Verwaltung war von 1933 bis 1945 stets folgsamer Erfüllungsgehilfe der Partei und musste dafür sorgen, dass Gesetze und Anordnungen verwaltungsrechtlich zum Erfolg geführt wurden. Darüber hinaus beteiligte sich die nationalsozialistische Stadtverwaltung als Nutznießer auch an der Arisierung jüdischen Besitzes und mit eigener Initiative an der Drangsalierung der jüdischen Einwohner. Wie jetzt bekannt wurde, war sogar Rothenburgs Bürgermeister Dr. Friedrich Schmidt persönlich dabei, als SA-Rohlinge 1938 in das Wohnhaus der Jüdin Fanny Loewenthal in der Herrngasse 26 eindrangen und alle Zimmer nach Wertvollem durchsuchten und es für die Stadt beschlagnahmten. 1952 saß dieser Bürgermeister wieder im Stadtrat und vertrat dort lautstark seine rechten Ansichten und erhielt schließlich für seine Verdienste die Bürgermedaille. Stadtamtmann Hans Wirsching „arisierte“ für die Stadt den jüdischen Friedhof, ein großen Gartengrundstück und ein Haus in der Klingengasse und verbesserte damit die städtischen Einnahmen. Nach dem Krieg wurde Wirsching Ehrenbürger. Hier ist auch der Fall des jüdischen Kaufmann Leopold Westheimer einzureihen, der am 6. August 1933 von nationalsozialistischen Bürgern öffentlich misshandelt und durch die Stadt getrieben wurde. Nach den 1933 noch geltenden Gesetzen hätte die Stadt und die der Stadt unterstellte Polizei dies nicht zulassen dürfen oder es sofort unterbinden müssen. Doch die Weisungsberechtigten, Oberbürgermeister Dr. Liebermann und sein Stadtamtmann Wirsching, hielten sich zurück. Das war offener Rechtsbruch. Erst der Polizist Hörber machte dem schandhaften Treiben ohne Befehl dazu ein Ende. Dafür erhielt der Stadtpolizist bei den Nazis fortan den Namen „Judenknecht“. Die Reihe ließe sich fortsetzen. Auch mit dem hier geschilderten Fall des jüdischen Lederwaren-Kaufmanns Bruno Westheimer, Sohn von Leopold Westheimer, der 1905 in Rothenburg geboren wurde.

Stadtrat stellte falsche Behauptungen auf

Diesem entzog der Stadtrat am 26. Februar 1935 die Gewerbelegitimation. Als Grund gab der Stadtrat an, Westheimer habe im Württembergischen herumerzählt, dass „gut nationalsozialistische Schuhmacher im Gau Franken bei ihm einkauften“. Aufgrund dieser Aussage hätte die NSDAP-Ortsgruppe Steinsfeld/Hartershofen den Schuhmacher Bender am 17. Juli 1934 in der „Fränkischen Tageszeitung“ bloßgestellt.

Gegen die Verweigerung der Gewerbelegitimation legte Bruno Westheimer am 11. März 1935 nach Recht und Gesetz bei der Regierung von Ober- und Mittelfranken, Kammer des Inneren, Beschwerde ein. Er konnte nachweisen, dass die Gründe der Verweigerung nicht den Tatsachen entsprachen. Westheimer bestritt seine angebliche Aussage über die gut nationalsozialistischen Schuhmacher und belegte dies, denn die Stadt Rothenburg hatte in ihrem Beschluss weder Ort noch Zeit der ihm unterstellten Aussage nannte, was ein verwaltungsrechtlicher Fehler war. Weiter konnte Westheimer durch Vorlegen der Zeitungsartikel nachweisen, dass der „gut nationalsozialistische Schuhmacher“ Bender gar kein Nationalsozialist war. Bruno Westheimer in seiner Beschwerde:

