31. März 1945: Eine Staffel von 16 amerikanischen Flugzeugen musste Ro­thenburg als Ausweichziel angreifen – Bomber-Pilot später: „Ich kannte die Stadt nicht“

Von Dieter Balb

„Crews report good results!” Ein schlichter Satz, der auf Deutsch besagt: Die Besatzungen mel­den guten Erfolg. Mit dem „Erfolg“ ist die Zerstörung eines Teils von Ro­thenburg durch Bomben gemeint. Ein wahnsinniges Unter­nehmen, militärisch völlig sinnlos in den letzten Kriegstagen des Jahres 1945. Durch die Mithilfe eines Lesers unserer Zei­tung ist es jetzt gelungen, endlich Licht in das Dunkel der Fra­ge zu bringen, wer den Bombenangriff am 31. März geflogen hat. Es war die US-Luftwaffe. Einige der damals noch jungen Besatzungsmitglieder leben noch und erinnern sich an den Flug nach Rothenburg, der für viele Menschen todbringend war. Mancher unter Ihnen mochte daran nicht mehr denken.

US-Aufklärungsfoto vom 9. April 2945 der teilweise zerstörten Stadt, neun Tage nach dem Luftangriff

US-Aufklärungsfoto vom 9. April 1945 der im rechten und mittleren Teil zerstörten Stadt, neun Tage nach dem Luftangriff

Wegen dichten Nebels über Ebrach wurde Rothenburg bombardiert

Die Bombardierung Rothenburgs war – wenn die uns vorge­legten Logbuchaufzeichnungen der US-Luftstaffel, die den An­griff geflogen haben soll, korrekt sind – ursprünglich gar nicht geplant. Das Ziel hieß für den Ostersamstag 1945 nämlich Ebrach im bayerischen Oberfranken, Landkreis Bamberg. In dem lediglich zweitausend Einwohner zählenden Markt (be­kannt durch die Klosterkirche aus dem 13. Jahrhundert) hatten die Deutschen ein größeres Öllager eingerichtet. Dies wollten die Amerikaner durch Beschuss in die Luft jagen. Das Glück für Ebrach wurde zum Pech für Rothenburg: Dichter Nebel vereitelte den Angriff. Jetzt galt es für die Bomberbesatzung das Ausweichziel anzufliegen: Rothenburg ob der Tauber. Die 386. Bombardement Group (BG) mit den gelben Strei­fen am Flugzeugheck (beim Rothenburger Angriff namentlich die 554. und 555. Staffel mit den Bezeichnungen RU und YA) hat vom 30. Juli 1943 bis zum 3. Mai 1945 insgesamt 409 über­wiegend erfolgreiche Einsätze geflogen. Die deutsche Abwehr ist schon früh zusammengebrochen. Als Goebbels sich noch vom nahenden Endsieg die Kehle heißer schrie, hatten die Alli­ierten längst die erdrückende Luftüberlegenheit und damit ein entscheidendes Instrument in der Hand, um den Krieg zu ent­scheiden. Hätte man nicht die eigenen Verluste an Menschen und Material möglichst gering halten wollen, wäre das Ende des Dritten Reiches durch die gewaltige Alliierten-Obermacht schon wesentlich früher gekommen. Für manche deutsche Stadt mit ihren Einwohnern wäre das die Chance zum Überle­ben gewesen.

„Am Samstag, dem 31. März 1945, früh um 10.30 Uhr, heu­len überall in der Stadt die Sirenen. Es ist höchste Luftgefahr. Kurz darauf kommt eine Staffel von 16 Flugzeugen aus Rich­tung Würzburg. Sie überfliegen zunächst noch ziemlich hoch die Stadt und folgen der Bahnlinie nach Steinach an der Ens. Plötzlich drehen sie um, lösen sich aus der geschlossenen For­mation, gehen tiefer und öffnen, als sie nordöstlich die Stadt erreichen, ihre Bombenklappen. Zu Tausenden prasseln die Stabbrandbomben auf Rothenburg nieder.“

So schildert der da­malige Stadtamtmann Hans Wirsching in dem Buch „Schicksal einer deutschen Landschaft“ das Geschehen.

