Entnazifizierung (31): Der Arzt Dr. Gustav Paulus, NSDAP- und SA-Mitglied, war in Rothenburg hoch geschätzt. Sie holten ihn aus dem Internierungslager und machten ihn zum „Mitläufer“

Kennkarte bei der Entlassung in Rendsburg zur Rückkehr nach Rothenburgl 1946

Von Wolf Stegemann

Dr. med. Gustav Paulus, geboren 1898 in mittelfränkischen Wilhelmsdorf, kam 1932 nach Rothenburg, eröffnete am Markt 1 eine Praxis und war auch im Landkreis unterwegs, um seine Patienten zu besuchen. Zudem war er Chefarzt des städtischen Krankenhauses. Dadurch wuchs nicht nur seine Bekanntheit, sondern auch seine Beliebtheit und Wertschätzung bei den Bürgern in der Stadt. Das kam dem Arzt nach 1945 durch die vielen Bittschriften um seine Entlassung zugute, als er wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP und SA von 1946 bis 1948 in den CIC-Lagern für Zivil-Internierte der Alliierten zuerst in Plattling, dann in Nürnberg-Langwasser und zuletzt in Regensburg, festgesetzt war. So wurde er im anschließenden Entnazifizierungsverfahren in Rothenburg 1948 lediglich als „Mitläufer“ der Gruppe 4 belastet.

Mitglied in etlichen NS-Verbänden

Dr. Paulus fing am 1. Mai 1933 an, bei den Nationalisten „mitzulaufen“, denn an diesem Tag trat er in die NSDAP und am 1. Juli 1934 in die SA ein, blieb darin bis 1945. In der Partei brachte er es 1934 zum Kreisamtsleiter für Volksgesundheit (siehe erklärenden Information unten) und in der SA zum Sanitäts-Obersturmführer. In etlichen anderen NS-Organisation war er lediglich Mitglied wie in der NS-Volkswohlfahrt, dem NS-Ärztebund, dem Reichsluftschutzbund, des Reichsarbeitsdienstes der  des VDA, des Reichskolonialbundes und des NS-Reichskriegerbundes.

Fränkischer Anzeiger vom 10. März 1937

Ausstellung „Blut und Rasse“ im Rothenburger Vereinshaus

In seiner Verantwortung als Kreisamtsleiter für Volksgesundheit fand 1937 in Rothenburger „Vereinshaus“ eine Wanderausstellung des Deutsche Hygieneinstituts mit dem Titel „Blut und Rasse“ statt. Darin wurde der angebliche Unterschied zwischen „Ariern“ und Juden unter antisemitischen Gesichtspunkten darstellt. Bürgermeister Schmidt eröffnete die Ausstellung. Der „Fränkische Anzeiger“ schrieb am 10. März 1937 im Jargon der Nationalsozialisten:

„Wir können nur jedem Volksgenossen empfehlen, sich diese Ausstellung anzusehen, weil hier in leicht fasslicher Form Fragen behandelt werden, die jeden Einzelnen angehen. Jeder deutsche Mann und jede deutsche Frau sollte es wirklich als Ehrenpflicht betrachten, diese Ausstellung zu besuchen.“

Unter anderem  informierte die Ausstellung in Wort und Bild auch über die  Ausgrenzung der Juden unter rassischen Aspekten, die schließlich im Massenmord enden sollte. Diese Ausstellung im Verantwortungsbereich von Dr. Paulus wurde bei seiner Entnazifizierung mit  keinem Wort erwähnt.

Bis 8. Mai 1946 kriegsgefangener Arzt im Lazarett Rendsburg

Am 26. August 1939 wurde er zur Wehrmacht eingezogen, war Stabsarzt in der Sanitätskompanie der 183. Inf.-Division während der Besetzung Frankreichs und der Tschechoslowakei. Von April 1943 bis zur Kapitulation war er im Ortslazarett II Blottnitz-Kaserne Rendsburg und im späteren Hilfskrankenhaus des Kreises Rendsburg Abteilungsarzt der chirurgischen Abteilung. Ab 1945 allerdings als Krieggefangener bis 8. Mai 1946. Danach kehrte er nach Rothenburg zurück. Rothenburgs Bürgermeister Friedrich Hörner schrieb ihm am 10. Mai einen Brief, in dem er seine Freude über die Freilassung zum Ausdruck brachte.

