Hinrichtungen von Kriegsverbrechern in Landsberg am Lech: Monsignore Karl Morgenschweis, der die Delinquenten zum Galgen begleitete, erinnerte sich 1966 – ein Zeitzeugnis

Hinrichtung des SS-Mannes Schöttl am 7. Januar 1948 in Landsberg, der einen Fliegermord begangen hatt. Pfarrer Morgenschweis steht mit auf dem Galgengerüst

Hinrichtung eines Kriegsverbrechers; es könnte sich um den SS-Mann Anton Schöttel handeln, hingerichtet am 28. Mai 1946. Pfarrer Morgenschweis steht mit auf dem Galgengerüst

W. St. – Der Textauszug in nachstehender Rede des damaligen katholischen Seelsorgers im Kriegsverbrecher-Gefängnis (WCP) Landsberg am Lech, Monsignore Karl Morgenschweis, informiert in der Sichtweise des Geistlichen über die so genannten Dachau-Prozess-Verurteilten und über die Art, wie sie in Landsberg hingerichtet wurden. Darunter befand sich auch der Rothenburger Georg Sturm, der in Dachau wegen Fliegermordes verurteilt und am 5. November 1948 in Landsberg hingerichtet wurde, nachdem sein Gnadengesuch vom 7. November 1947 abgelehnt worden war. Mit ihm wurde an diesem Tag sein Mittäter Ernst Ittameier gehängt (siehe Artikel „Mordkomplott: Alliierter Flieger mit dem Spaten erschlagen…“).

Karl Morgenschweis, 1891 in Sulzbach-Rosenberg geboren, war zunächst in der Strafanstalt Straubing als Gefängnispfarrer tätig. Von Oktober 1932 bis August 1957 war Morgenschweis Anstaltsgeistlicher im Gefängnis Landsberg. Zur Zeit des Nationalsozialismus betreute er dort seelsorgerisch inhaftierte Gegner des NS-Regimes. Nach Ende des Regimes fiel in seine Amtszeit die Nutzung des Gefängnisses als War Criminal Prison No. 1, in dem die Verurteilten aus den Nürnberger und Dachauer Prozessen ihre Haftstrafen verbüßten beziehungsweise hingerichtet wurden. Er setzte sich für die inhaftierten Kriegsverbrecher nicht nur seelsorgerisch ein, sondern forderte auch deren Begnadigung und Freilassung. Nach seiner Pensionierung 1957 war Morgenschweis als Seelsorger am Heilig-Geist-Spital tätig. Im Oktober 1968 verstarb der Geistliche in Holzhausen-Buchloe.

Karl Morgenschweis hielt am 25. November 1966 in München eine Rede vor dem rechtsextremen „Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes“ über seine Zeit im Landsberger Kriegsverbrechergefängnis, die in Folge in „Der Freiwillige“ publiziert wurde, einer Zeitschrift von Ehemaligen der Waffen-SS. Während dieses Vortrags gab Morgenschweis an, entlastendes Material für die Verurteilten des „Malmedy-Prozesses“ aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg hinausgeschmuggelt und an Weihbischof Johannes Neuhäusler (Diözese München-Freising) zur Weiterverwendung übergeben zu haben. Aus diesem längeren Vortrag – ein Zeitzeugnis – veröffentlichen wir diesen Auszug:

Gefängnis Landsberg in den 1940er-Jahren

Gefängnis Landsberg in den 1940er-Jahren

Todeskandidaten waren in dunklen Zellen abgesondert

Sehen Sie, so ist das bei den Prozessen gegangen, und daher kam es eben, dass von Dachau so viele gekommen sind, die zum Tode verurteilt worden waren. Und es ist hinterher so ungeheuer schwierig gewesen, noch irgendwie zu erreichen, dass die unschuldig Abgeurteilten frei geworden sind. Es war einfach ein furchtbares Schicksal.