Adolf Köhnlein erinnert sich

Metzgermeister Adolf Köhnlein war an jenem Tag in seinem Laden am Rödertor. Die Leute standen in einer langen Schlan­ge, die bis zum „Breiterle“ reichte, vor dem Geschäft, um ihre wöchentliche 100-Gramm-Fleischration einzulösen. Dazu gab es auch ohne Lebensmittelmarke die „Blunzewurscht“, wie die Rothenburger ein Gemisch aus Kesselbrühe-Fett und Blut nannten. Adolf Köhnlein erzählt:

„Plötzlich hörten wir die Si­renen, das war ein furchtbarer Ton. Keiner wusste recht, was los ist. Dann forderte Polizei zum sofortigen Verlassen des Ge­schäftes auf, doch die Leute wollten nicht gehen. Sie zog es mehr ins Haus und in den Keller.“ Nach einigen Minuten gelingt es den Köhnleins dann doch, den Laden leer zu haben, draußen hasten Menschen in Panik durch die Gassen. Als das Ehepaar Köhnlein noch Hab und Gut aus dem Zimmer holen will, hört es Maschinengewehrsalven – von der Luitpold- oder Topplers­chule aus versuchen sich Soldaten in Luftabwehr. „Da wusste ich, jetzt kommen sie!“ erzählt Adolf Köhnlein: „Dann prassel­te es nur so runter, überall Brandbomben, allein auf meinem Grundstück zähle ich 26 Stück.“

Eine Staffel dieses Flugzeugtyps entlud ihre Bomben über Rothenburg: eine A 26 C Invader

Eine Staffel dieses Flugzeugtyps entlud ihre Bomben über Rothenburg: eine A 26 C Invader

Zusammen mit den sechs Metzgern, die im Geschäft, das die umliegenden Lazarette versorgt hat, mithelfen, gelingt es tat­sächlich immer wieder, Entstehungsbrände in dem stattlichen alten Haus zu löschen. Adolf Köhnlein muss aber bald aufge­ben: ,,Turm und Stadtmauer, alle Nachbarhäuser standen in Flammen, da war nichts mehr zu machen. Wir flüchteten durchs Rödertor und retteten uns so ins Freie.“ In den Aufzeichnungen der US-Luftkampfstaffel heißt es dazu: „9 tons of bombs were dropped with good results. No flak was encountered at the target.“ Neun Tonnen Bomben wurden mit gutem Ergebnis über dem Ziel ohne jeden Flakbeschuss ab­geladen. Die Versuche, mit dem Maschinengewehr Flugzeuge vom Himmel zu holen, sind nicht einmal registriert worden. „The black Panthers“ (die schwarzen Panther), wie sich die Bombergruppe nannte, leisteten im Sinne ihres Auftrags ganze Arbeit. Eine Flugskizze weist sogar Gebsattel als Orientierungspunkt aus. Sie zeigt ferner Scheinfeld und Ebrach. Den Aufzeichnungen zu Folge ging es von Rothenburg nach Karlsruhe. Dort gerieten die US-Maschinen in schweres Flakfeuer und hatten auch Verluste. Die Besatzungsmitglieder Lt. Kennedy und Sgt. William A. Meyer müssen mit dem Fall­schirm aussteigen. Kennedy landet in einem Baum und kann sich zu amerikanischen Bodentruppen durchschlagen, Meyer überlebt nicht.

Ein „Rothenburger“ forscht nach

Die Beobachtung des Amtmanns Wirsching war richtig. Die Dokumente weisen eine Staffel von 16 Flugzeugen aus. Eine Maschine des Typs A 26 C Invader führte die Spitze der V. Formation als so genanntes Pfadfinderflugzeug an. Sie hatte eine Glaskanzel am Bug, war mit Maschinengewehren und Bomben­schächten bestückt. Vier Mann Besatzung soll sie nach Aussa­gen eines beteiligten Bomberpiloten aus den USA gezählt ha­ben. Die übrigen Flugzeuge (alle zweimotorig) waren angeblich Maschinen des Typs Martin B-26 G „Marauder“. Dieser Flug­zeugtyp hatte im Zweiten Weltkrieg die geringste Verlustrate aller Bombertypen der Alliierten Luftstreitkräfte aufzuweisen.
Der Rothenburger Friedrich Däschner bekam [Mitte der 1980er-Jahre] Be­such von einem Amerikaner, der eine kurze Zeit seiner frühesten Jugend in Rothenburg gelebt hatte und dessen Mutter Rothenburgerin ist. Heute ist er Verkaufsmanager eines großen amerikanischen Konzerns in der Rüstungsindustrie. Immer wieder hat ihn bei seinen Tauberstadt-Besuchen die Frage beschäftigt, ob es Amerikaner waren, die den Angriff flogen und nach langem Bemühen ist es ihm aufgrund guter persönlicher Verbindungen tatsächlich gelungen, über amerikanische Mili­tärdienststellen Namen und Daten ausfindig zu machen. Im Ju­ni dieses Jahres hat er einen Teil des dokumentarischen Materi­als Friedrich Däschner übergeben, der sich freundlicherweise mit unserer Redaktion in Verbindung setzte. Möglicherweise können wir zu einem späteren Zeitpunkt auch über die Identi­tät des Informanten (der unserer Redaktion bekannt ist) aus den USA berichten.