„Der Text der beiden (Zeitungs-)Notizen zeigt aber weiter, dass durch mich keine Unwahrheiten über einen Schuhmacher verbreitet wurden, der hiedurch bloßgestellt worden war und dass sich später die Unrichtigkeit meiner Behauptungen herausgestellt haben.“

Die Gewerbelegitimationskarte brauchte Bruno Westheimer für seine Tätigkeit im väterlichen Geschäft in der Herrngasse 12, in dem er seit einem Jahr Teilhaber war. Das Geschäft hatte sein Vater 1899 gegründet und bis zu diesem Vorfall 36 Jahre lang ohne geringste Beanstandungen geführt. Der Sohn Bruno war seit 1920 im Geschäft tätig und hatte bislang stets die Gewerbelegitimationskarte ausgestellt bekommen. Bruno Westheimer hatte sich politisch nie betätigt und hatte einen einwandfreien Leumund. Er schrieb:

„Ich bin der Anschauung, dass keinerlei Tatsachen gegen mich vorliegen, welche eine Unzuverlässigkeit für die Ausübung meines Gewerbebetriebs im Umherziehen begründen und dass mir somit ein gesetzlicher Anspruch auf Ausstellung der Gewerbelegitimationskarte zusteht.“

Stadtverwaltung verlor Verfahren vor der Bezirksregierung

Diesen Argumenten konnte sich die Regierung von Ober- und Mittelfranken in Ansbach nicht entziehen. In öffentlicher Sitzung verkündete die Kammer unter Vorsitz von Oberregierungsrat Freiherr von Kleinschrod und den beisitzenden Oberregierungsräten Dr. Doebel und Schmidt am 9. Januar 1936 „im Namen des Volkes“, dass der Beschluss der Stadt Rothenburg aufgehoben ist (Nr. 2064 a 2). In der Begründung folgte sie den Einlassungen des Beschwerdeführers und argumentierte (Auszug):

„Dass die jüdische Rasseeigenschaft eines Gewerbetreibenden für sich allein keinen Grund bildet, ihm wegen persönlicher Unzuverlässigkeit die Gewerbelegitimationskarte zu versagen, ist vom Verwaltungsberichtshof in neuester Zeit entschieden worden (Entscheidung vom 22. 11. 35 Nr. 37/II/35). Sonstige Tatsachen, die eine Unzuverlässigkeit des Beschwerdeführers im Sinne … dartun, oder die Versagung der Gewerbelegitimationskarte nach …. sonst rechtfertigen könnten, sind den vorliegenden Verhandlungen der Stadtverwaltung nicht zu entnehmen. Der angefochtene Beschluss kann hienach nicht aufrechterhalten werden.“

Rothenburgs Bürgermeister meldete den Vorfall der Politischen Polizei

Die Schikanen der Stadt gegen die jüdische Familie Westheimer verstärkten sich nach dieser Gewerbelegitimationskarten-Niederlage. Bürgermeister Dr. Friedrich Schmidt informierte am 29. Dezember 1936 die Bayerische Politische Polizei, Gestapo München (Nr. 11797), dass die Regierung von Ober- und Mittelfranken den städtischen Beschluss der Verweigerung aufgehoben habe. Da es in der Stadt keine weiteren Gründe für eine Verweigerung der Gewerbelegitimationskarte gab, fragte der Bürgermeister die Politische Polizei, ob es Bedenken gegen die Ausstellung einer Karte gebe. Von dort kam am 16. Januar 1937 die Nachricht, dass „gegen den Juden Westheimer hier in politischer Hinsicht Nachteiliges nicht bekannt geworden ist“.

