Die deutsche Industrie produzierte und lieferte der SS das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B zur Vergasung von mindestens einer Million Juden

Telegramm über die Beschaffung von Giftgas für Auschwitz

Telegramm über die Beschaffung von Giftgas für Auschwitz

Auschwitz ist das Synonym für Vergasung. Vergasung als industriell organisierte schnelle und grausame Tötungsart von über einer Million Menschen – in Auschwitz. Auch etliche Juden aus Rothenburg starben in den Gaskammern von Auschwitz. Zyklon B ist die Bezeichnung für ein 1922 bei der Firma Degesch entwickeltes Schädlingsbekämpfungsmittel, dessen Wirkstoff Blausäure („Cyanwasserstoff“, HCN) als Gas aus Pellets austritt und beim Menschen vorwiegend durch Einatmen des Gases wirksam wird, indem es nach wenigen Atemzügen die Zellatmung der Körperzellen zum Stillstand bringt (innere Erstickung). Zwischen 1942 und 1944 wurde es im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau in großem Umfang zu industriell organisiertem Massenmord benutzt. Eine Million Menschern jüdischer Abstammung oder jüdischen Glaubens wurden allein dort vergast. Die Bezeichnung für das Gift ist zu einem der Synonyme für die Technik und Systematik des Holocaust geworden. Über das Töten in Auschwitz berichtete der Lagerkommandant Rudolf Höß, der 1947 in Polen zum Tode verurteilt und im ehemaligen Stammlager Auschwitz gehenkt wurde, in seinen Erinnerungen:

„Zuerst kamen die Frauen mit den Kindern hinein, hernach die Männer. Die Tür wurde schnell zugeschraubt und das Gas in einen Luftschacht geworfen. Durch das Beobachtungsfenster konnte man sehen, dass die dem Einwurfschacht am nächsten Stehenden sofort tot umfielen. Die anderen fingen an zu taumeln, zu schreien und nach Luft zu ringen. Das Schreien ging bald in ein Röcheln über, und in wenigen Minuten lagen alle. Eine halbe Stunde nach dem Einwurf des Gases wurde die Tür geöffnet und die Entlüftungsanlage eingeschaltet. Den Leichen wurden nun durch das Sonderkommando die Goldzähne entfernt und den Frauen die Haare abgeschnitten. Hiernach wurden sie durch den Aufzug nach oben gebracht vor die inzwischen angeheizten Öfen.“

Das Todesprodukt der Chemiker in Dessau und der IG Farben

Tödliches Granulat

Tödliches Granulat

Zyklon B bestand aus flüssiger Blausäure, die in der Produktion auf saugfähige Trägermaterialien aufgetropft wurde. Das Granulat wurde in Blechdosen ausgeliefert, die mit einem speziellen Schlageisen zu öffnen waren. Als Stabilisatoren dienten Oxalsäure und Methylchlorformiat. Die Haltbarkeit wurde für die Dauer von drei Monaten nach Auslieferung garantiert. In der Praxis konnte Zyklon B wesentlich länger gelagert werden, wenn die Dosen vor Feuchtigkeit und Durchrosten geschützt wurden. Um einem Überdruck innerhalb der Dosen widerstehen zu können, waren diese aus 0,4 mm starkem Blech gefertigt und druckfest verschlossen. Die Dosen wurden im Werk geprüft und dazu auf 60 °C erhitzt. Ausgeliefert wurde Zyklon B in Dosen mit 200 g, 500 g, 1000 g, 1200 g und 1500 g.

Das Produkt wurde als Verkaufsmarke „Zyklon“ ohne zusätzlichen Buchstaben auf dem Etikett vertrieben. Die Zusatzbezeichnungen A, B und C dienten fabrikintern als Kennzeichnung für unterschiedliche Verfahren, Reizstoffzusätze und Zusammensetzungen. Zyklon B wurde entwickelt, um den Umgang mit Blausäure sicher zu machen. Das Zellgift Blausäure ist wegen seines niedrigen Siedepunktes insbesondere in flüssiger Form gefährlich zu handhaben. Auch bei Raumtemperatur hat Blausäure einen hohen Dampfdruck und ist dementsprechend leicht flüchtig. Des Weiteren bildet Blausäure mit Luft bei bestimmten Konzentrationen explosionsfähige Gemische. Durch die langsamere Ausgasung wird beim Einsatz von Zyklon B der schlagartige Aufbau hoher (explosionsgefährlicher) Konzentrationen weitgehend verhindert. Für die Schädlingsbekämpfung in Schiffen und Silos sind deutlich geringere Konzentrationen ausreichend, in der Praxis verwendet man Konzentrationen von ca. 0,03 Prozent. Beim Einsatz von Zyklon B bei der Wehrmacht und in Konzentrationslagern zur Desinfizierung von Uniformen und Kleidern sowie zur Entlausung sind keine Unfälle bei der Handhabung bekannt, obwohl in dieser Zeit mehrere hundert Tonnen Zyklon B verwendet wurden.