Stellen Sie sich vor, wie das gewesen ist, als […] die ersten Todeskandidaten aus Dachau hier in der Landsberger Anstalt angekommen sind. Da noch keine Extrazellen für sie vorgerichtet waren, kamen sie in alte Arrestzellen, die später einzelne Todeszellen geworden sind; es waren jeweils 5 bis 6 Mann hineingepfercht, die auf Stroh liegen mussten. Vor der Zelle war ständig ein Wachtposten gestanden…

[Erst später] sind sie ins Haus verlegt worden, und zwar ein jeder in eine eigene Zelle, die, wie ich schon eingangs berichtet habe, fast nachtdunkel gewesen sind, da die Fenster mit Brettern zugenagelt waren. Nur das kleine Türlein, durch welches das Essen hineingereicht wird, bot eine spärliche Lichtquelle. Der Todeskandidat war vollkommen abgesondert, er durfte nicht arbeiten, an Bewegung gönnte man ihm nur 5 Minuten Freiübungen auf dem Gang vor der Zelle. Er hätte zwar lesen dürfen, es reichten aber die kaum als Lichtquelle zu nennenden schwachen Strahlen durch das erwähnte Essendurchgabe-Türlein zum normalen Lesen nicht annähernd aus.

In „roten Jacken“ zum Galgen geführt

Die Todeskandidaten waren, wie schon erwähnt, in den oberen Zellen untergebracht, die mit einem D bezeichnet waren, was Death (Tod) bedeutete. Als Kleidung trugen die Todeskandidaten eine schwarze Hose und eine weinrote Jacke, weshalb sie die „Rotjacken“ genannt worden sind. Sie sind ständig von auf und ab gehenden Posten bewacht worden. Auch als Seelsorger durfte ich nicht in die Zellen hinein. Als ich mich bemüht habe, wenigstens zu Ostern zu jedem einzelnen gehen zu dürfen, damit sie die Osterbeichte ablegen könnten, ist mir das mit der Einschränkung genehmigt worden, dass die Zellentür offen sein muss und der Posten in der Türöffnung stehen kann. Es war unwürdig und unmöglich, meines Amtes richtig walten zu können. Auch zur Vorbereitung zum letzten Gang durften wir Seelsorger nicht in die Zelle hinein. Auch am Gottesdienst konnten sie nicht teilnehmen, weil sie nicht in die Kirche gehen durften. So fand ich eines Tages folgende Lösung: Ich baute im Korridor eines Flügels – ein Flügel hat vier Stockwerke – einen Altar auf, wo ich eine Messe lesen konnte. Hinter mir, in dem noch deutschen Bereich, stand ein Chor, der dazu sang; da die Gefangenen nicht ihre Zellen verlassen durften, konnte ich eben nur die Wände ansprechen. Ich habe kein Gesicht gesehen, nur Wände und Zellentüren. Ich musste auch, wenn ich das Sakrament verteilte, durch alle Stockwerke von einer Zelle zur anderen gehen und durch die kleinen Öffnungen das Allerheiligste reichen…

Der Kriegsverbrecher-Friedhof damals mit den Kreuzen und Namensschildern

Der Kriegsverbrecher-Friedhof damals mit den Kreuzen und Namensschildern

An einem Tag 29 Vollstreckungen

Es sind die seelischen Belastungen gewesen, die man mit dem Betroffenen durchzustehen hatte. Man halte sich vor Augen, was das war, was man miterleben musste: einmal an einem Tage 29 Vollstreckungen, dann wieder eine Gruppe von sieben oder acht, dann die Todgeweihten aus dem Mauthausener Prozess, zwei Tage hintereinander 25 Mann, dann vom 14. Oktober bis Anfang Dezember 1948 jede Woche zehn bis zwölf oder fünfzehn Mann!

