Die Wehrpflicht: Für die geheime Mobilmachungsvorbereitung wurden 1937 in Rothenburg 44 Beamte und Angestellte der Stadt im Kriegsfall für „unabkömmlich“ gestellt

Rollenspiel: Musterung zur Wehrmacht, Umzugswagen 1935 in Rothenburg

Rollenspiel: Musterung zur Wehrmacht, Umzugswagen 1935 in Rothenburg

Von Wolf Stegemann

Unter Verletzung der Abrüstungsbestimmungen des Versailler Vertrags wurde die allgemeine Wehrpflicht im Deutschen Reich mit dem „Gesetz über den Aufbau der Wehrmacht“ am 16. März 1935 eingeführt und mit dem Reichsverteidigungsgesetz vom 21. Mai 1935 ausgestattet. Es sah eine vorläufige Friedensstärke von 36 Divisionen mit 550.000 Mann vor. In einer „Friedensrede“ bot Hitler Nichtangriffspakte an. Zwar protestierten die Westmächte und Italien gegen Hitlers Vorgehen, doch folgten keine Aktionen gegen Deutschland. Großbritannien unterlief die gemeinsamen Bemühungen sogar durch das Arrangement mit Hitler im „Deutsch-Britischen Flottenabkommen“ vom 16. Juni 1935.

Karikatur-Postkarte zur Wehrpflicht 1935

Karikatur-Postkarte zur Wehrpflicht 1935

Namentliche Erfassung der Uk-Gestellten

Für ein, dann für zwei Jahre wurden im Herbst 1935 zunächst der Jahrgang 1914, dann die Jahrgänge 1915, 1916 und 1917 eingerufen. Der jüngste noch im Ersten Welt­krieg ausgebildete Jahrgang war der von 1900. Dazwischen klaffte die Lücke der so genannten „weißen“ Jahrgänge, die keine Ausbildung genossen hatten. Um auch sie nach Möglichkeit für das Heer im Kriege als Reserve verfügbar zu machen, wurden neben der aktiven Truppe „Ergänzungseinheiten“ (E-Einheiten) aufgestellt. In ihnen erhielten die Angehörigen der weißen Jahrgänge eine zwei-, später dreimonatige Kurzausbildung. Zunächst wurde 1936 der Jahrgang 1913 einberufen, 1937 die Jahrgänge 1912 sowie 1908 und ältere.
Die Briefe und Fernschreiben, die schon Anfang 1937 zwischen dem Regierungspräsidenten von Oberfranken und Mittelfranken, der Wehrwirtschaftlichen Gruppe des Arbeitsamts Nürnberg bzw. Ansbach, schließlich dem Reichsminister des Innern in Berlin und der Stadtverwaltung Rothenburg ob der Tauber hin und her gingen, waren alle mit einem dicken roten Stempel als „Geheim!“ eingestuft. Denn es sollte nicht bekannt werden, dass bereits konkrete Vorbereitungen zu einem Krieg getroffen wurden, den Hitler und seine Regierung seit langem plante. Zu diesen Vorbereitungen gehörten, wie man heute weiß, nicht nur der Bau der Autobahnen, des so genannten Westwalls, des schleichenden Beginns der Umstellung auf Kriegswirtschaft, der Einführung von Wehrsportertüchtigung in Turnvereinen, in Schulen und der Hitlerjugend, der Überschuldung des Staatshaushalts, sondern auch die namentliche Erfassung von öffentlich Bediensteten in Verwaltung, Polizei und Wirtschaft, die als „unabkömmlich“ gestellt werden mussten, um die Versorgung der Bevölkerung aufrecht zu halten.

Versorgungsbetriebe mussten im Kriegsfall aufrecht erhalten werden

Im Krieg: Plakat am Geschäft

Im Krieg: Plakat am Geschäft

„Unabkömmlich“ (uk) war die Kennzeichnung von Personen, die wegen der Unentbehrlichkeit ihrer momentanen zivilen Tätigkeit vom Wehrdienst freigestellt waren (Gegensatz: kv = kriegsverwendungsfähig). Im Zweiten Weltkrieg konnten Facharbeiter, Bergleute, Landwirte, Ingenieure, Künstler, Verwaltungsleute in Kommunen und Staatsämtern, Wissenschaftler u. a. uk-gestellt werden. Einzelheiten regelten die „Bestimmungen für Uk-Stellung bei besonderem Einsatz“ des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) vom November 1940. Wesentliche Voraussetzung war, ob die Uk-Stellung „im Reichsverteidigungsinteresse“ lag.