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Berichterstattung der Polizei an den Bürgermeister vom 10. Februar 1937

Familie Westheimer wurde von der Stadtpolizei ausgeforscht

Der Bürgermeister ordnete nun die Ausforschung der Familie Westheimer in ihrem Haus in der Herrngasse 12 durch die städtische Polizei an. Denn der Stadt wurde zugetragen, dass in der jüdischen Familie die nichtjüdische junge Marie Proff aus Insingen arbeiten soll, was eventuell einen Verstoß gegen die Bestimmungen des § 3 des Blutschutzgesetzes darstellen könnte. Dazu meldete Kommissär Greiner am 10. Februar 1937 dem Stadtrat:

„Bis jetzt konnte nicht erfahren werden, dass die Proff im Haushalte des Lederwarenhändlers Bruno Westheimer Arbeiten verrichtet. Bruno Westheimer hat eine Zugehfrau. Die Beobachtungen werden weiterhin fortgesetzt und Westheimer eventl. angezeigt.“

In einer weiteren Meldung informiert der Polizei-Kommissär, dass Bruno Westheimer der Polizei mitgeteilt habe, dass sein kranker Vater Leopold Westheimer wieder in sein Haus in der Kirchgasse ziehen wolle und habe angefragt, ob die im gleichen Haus wohnende 42-jährige Frau des Fremdenführers seinen kranken Vater pflegen dürfe. Die Polizei verbot dies. Weiter heißt es in der Meldung:

„Auch in dieser Richtung muss daher streng überwacht werden, ob die Westheimers nicht doch die gesetzlichen Bestimmungen verachten oder umgehen.“

Im Hause Westheimer lebte noch die nichtjüdische Schwiegermutter von Bruno Westheimer, die Schweizer hieß. Dies war dem Bürgermeister Schmidt nicht geheuer. Daher lautete seine weitere Anweisung an die Polizei:

„Bei Frau Schweizer soll ein Dienstmädchen beschäftigt sein, das aber fast ausschließlich im Haushalt des Westheimer beschäftigt wird. Westheimer versucht auf diese Weise die Bestimmungen des § 3 des Blutschutzgesetzes zu umgehen. Die polizeiliche Ermittlung ist sofort durchzuführen.“

Bürgermeister schaltete „streng vertraulich“ die Gestapo ein

Der Bürgermeister fasste weitere Meldungen zusammen und informierte „Streng vertraulich!“ die Gestapo (Nr. 10443) mit dem Betreff: „Vollzug des Gesetzes zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15. September 1935, hier evtl. Dienstleistung der Hausangestellten Marie Proff im Haushalt des Juden Bruno Westheimer.“

Am 15. Oktober 1936 habe die 18-jährige Marie Proff ihre Stellung in der Bäckerei Probst in der Herrngasse 18 aufgegeben und bei der Oberlokomotivführerwitwe Schweizer in der Herrengasse 12 eine Stellung angenommen.

„Die Proff ist wiederholt schon gesehen worden, wie sie aus dem Hause des Lederwarenhändlers Westheimer herauskam und dessen 4-jähriges Kind an der Hand führte. Es muss aus diesem Grunde auch angenommen werden, dass die Proff Dienst im Haushalt des Bruno Westheimer verrichtet und nur zum Schein von der nichtjüdischen Witwe Schweizer angemeldet wurde. Um diesen wegen Zuwiderhandlung gegen das Blutschutzgesetz vom 15. September 1935 und Ausführungsbestimmungen hiezu überführen zu können, ist genaue und unauffällige Beobachtung erforderlich.“

Wie es weiterging, geht aus den unvollständigen Akten nicht hervor und ist hier auch nicht bekannt. Die Schikanen gegen die jüdischen Einwohner gingen auf anderer Ebene weiter, als den Juden 1938 ihre Häuser und ihr übriger Besitz unter Zwang weggenommen und sie aus der Stadt vertrieben wurden. Leopold Westheimer wurde am 14. Oktober 1938 zum Verkauf seiner Häuser und seines großen Gartens mit Gartenhaus gezwungen. Das letztere Grundstück nahm ihm die Stadt, vertreten durch Stadtamtmann Hans Wirsching, für 500 Reichsmark ab. Leopold Westheimer lebte nach seiner Vertreibung aus Rothenburg in München, kam 1942 ins KZ Theresienstadt, das er nicht überlebte. Bruno lebte nach dem Krieg in New York und Ivan in Brüssel.

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