Sie werden verstehen können, dass einen das allmählich seelisch und auch körperlich mitnimmt und dass man zufrieden sein muss, dass man es einigermaßen überstanden hat. Der Mann, der in der Ungewissheit lebt, ob er wirklich zum Galgen schreiten muss, hängt sich verständlicherweise an den Seelsorger, an den Geistlichen, den einzigen, der noch bei ihm sein kann. Frau und Kinder oder Brüder und Schwestern dürfen noch zu Besuch kommen – sie müssen aber vor seinem letzten Gang weggehen. Dann hat er niemanden mehr als den Seelsorger. Wie ein kleines Kind sich an den Rock der Mutter schmiegt, so hängen die Todgeweihten am Geistlichen.

Henker bediente zwei Galgen gleichzeitig im Wechsel

In Landsberg hatten wir zweierlei Todesarten bei den Exekutionen, nämlich den Henkerstod am Galgen für die so genannten Kriegsverbrecher, und Tod durch Erschießen für die Raubmörder. In der ersten Zeit war nur ein Galgen vorhanden, später hat man noch einen zweiten dazu errichtet und zwar so, dass sie brückenartig miteinander verbunden waren, so dass der Henker von einem Galgen zum anderen gehen konnte. Der Henker konnte also in der Zwischenzeit, während der nächste Todeskandidat herbeigeholt wurde, beim eben benutzten Galgen die Vorrichtung wieder in den Ausgangszustand bringen.

Im Anfangszeitraum war der bayerische Scharfrichter der Henker gewesen. Reichert hat er geheißen. Er hat aber allmählich den amerikanischen Sergeanten Britt zu dieser Aufgabe abgerichtet, der sich anfangs schwer damit getan hat, weil er anfänglich eine fürchterliche Angst gehabt hat. Später ist er aber auch ein Henker geworden, der mit Freude die Opfer in den Galgen hinabgestoßen hat.

Die Falltür öffnete sich nach dem „Amen“

Wie war nun der Galgen aufgebaut? Das Ganze ist ein Kastenaufbau gewesen, zu welchem dreizehn Stufen hinaufführten; obenauf stand das Galgengerüst, an dem ein dicker Strick befestigt war, der in eine Schlinge auslief, die wiederum in einem langen Knoten endete, in dessen Innern sich ein Stahlstab befand, der dreizehnmal von diesem dicken Seil umwunden war. – Die Henkerei verlief auf folgende Weise: Wir sind betend hinaufgezogen, von Posten begleitet. Oben wurde der Verurteilte unter das Galgengerüst gestellt und zwar auf die gesperrte Falltür. Dann wurden ihm auch die Füße zusammengebunden – die Hände waren schon gefesselt. Sodann durfte er noch einmal eineinhalb Minuten lang sprechen. Danach wurde ihm die Maskenkapuze übergestülpt. Ich habe dann noch ein kurzes Gebet gesprochen und ihm die Lossprechung gegeben. Nachdem ich „Amen“ gesagt hatte, zog der Henker hinter ihm den Hebel, worauf sich die Falltür nach unten öffnete, so dass auch der Gehenkte nach unten abstürzte, vielleicht zwei Meter tief in den Kasten hinein. Der Strick war so lang gewählt und der Knoten so angesetzt, dass beim Sturz die Schlagader abgedrückt und das Genick gebrochen worden ist.

Aufgelassener Kriegsverbrecherfriedhof im Jahre 2008; Foto: Wolf Stegemann

Aufgelassener Kriegsverbrecherfriedhof im Jahre 2008; Foto: Wolf Stegemann

Erhängen war eine schimpfliche Todesart

Angeblich soll das Opfer nichts als einen Druck gespürt haben, weil augenblicklich eine Blutleere im Gehirn eingetreten sei. Demnach wäre diese Todesart leichter gewesen als die des Erschießens, sie war aber nun einmal schimpflicher als Erschießen. Es besteht die allgemeine Ansicht, dass die Todesart durch Erschießen ehrenhafter ist, hingegen durch Erhängen schimpflich. Nach dem Sturz blieben die Gehenkten noch zehn Minuten lang hängend im Kasten. Unterdessen ist der nächste geholt und ebenso gehenkt worden, und so ging es weiter, bis das Tagesvorhaben erledigt war…

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