Hersteller und Auslieferer wussten um die Verwendung zum Massenmord

Zyklon B-Dose

Erhalten gebliebene Zyklon B-Dosen

Die Herstellung von Zyklon B und seine Lieferung an die Konzentrationslager lagen in der Hand der 1919 gegründeten Degesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH). Herstellungsbetriebe waren die Dessauer Werke für Zucker und Chemische Industrie (Dessauer Zuckerraffinerie), die Kaliwerke Kolin (ab 1935/36, heute in Tschechien) und im Gemeinschaftsunternehmen der deutschen Degussa und der französischen Ugine in Villers-Saint-Sépulcre. Der Hauptproduzent war in Dessau. 1930 trat die IG Farben in den Gesellschafterkreis der Degesch ein und war mit 30 Prozent an ihr beteiligt. Bis dahin galt die Degesch als 100-prozentige Tochterfirma der Degussa. Sitz der Degesch war in den Räumen der Degussa in Frankfurt am Main, später in Friedberg/Hessen. 1936 wurde ein neuer Vertrag abgeschlossen. Dementsprechend gehörte die Degesch zu 42,5 Prozent der IG Farben, zu 42,5 Prozent der Degussa und zu 15 Prozent dem Theo Goldschmidt Konzern. Zyklon B wurde über die Handelsunternehmen Tesch & Stabenow (Testa) und Heerdt-Lingler (HeLi) vertrieben.

Die Geschäftsberichte der Degesch weisen für den Zeitraum von 1938 bis 1943 jährliche Produktionsmengen zwischen 160 Tonnen und 411 Tonnen aus. Für Rüstungsaufträge wurde 1943 der Preis auf 4,55 Reichsmark je kg gesenkt. Die Dessauer Werke wurden im März 1944 bombardiert und dabei schwer beschädigt, so dass die gesamte Jahresproduktion auf 231 Tonnen sank. Am 7. März 1945 wurden die Dessauer Werke und das Lager bei Luftangriffen völlig zerstört.

In der DDR wurde von 1952 bis 1969 Zyklon B als Entwesungsmittel durch die VEB Gärungschemie Dessau, den Nachfolgebetrieb der Dessauer Werke für Zucker-Raffinerie GmbH, weiter hergestellt und unter dem Namen „Cyanol“ vertrieben. In der Bundesrepublik wurde es nach 1945 unter dem Namen „Cyanosil“ und „Zedesa“ Blausäure im Inland und unter dem Namen „Zyklon“ im Ausland vertrieben. Hersteller war die Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung mbH, die Detia Freyberg GmbH und die Desinsekta GmbH. Die Produktion von Zyklon B wurde unter geändertem Markennamen als „Uragan D2“ auch in Tschechien fortgeführt.

Schädlingsbekämpfungsmittel in der Wirtschaft und Wehrmacht

Zyklon B wurde hauptsächlich als Ungeziefer-Vernichtungsmittel für die Durchgasung von Schiffen, Kühlhäusern und Getreidemühlen sowie die Entwesung von Massenunterkünften und die Entlausung von Bekleidung eingesetzt. Nach 1939 stieg der Bedarf durch den Einsatz bei der Wehrmacht und in Lagerunterkünften von Zwangs- und Fremdarbeitern steil an.

Neuankämmlinge in Auschwitz

Neuankömmlinge in Auschwitz

Als Tötungsmittel 1941 an sowjetischen Kriegsgefangenen getestet

Mit Zyklon B ermordeten Deutsche in Konzentrationslagern Juden aus dem von ihnen besetzten Ländern Europas, das die Regierung gemäß der nationalsozialistischen Ideologie zum Staatsprogramm machte. Den Einsatz von Zyklon B zur Ermordung von Menschen testete die SS erstmals im Herbst 1941 in Auschwitz, als verschiedene Institutionen im Reich und den besetzten Gebieten nach einer Methode zur Ermordung der europäischen Juden suchten. Bei solchen Tests waren führende SS-Angehörige der Todesmaschinerie und auch Vertreter des Herstellers anwesend, sahen durch Sehschlitze in die Gaskammern, um den Todeskampf der Menschen zu beobachten, um die Wirkung ihres Giftstoffs zu begutachten.
Im Herbst 1941 ließ der SS-Hauptsturmführer Karl Fritzsch im Keller von Block 11 des Stammlagers Auschwitz I sechshundert russische sowjetische Kriegsgefangene sowie zweihundertfünfzig kranke Häftlinge mit Zyklon B vergasen. Der Lagerkommandant Rudolf Höß entschied sich daraufhin, ausschließlich dieses Giftgas zu verwenden, weil er es gegenüber Motorabgasen und Kohlenstoffmonoxyd aus Gasflaschen für „effektiver“ hielt. Zyklon B wurde – in weitaus geringerem Maße – auch in den Konzentrationslagern  Majdanek, Mauthausen, Sachsenhausen, Ravensbrück, Stutthof und Neuengamme benutzt, um Menschen zu töten. In den meisten Vernichtungslagern wurden hierzu Motorabgase, manchmal auch reines Kohlenstoffmonoxid verwendet. Bei Experimenten mit Giftgasen, die im kroatischen KZ Stara Gradiska durchgeführt wurden, kam auch Zyklon B zum Einsatz.