Dieser Bombertyp war an der Bomradierung Rothenburgs beteiligt: eine Douglas-A-26-Invider

Dieser Bombertyp führte die Staffel an, die Rothenburg bombardierte: eine Douglas-A-26-Invider

Auch Bomberpiloten litten unter dem, was sie taten

Von den vermutlich 34 Besatzungsmitgliedern der Staffel sind einige nicht mehr nach Hause gekommen. Pilot Stetson von der Pfadfinder-Maschine sowie Lt. Pardridge, Lt. Hurley und Sgt. Morgan haben einen späteren Absturz, nachdem das Heck des Flugzeuges getroffen war, nicht überlebt. Immerhin konnten bisher noch sechs lebende Mitglieder der damaligen Bomberstaffel in den USA ausfindig gemacht werden. Sie woh­nen heute zum Teil als Rentner in den verschiedensten Gegen­den der Vereinigten Staaten: in Arizona, Alabama, in New York und Ohio, in Michigan und in Colorado. In Las Vegas wollen sich die noch lebenden Angehörigen der 386. Bombergruppe vom 9. bis 13. Oktober dieses Jahres bei ei­nem Veteranentreffen wieder sehen. Bisher telefonisch in den USA befragte Piloten, die den Angriff auf Rothenburg geflogen haben, gaben zu Protokoll, sie hätten gar nicht gewusst, um welche historische Stadt es sich da handelt. Einer von ihnen, Georg Horn, hat die Tauberstadt nach dem Krieg als Tourist besucht. „In meinem Logbuch war namentlich nur das Ziel Ebrach eingetragen“, sagt er. Tatsächlich gibt es auch ein Besatzungsmitglied, das bis heute den Luftangriff – dem immerhin 12 Männer, 18 Frauen, 9 Kinder sowie unwiederbringliche Kul­turwerte zum Opfer fielen – seelisch nur schwer verkraftet.

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Quelle: Entnommen dem „Fränkischen Anzeiger“ vom 3./4. August 1985 mit freundlicher Genehmigung des Verlags
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3 Kommentare zu 31. März 1945: Eine Staffel von 16 amerikanischen Flugzeugen musste Ro­thenburg als Ausweichziel angreifen – Bomber-Pilot später: „Ich kannte die Stadt nicht“

  1. Harald Ernst sagt:

    Vielen Dank für diesen sehr gelungenen Artikel und natürlich für gesamte Internetseite. Eine tolle Arbeit. Allerdings bleibt für mich noch die Frage offen, weshalb Rothenburg o.d.T. als Ausweichziel ausgewählt wurde. Ich würde mich sehr darüber freuen hier eine fundierte Erklärung zu bekommen.

    • Weil es auf dem Weg lag. Man muss bei solchen Missionen irgend etwas bombardieren, weil man mit voller Bombenlast nicht genug Treibstoff für die Rückkehr zum Ausgangsstützpunkt hat. Außerdem sind die Bomber mit voller Bombenlast weniger wendig und können den deutschen Jagflugzeugen oder der Flak nicht so gut ausweichen. Außerdem wäre es gefährlich, bei der Landung noch die Bomben an Bord zu haben. Aus ähnlichen Gründen lassen Verkehrsflugzeuge heutzutage Kerosin ab, bevor sie landen.

  2. Manfred Schneider in Australia sagt:

    Warum werden amerikanische Kriegsverbrechen in Deutschland immer noch “schön geredet?” Die traurige Bilanz: Die Deutschen der heutigen Generation haben keinen Stolz oder Selbstrespekt auf nationaler Ebene. Beides wurde ihnen gründlich ausgetrieben. Nach fast 60 Jahren im Ausland (und frequenten Heimatbesuchen) bin ich zu dieser Erkenntnis gekommen. Es kommt einem vor wie eine Verschwörung, die deutsche Bevölkerung gegen sich selbst aufzubringen. Auf lange Sicht wird sich das rechnen, auf verschiedene Art und Weise. Schade, dass ein ganzes Volk so von seinen eigenen Fuehrungsleuten so “runtergemacht” wird. Man kann nur spekulieren, wer dahinter steckt und was sich diese Typen davon versprechen!

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