In den Entnazifizierungsverfahren vor der Spruchkammer Rothenburg gaben einige NSDAP-Mitglieder als Grund für ihre Mitgliedschaft an, dass sie damit größere Chancen gehabt hätten, möglicherweise uk-gestellt zu werden. Das traf allerdings nicht ein. Lediglich die hauptamtlichen NSDAP-Funktionäre waren unabkömmlich.
Das Verfahren zur Feststellung der Unabkömmlichkeit im Kriegsfall begann bereits 1936. Bei der Mobilmachung musste das Funktionieren kommunaler Gewerbe- und Versorgungsbetriebe wie Schlachthöfe, Elektrizitätswerke, Müllabfuhr, Kanalisation, Krankenhäuser, Bade- und Schwimmanstalten, Kredit-Institute, Markthallen und andere personell wie materiell gesichert sein. Materialfeststellungen mussten getroffen werden. Doch:

„Im Straßenwesen sind zentrale Materialbedarfsermittlungen z. Zt. nicht angebracht, da über den Umfang der Inanspruchnahme der Straße im Kriege heute noch keine Feststellungen getroffen werden können. Wegen der laufenden Unterhaltung der stark benutzten Transportwege im Kriege ist die Frage der Materialsicherstellung aber trotzdem von erheblicher Bedeutung.“

Bei Mobilmachung öffentliche Kredite für Familienunterstützung

Mobilmachung der Pferde für die SS

Mobilmachung der Pferde für die SS

Für den „Mob-Geldbedarf“ zur Deckung beispielsweise der Familienunterstützung, wenn die Väter eingezogen waren, erhielt die Stadt die erforderlichen öffentlichen Kassenmittel mit Vorschussgewährung seitens des Reiches, sondern auch durch besondere Kreditaufnahme bei den kommunalen Kreditinstituten (Sparkassen). Zudem gab die Reichsbank den Gemeinden zusätzliche Kredite. Die Städte mussten bereits im Sommer 1939, also vor Kriegsbeginn im September, Heizmaterial einlagern. Auch in den Sommern der darauffolgenden Jahre. Kraftfahrzeuge im gemeindlichen Besitz aber auch private mussten über die Kraftfahrzeugämter gemeldet werden und die Stadt dazu mitteilen, welche Fahrzeuge nicht eingezogen werden dürften, um die Versorgungssicherheit aufrecht zu erhalten (Feuerwehr, Landwirte, Ärzte, Baufahrzeuge u. a.).

Unabkömmlich gestellte Personen waren in erster Linie Mitarbeiter von Gemeinde- und Parteiverwaltungen sowie von kriegswichtigen Betrieben. Aber es gab auch Ausnahmen. Ein bekannter Fall ist der damalige Nationaltrainer Sepp Herberger, der lange für die Unabkömmlichkeit seiner Spieler kämpfte, bis diese ab 1943/1944 doch eingezogen wurden. Auch Schauspieler, Künstler, Lehrer konnten unabkömmlich gestellt sein. Grundsätzlich ging die Tendenz dahin, in den letzten Kriegsjahren jeden verfügbaren Mann an die Front zu bringen.

Listenmäßige Erfassung der städtischen Beamten und Angestellten

Von der Konkarde zum Adler mit Hakenkreuz

Von der Konkarde zum Adler mit Hakenkreuz

1937 erstellte die Rothenburger Stadtverwaltung eine Namensliste für die Wehrwirtschaftsgruppe des Arbeitsamtes, in der festgelegt war, wer von den städtischen Mitarbeitern bereits eine „Mobilmachungsbeorderung“ (Ankündigung) für den Fall der Mobilmachung erhalten hatte; manche schon 1935 und 1936. Im Stadtbauamt war dies der Hilfsarbeiter Wilhelm Model, der die Aufforderung in Händen hatte, im Falle der Mobilmachung in der Güllschule in Ansbach anzutreten.

Die Städtischen Werke Rothenburg stellten am 20. Januar 1937 eine Namensliste ihrer 20 Mitarbeiter auf. Der Betriebsleiter Siegfried Wobst (zugleich NSDAP-Ortsgruppenamtsleiter) stufte sie dann in abkömmlich und nichtabkömmlich ein; sich selbst und elf andere als unabkömmlich. Sechs Mitarbeiter hatten bereits die Einberufung zur Wehrmacht für den 1. Tag der Mobilmachung erhalten. Sie mussten je nach vorgesehener Waffengattung in Ansbach, Garmisch, Petersaurach, Windsbach oder Fürth antreten.
Zur Sicherung des Personalbedarf listete die Stadtverwaltung Rothenburg für das Bezirksamt Rothenburg zu weiteren Veranlassung 44 städtische Angestellte, Beamte und Arbeiter auf, für die „Aufrechterhaltung des Betriebes der Stadtverwaltung“ und seiner Anstalten notwendig waren und somit uk-gestellt wurden; Adolf Popp mit 18 Jahren der Jüngste und Friedrich Erdmann mit 56 Jahren der Älteste. Sie waren vorgesehen, bei einer Mobilmachung vorerst nicht in den Krieg zu ziehen.

Geheimhaltung auch unter den Dienststellen

Das Reichsministerium des Innern verschickte unter äußerster Geheimhaltung am 28. Januar 1939 für Kommunen, Landkreise, Länder und sonstige öffentliche Träger Instruktionen über die bevorstehende Mobilmachung und verwies auf die strenge Geheimhaltung der „Mob –Vorbereitungen“ und „Mob-Maßnahmen“.

„Die Gemeindeaufsichtsbehörden werden im Interesse der Geheimhaltung angewiesen, … die in Betracht kommenden Dienststellen und Personen nur insoweit Kenntnis zu geben, als es zur Durchführung der Mob-Vorarbeiten unbedingt erforderlich ist.“

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Quelle: Stadtarchiv Rothenburg ob der Tauber, G 60

 

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