W. St. – Das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, darunter auch das Hakenkreuz, ist nach dem deutschen Strafrecht ein Vergehen, das in § 86a StGB geregelt ist. Bei diesem Staatsschutzdelikt handelt es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt, das heißt, der Tatbestand des Deliktes ist schon dann erfüllt, wenn das geschützte Rechtsgut (z. B. die Demokratie) gefährdet ist; eine Verletzung des Rechtsgutes ist nicht erforderlich. Geschützte Rechtsgüter sind hier der demokratische Rechtsstaat und der politische Friede. Es soll der Eindruck verhindert werden, dass es eine rechtsstaatswidrige Entwicklung gebe, in der verfassungsfeindliche Bestrebungen in der durch die Kennzeichen symbolisierten Richtung geduldet werden würden. Die konkrete Absicht zur Unterstützung ist nicht notwendig.
Tatobjekte können Kennzeichen von solchen Parteien oder Vereinigungen sein, die in § 86 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 StGB aufgeführt werden. Als Kennzeichen werden dabei u. a. Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen verstanden.
Unter das Verbot fallen vor allem Kennzeichen ehemaliger nationalsozialistischer Organisationen. Zu den Kennzeichen, die von der Strafvorschrift erfasst werden, können neben Symbolen wie dem Hakenkreuz auch Parolen wie „Heil Hitler“, „Sieg Heil“, „Meine Ehre heißt Treue“ oder „Mit deutschem Gruß“ zählen sowie Lieder wie das Horst-Wessel-Lied oder „Unsre Fahne flattert uns voran“. Keine nationalsozialistischen Kennzeichen sind dagegen die Reichskriegsflagge (in einer Version vor 1935, d. h. ohne Hakenkreuz) oder das „Lied der Deutschen“.
Zum Verwechseln ähnliche Kennzeichen auch verboten
Durch das Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 wurden den aufgeführten Kennzeichen solche gleichgestellt, die ihnen zum Verwechseln ähnlich sind (§ 86a Abs. 2 Satz 2 StGB). Neonazis waren zunehmend mit leicht abgewandelten Zeichen wie spiegelverkehrten oder invertierten Hakenkreuzen aufgefallen. Nach der ständigen Rechtsprechung bedeutet „zum Verwechseln ähnlich“, dass ein „nicht besonders sachkundiger und nicht genau prüfender“ Betrachter die typischen Merkmale eines Originalsymbols erkennt. Dabei ist unerheblich, ob das fragliche Symbol bekannt oder unbekannt ist.
Von den Verboten ausgenommen sind Handlungen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlicher Zwecke (§ 86a Abs. 3 in Verbindung mit § 86 Abs. 3 StGB).
Rechtsfolgen: Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe
Der Verstoß gegen das Kennzeichen-Verbot wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Das Gericht kann dem Täter nach Maßgabe von § 92a StGB die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, Rechte aus öffentlichen Wahlen zu erlangen, und das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu wählen oder zu stimmen, aberkennen. Bei geringer Schuld kann das Gericht gem. § 86a Abs. 3 i.V.m. § 86 Abs. 4 StGB von Strafe absehen. Außerdem können die Tatgegenstände gem. § 92b Satz 1 Nr. 2 StGB eingezogen werden.
Durchgestrichenes Hakenkreuz –Verurteilungen und danach Freisprüche
Um dem Rechtsextremismus entgegenzutreten, haben antifaschistische Gruppen Symbole der Ablehnung entworfen, darunter ein durchgestrichenes oder durchbrochenes Hakenkreuz. Nach Auffassung mehrerer deutscher Staatsanwaltschaften (OStA B. Häußler, Stuttgart) waren jedoch solche Hakenkreuzdarstellungen von den Verbotsgesetzen mitbetroffen.
Das Amtsgericht verurteilte einen Studenten zum Ableisten von Sozialstunden in einer gemeinnützigen Einrichtung und zur Zahlung einer Geldstrafe von 200 Euro, weil dieser einen Anstecker mit einem durchgestrichenen Hakenkreuz getragen hatte und es nicht eindeutig zu erkennen war, dass sich der Träger damit gegen den Nationalsozialismus äußere. Im Revisionsverfahren wurde der Student freigesprochen.
Das Amtsgericht Tübingen verurteilte 2005 einen Studenten für das Tragen eines Ansteckers mit durchgestrichenem Hakenkreuz zu einer Geldstrafe von 50 Euro. Am 16. März 2006 hob das Landgericht Tübingen dieses Urteil auf: Der Träger sei eindeutig als Antifaschist hervorgetreten, das Symbol lasse selbst für Touristen seine Gegnerschaft zum Nationalsozialismus erkennen und der Träger wäre auch sonst durch einen „Verbotsirrtum“ entlastet gewesen, da bundesdeutsche Polizeistellen und Behörden den § 86a StGB unterschiedlich ausgelegt hätten.