Jean-Claude Pressac recherchierte von 1979 bis 1985 detailliert die Verwendung von Zyklon B im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Dabei stellte er fest: Zyklon B wurde von der Wehrmacht und in den Konzentrationslagern in erheblichen Mengen zur Entwesung benötigt.

Vier Kilogramm Zyklon B reichten aus, um 1000 Menschen zu töten

Frühere Gaskammer in Auschwitz heute

Frühere Gaskammer in Auschwitz heute

Der weitaus größte Teil des Zyklon B, das nach Auschwitz gelangte, wurde tatsächlich auch dort bestimmungsgemäß zur Ungeziefer-Entwesung eingesetzt, um Läuse als Überträger von Seuchen abzutöten. Eine prozentual geringe Menge des gelieferten Zyklon B reichte jedoch aus, um den Massenmord an Menschen durchzuführen: Auf warmblütige Lebewesen wirkt Blausäure schon in geringer Dosis tödlich (1/22 der Dosis für Wirbellose). Im Prozess gegen den Geschäftsführer der Degesch, Gerhard Peters, wurde berechnet, dass vier Kilogramm Zyklon B zur Vergasung von 1.000 Menschen ausreichten. Durch kriegsbedingten Mangel wurde der Anteil des Warn- und Reizstoffes im Zyklon B herabgesetzt. Die SS beauftragte Mitte 1943 die Gesellschaft, den als Warnsignal vorgeschriebenen, besonderen Geruch des Gases, der vor der Gefährlichkeit der Substanz warnen sollte, zu beseitigen. Der Firmenleitung von Degesch konnte auch dadurch die Verwendung ihres Produkts Zyklon B nicht verborgen geblieben sein. Ab Juni 1944 entfielen auch Warnhinweise auf dem Etikett gänzlich. Laut Urteilsbegründung im Prozess gegen den Geschäftsführer der Firma Degesch/HeLi (Heerdt-Lingler) gilt es als erwiesen, dass diese Sonderform dort zur Tötung von Menschen Verwendung fand.

Strafrechtliche Verfolgung: Todesstrafe der eine, Freispruch der andere

Bei der Beschaffung im Konzentrationslager Auschwitz war SS-Obersturmführer Robert Mulka tätig, der auch Opfer in die Gaskammern führte und unter anderem deswegen beim Frankfurter Auschwitz-Prozess verurteilt wurde. Auch die Verantwortlichen der Lieferfirmen Degesch (Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung) / HeLi (Heerdt-Lingler) und Testa (Tesch & Stabenow) standen vor Gericht. Bruno Tesch und sein Geschäftsführer Karl Weinbacher wurden von der britischen Militärjustiz im Testa-Prozess zum Tode verurteilt und hingerichtet. Gerhard Peters von der Degesch wurde zunächst zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, nach teilweiser Verbüßung jedoch im Wiederaufnahmeverfahren 1955, acht Jahre vor Beginn der Auschwitzprozesse, freigesprochen.

Siehe auch: Die jüdischen Bürger Rothenburgs – Eine Übersicht

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Quellen und Literatur: Nach Wikipedia (Aufruf 2015). – Forschungsgruppe Zyklon B Dessau (2004): Günther Morsch, Bertrand Perz „Neue Studien zu nationalsozialistischen Massentötungen durch Giftgas“, Berlin 2011. – Gerhard Peters: „Blausäure zur Schädlingsbekämpfung“, Verlag Ferdinand Enke, Stuttgart 1933. – Jean-Claude Pressac: „Auschwitz. Technique and operation of the Gas Chambers”, (Beate Klarsfeld Foundation), New York 1989. – Jürgen Kalthoff, Martin Werner: „Die Händler des Zyklon B. Tesch & Stabenow. Eine Firmengeschichte zwischen Hamburg und Auschwitz“,  Hamburg 1998. – Jörg Friedrich: „Die kalte Amnestie. NS-Täter in der Bundesrepublik“,  Fischer TB 4308; Frankfurt/Main 1984.

 

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