„Leider ist es aber, wie Sie selbst wissen, aus politischen Gründen nicht möglich, das ehemalige Vertragsverhältnis bezüglich der Stelle des Krankenhausarztes wieder aufzunehmen … An mir selbst durfte ich ja erfahren, dass Sie in der Behandlung Ihrer Patienten keinen Unterschied zwischen Nationalsozialisten und deren offenen Gegnern machten, denn auch mein Leben lag vor mehr als sieben Jahren in Ihrer Hand. … Mit der Versicherung, dass ich mir stets dieser Dankespflicht bewusst sein werde, grüßt Sie mit vorzüglicher Hochachtung Fr. Hörner.“

Zwei Jahre interniert in Plattling, Langwasser und Regenburg

Gustav Paulas hatte diesen Brief des Bürgermeisters damals nicht mehr erhalten. Er konnte sich keine zwei Tage seiner Freiheit erfreuen. Denn an dem Tag, an dem ihn der Bürgermeister schriftlich in der neuen Freiheit begrüßte, wurde Paulus von den Amerikanern festgenommen und nach Plattling ins CIC-Internierungslager gebracht, von dort in das Lager Langwasser bei Nürnberg und dann nach Regensburg. Die Gründe seiner Internierung lagen  offensichtlich in seinem Wirken als SA-Obersturmführer und seine Arbeit als Kreisamtsleiter im Kreisamt für Volksgesundheit. Seine Frau Else Paulus stellte gegenüber der CIC-Lagerbehörde in Regensburg in einem Brief vom 28. Januar 1947 klar, dass ihr Mann nicht Kreisamtsleiter im Amt für Volksgesundheit war, sondern nur Stellenleiter, was aber keine Berücksichtigung fand. „Ich bitte um die Freilassung meines Mannes …und um wohlwollende Prüfung und Entscheidung meines vorstehenden Antrages. Ergebenst Frau Else Paulus.“

Rothenburger setzten sich für die Freilassung ihres beliebten Arztes ein

Als Paulus in Regensburg interniert war, forderten Rothenburger Bürger seine Freilassung und schrieben an die Behörde des CIC-Internierungslagers Regensburg am 24. Februar 1948:

„Es wird hier in Rothenburg o. Tbr. von weiten Kreisen der einheimischen Bevölkerung als großes Unrecht empfunden, dass der hiesige Arzt Dr. med. Gustav Paulus nun schon seit Kriegsende im Internierungslager festgehalten wird.  … Für alle, die [ihn] in seiner hiesigen Tätigkeit gekannt haben, steht unbedingt fest, dass er sich nie in einer Form betätigt hat, die ihn als Nazi-Aktivisten könnte erscheinen lassen. … Dr. med. Paulus war hier ein allseits beliebter u. geschätzter Arzt, der auch in seiner verschwindend geringen Tätigkeit für die Partei stets nur Arzt war u. deshalb zwar von der Gesetzesvermutung betroffen sein mag, nicht aber auch tatsächlich betroffen ist. Aus diesen Gründen betrachten die Unterzeichneten, die Dr. Paulus seit Jahren kennen, es als ein großes Unrecht, dass er noch immer in der Internierung festgehalten wird, während wirkliche Nazi-Aktivisten schon längst frei sind…“

Unterschriften mit der Bezeichnung „vom Gesetz nicht betroffen“ von Modehausbesitzer Fritz Fries, Oberingenieur Christof Riegel, Seilermeister Fritz Huhn, Kaufmann H. Heer, Sattlermeister Karl Wehrwein, Gärtnereibesitzer Heinrich Müller.

Dr. Paulus hatte seit 1932 einen tiefen Einblick in das soziale Elend 

Dr. Paulus, so sein Rechtsanwalt Dr. Rudolf Oswald, schrieb am 17. März 1947 an die Lagerleitung Regensburg. Im Übrigen sammelte er für seinen Mandanten positive Stellungnahmen für das Spruchkammerverfahren in Rothenburg:

„Durch seine Tätigkeit als Arzt in Rothenburg ob der Tauber und später als Leiter des Krankenhauses, er ließ sich 1932 nieder, erhielt er tiefen Einblick in das damals herrschende soziale Elend und in die schwere Notlage, in der sich die von ihm betreuten Kranken befanden. Die NSDAP hatte die Lösung der sozialen Fragen in den Vordergrund gestellt. Der Betroffene, das war Paulus, glaubte an dieses Versprechen, erhoffte sich eine Verbesserung der Verhältnisse und trat deswegen der Marei mit Wirkung von 1. Mai 1933 bei. Aus den gleichen Erwägungen und beeinflusst durch die starke, allgemeine bekannte Werbung der SA im Sommer und Herbst 1933 schloss er sich am 1. Juli 1933 auch der SA an.“

Die Hebamme Katharine Klammer gab am 28. September 1947 eine eidesstattliche Erklärung zugunsten Dr. Paulus ab, dass er auch Juden behandelt hatte:

„Ich sage auf Eide aus, dass Herr Dr. med. Gustav Paulus der Arzt der jüdischen Familie Wurzinger war. Obwohl Herr Dr. Paulus Pg war, scheute er nicht, den Geburtshelfer bei Frau Klara Wurzinger zu machen. Er betreute sie ärztlich mit aller Sorgfalt und ließ ihr jegliche Hilfe angedeihen.“

(Hinweis: Da muss Frau Klammer aber schon sehr weit in die Geschichte zurückgreifen, um nachzuweisen, dass Paulus auch für Juden tätig war: Hannelore Wurzinger, geb 13. Mai.1927 und Hans Siegfried Wurzinger, geb 22. Mai 1933, die Kinder von Klara Wurzinger, wurden zu einer Zeit geboren als es auch für einen Nazi-Arzt noch üblich war, Juden zu helfen. Und was wart mit den danach geborenen Juden?)

Ein Kollege von Dr. Paulus, der praktische Arzt Dr. Georg Sauer, erklärte am 23. September 1946:

„Herr Dr. Paulus war der einzige Arzt, der seit 1933 Mitglied der NSDAP war. Ich habe ihn im persönlichen Umgang gut kennengelernt und ihn stets als tüchtigen Arzt und gute Kollegen geschätzt. Herr Dr. Paulus hat niemals seine Zugehörigkeit zur Partei betont oder aus derselben heraus mir oder den anderen Ärzten Schwierigkeiten zu machen versucht. Ich weiß, dass er als einziger Parteizugehöriger unter den Ärzten genötigt wurde, als das Amt für Volksgesundheit gegründet wurde, dasselbe gegen seinen Willen zu übernehmen und er hat sich darüber weidlich geärgert. Es ist mir auch nichts darüber bekannt geworden, dass sich Herr Dr. P. als Aktivist irgendwie betätigt hätte. Ich bin jederzeit bereit, meine obige Erklärung zu beeiden.“

Willy Haberkern arbeitete zwei Jahre mit Dr. Paulus im Amt für Volksgesundheit zusammen. Er beeidete am 14. Mai 1947:

„Ich lernte Herrn Dr. Paulus als Arzt und Mensch kennen. Er versagte keinem seine ärztliche Hilfe und vor allem nicht der armen Bevölkerung. Oft kamen Leute zu mir ins Büro und baten mich, der Herr Doktor möchte doch die schon lange fälligen Rechnungen schreiben. Immer war das seine Antwort: Das ist meine geringste Sorge!“

Diese und viele weitere Aussagen über Dr. Gustav Paulas sammelte der öffentliche Kläger beider Spruchkammer Rothenburg als Paulus noch interniert war. Am 8. Dezember schickte Kläger Hetzel an die Spruchkammer einen Ermittlungsbericht:

„Wie die Ermittlungen ergaben, galt Dr. Paulus nicht als wirklich überzeugter Nationalsozialist. Er trat in keiner Weise politisch in Erscheinung, obwohl er das Amt für Volksgesundheit in Händen hatte, hat er sich in keiner Weise nationalsozialistisch betätigt. Als Arzt war er sehr beliebt, insbesondere zeigte er gegenüber der armen Bevölkerung großes soziales Verständnis. Politische Belastungen sind nicht bekannt.“

In der Klageschrift vom 13. Mai 1948 wird Paulus vorgeworfen, dass er Parteimitglied, Mitglied der SA und Kreisamtsleiter im Amt für Volksgesundheit war.

„Politische Sonderbelastungen im Sinne des Artikels 5 oder 7/II wurden nicht bekannt. Er hat aber durch seine Tätigkeit und seine Stellung die Gewaltherrschaft der NSDAP wesentlich gefördert und sich als persönlich überzeugter Anhänger der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft erwiese, … Der öffentliche Kläger kommt aber auf Grund der Gesamthaltung des Betroffenen zu der Überzeugung, dass der Betroffene nicht in die Gruppe I der Hauptschuldigen eingereiht werden wird, er hat bei Fällen des Artikel 6 den Hauptantrag auf Einreihung in die Gruppe I der Hauptschuldigen zu stellen.“

So geschah es dann auch. Die Spruchkammer tagte am 8. Juli 1948 unter Vorsitz von Georg Schadt mit den Beisitzern Ludwig Stumpf und Kurt Hornickel. Dr. Paulus wurde als „Mitläufer“ entnazifiziert und hatte einen einmaligen Beitrag von 10 DM zu leisten. Dabei war Dr. Paulus nicht unvermögend. Das Finanzamt Rothenburg hatte sein wirtschaftliches Auskommen aufgeschlüsselt. Dr. Paulus hatte 1942 ein Einkommen von 10.103 RM, 1943 von 10.370 RM, im Jahr 1945 ein Einkommen von 3609 RM und 1946 waren es 54.000 RM. Als Begründung, warum Paulus als „Mitläufer“ einzustufen war, wurde im Wesentlichen das wiedergegeben, was der Ermittler an positiven Fakten und Meinungen gesammelt hatte. Zur Last gelegt wurde ihm die Zugehörigkeit zur NSDAP und zur SA.

„In beiden Fällen haben die Tätigkeiten des Betroffenen mit Kriegsausbruch ein Ende gefunden, er kann daher nicht zum Personenkreis der Angehörigen einer verbrecherischen Organisation gerechnet werden.“

Dr. Gustav Paulus übte danach seinen Beruf als Arzt in Rothenburg wieder aus.  Er starb……………

Siehe auch: Who’s who im nationalsozialistischen Rothenburg o. d. Tauber
Siehe auch: Antisemitismus (I)

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Begriffserkläung: Amt für Volksgesundheit

Dr. Paulus war Amtsleiter dieser NS-Organisation im Landkreis Rothenburg. Das Amt für Volksgesundheit war eine der NSDAP zugehörige Organisation, die die Umsetzung der NS-Rassenlehre und Erbbiologie auf Gau- und Kreisebene zur Aufgabe hatte. Eingeführt wurden die Ämter Ende 1934 auf Kreis- und Gauebene. Träger waren die Deutsche Arbeitsfront (DAF) und die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV). Zudem bestand eine enge personelle Verflechtung zwischen den Ämtern für Volksgesundheit der DAF, der NSV und dem Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebund (NSDÄB). Ihre Aufgabe war zum einen die rassische und erbbiologische Erfassung der Mitglieder verschiedener NS-Organisationen sowie der Bevölkerung im jeweiligen Zuständigkeitsbereich. Zielsetzung der Ämter war die „rassische Reinhaltung“ und Aufwertung des „Volkskörpers“. Das Amt für Volksgesundheit war ein parteieigener Konkurrent der staatlichen Gesundheitsämter. Darüber hinaus führten die Ämter Schulungskurse für Mitglieder der Partei und ihrer Organisationen durch.

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