Urteil stieß bei Verfassungsrechtlern und Politikern auf Empörung
Das Landgericht Stuttgart verurteilte am 29. September 2006 einen Versandhändler der Firma „Nix Gut-Records“ für den Versand von Waren, auf denen durchgestrichene oder von einer Faust zerschlagene Hakenkreuze zu sehen waren, nach § 86a Abs. 1 Nr. 1 und 2, § 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB zu einer Geldstrafe von 3.600 Euro. Es sei rechtswidrig, Aufdrucke auf T-Shirts, Postern, Anhängern oder ähnlichem zu verwenden, die sich offensichtlich bewusst gegen die auf ihnen dargestellte Symbolik aussprechen – unabhängig davon, unter welchem Slogan sie verfasst und beworben wurden (etwa „Nazis raus!“). Denn es handle sich bei § 86a StGB unstreitig um einen abstrakten Gefährdungstatbestand. Daher sei dessen objektive Erfüllung unabhängig von der subjektiven politischen Meinung des Verwenders. Zudem solle die Symbolik der NS-Zeit gänzlich aus der Öffentlichkeit verbannt werden.
T-Shirt-Händler protestierte. Er wurde freigesprochen
Auch dieses Urteil stieß bei deutschen Strafrechtlern und Politikern vielfach auf Empörung und wurde auch im Bundestag debattiert. Das bewusste Eintreten gegen Rechtsextremismus sei zu fördern, nicht zu kriminalisieren. Auf eine parlamentarische Anfrage hin kündigte das Bundesministerium der Justiz eine Gesetzesänderung an, falls der Bundesgerichtshof Urteile gegen Träger anti-nationalsozialistischer Symbole bestätigen würde.
Dieser hatte das Verwenden von Abbildungen, die objektiv den Nationalsozialismus nicht befürworten, schon 1973 für nicht strafbar erklärt. Die Berliner Staatsanwaltschaft bestätigte bei der Revisionsverhandlung vor dem 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes vom 8. März 2007 diese Auffassung. Am 15. März 2007 sprach der BGH den Versandhändler frei, weil eine Hakenkreuzdarstellung, „deren Inhalt in offenkundiger und eindeutiger Weise die Gegnerschaft zu der Organisation und die Bekämpfung ihrer Ideologie zum Ausdruck bringt,“ dem Schutzzweck der Vorschrift ersichtlich nicht widerspreche und daher von § 86a StGB nicht erfasst werde (Urteil vom 15. März 2007 – 3 StR 486/06; LG Stuttgart – 18 KLs 4 Js 63331/05 – Entscheidung vom 29. September 2006).
Wirkung der Rechtsprechung
Etwa bei Auktionen historischer Gegenstände und Schriften mit Bild wird oftmals das Hakenkreuz im Vorhinein durch Überdecken oder per Bildbearbeitung unkenntlich gemacht. Quasi im Sinne der Urteilsbegründung des Landgerichts Stuttgart von 2006, Symbolik der NS-Zeit gänzlich aus der Öffentlichkeit zu verbannen, ist auf der Rückseite einer anfänglichen Version (2005) des DVD-Covers zu „Der Untergang“ und der ersten DVD, das Hakenkreuz im Reichsadler an der Mütze des Hitler-Darstellers Bruno Ganz (farbig) schwarz übermalt. In einer anderen Version ist die Abbildung Bruno Ganz’ kleiner und die Mütze verschwindet ab der Hälfte im Dunkel, weitere Covers kommen ohne Bruno Ganz aus. Die Filmplakate, Standfotos, ausländische Covers und das Cover des Begleitbuchs sind nicht retuschiert. Historisch forschende Autoren stellten das beschriebene Zeichen auf dem Cover sicherheitshalber nicht dar und nannten ihr 2009 erschienenes Buch XX – Die SS-Rune als Sonderzeichen auf Schreibmaschinen.
Neonazi-Organisationen verständigen sich mit Zahlen-Codes
Da auch gewisse Grußformeln oder nationalsozialistische Spracherkennungssymbole verboten sind, codieren Neonazis sie mit Zahlenkombinationen. Hier einige Beispiele: 13/4/7 steht als Zahlencode für die Abkürzung „MdG“, der verfassungswidrigen Grußformel „Mit deutschem Gruß“. – Die 18 steht für den 1. und 8. Buchstaben des deutschen Alphabets und wird als Synonym für die Initialen Adolf Hitlers verwendet. So benannte sich eine neonazistische britische Terrororganisation „Combat 18“; ein Nebenprojekt der Rechtsrock-Band Sturmwehr heißt „Sturm 18“. – 28 steht für den 2. und 8. Buchstaben des Alphabets und dient als Abkürzung für „Blood and Honour“. B&H ist eine in vielen Staaten aktive neonazistische Bewegung, die sich nach der Losung der Hitler-Jugend benannt hat. Ende Sommer 2000 wurden B&H und deren Jugendorganisation White Youth in Deutschland verboten. – Die Zahl 74 steht für den 7. und 4. Buchstaben des Alphabets und dient als Abkürzung für „Großdeutschland“. – 84 steht für den 8. und 4. Buchstaben und ist die Abkürzung für „Heil Deutschland“; sie wird als Grußformel verwendet („Heil dir“).
Die Zahl 88 (zweimal der 8. Buchstaben des Alphabets) dient als Abkürzung für den Gruß „Heil Hitler“. Beispielsweise heißt ein bekannter Neonazitreffpunkt in Neumünster (Schleswig-Holstein) „Club 88“ und eine der ältesten US-amerikanischen Hatecore-Bands „Chaos 88“. Außerdem steht 88, wenn man das Alphabet von hinten abzählt, für die Buchstaben „SS“. Die Zahl 444 steht für DdD („Deutschland den Deutschen“), das zeigt die Unerwünschtheit von Ausländern. – 19/8 steht für den 19. und den 8. Buchstaben des Alphabets, als Abkürzung für „Sieg Heil“. – Die Zahl 1919, zweimal der 19. Buchstaben des Alphabets, also „SS“. – Die Zahl 192 steht für die Buchstaben 1, 9 und 2 des Alphabets, also „AIB“ für „Adolf is back“.
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Aktuelle Justizverfahren
Erstinstanzlich Freispruch: Im Prozess um den verbotenen Hitlergruß ist am 14. August 2013 der Performancekünstler Jonathan Meese in Kassel freigesprochen worden. Vor dem Amtsgericht war Meese das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vorgeworfen worden. Er hatte in einem Gespräch zum Thema „Größenwahn in der Kunst“ in Kassel die „Diktatur der Kunst“ gefordert und den Arm zweimal zum verbotenen Hitlergruß erhoben. Die Staatsanwaltschaft hatte in dem Verfahren eine Geldstrafe von 12.000 Euro gefordert, die Verteidigung auf Freispruch plädiert. Staatsanwalt Götz Wied legte am 14. August Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts ein. Sie bleibe grundsätzlich dabei, dass eine Straftat vorliege. Sobald das schriftliche Urteil vorliege, so der Staatsanwalt, werde entschieden, ob Berufung (Neuauflage des Prozesses) oder Revision (Überprüfung, ob das Gericht Fehler gemacht hat) eingelegt werde (WaS/FAZ/SZ). – Der Freispruch wurde am 9. Oktober 2013 rechtskräftig, da die Staatsanwaltschaft die Revision zurückgezogen hatte.
Ermittlungen gegen Priester: Weil er in einem Gottesdienst die Nazi-Parole „Sieg Heil“ ausgesprochen haben soll, ermittelt die Trierer Staatsanwaltschaft gegen einen 80-jährigen Priester. Es werde geprüft, in welchem Kontext der Geistliche bei einer Messe Anfang August 2013 in Fell (Kreis Trier-Saarburg) die Worte verwendet habe. Die Ermittlungen wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen seien eingeleitet worden, nachdem die Zeitung „Trierer Volksfreund“ darüber berichtet hatte. Nach Angaben des Bistums Trier hat der Geistliche im Ruhestand den Nazi-Gruß in einem Vergleich verwendet. Der Vorfall sei aber nicht zu akzeptieren. Der Mann, der als Vertretung für einen Gottesdienst angerufen wurde, habe sich in einem schlechten gesundheitlichen Zustand befunden. (welt.de/trier)
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Quellen: Wikipedia, Online-Enzyklopädie . – Literatur: Dirk Reuter: „Verbotene Symbole“, Nomos 2005, – Gabriele Kett-Straub: „Das Verwenden nationalsozialistischer Kennzeichen – § 86a StGB im Spannungsfeld zwischen symbolischem Strafrecht, Gefühls- und echtem Rechtsgüterschutz“ in NStZ 11/2011, 601
Der Link, der in dieser Sache zum Urteil des BGH führt: