Das Lied als Anstiftung zum Judenhass – Das „Heckerlied“ und seine antisemitischen Varianten in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und heute

Friedrich Hecker, 64-jährng  in St. Louis Missouri (USA) 1875

Friedrich Hecker, 64-jährig in St. Louis, Missouri (USA) 1875

Von Wolf Stegemann

In der rechtsextremen Musikszene ist heute noch das Lied „Blut“ verbreitet. Daran lässt sich eine Kontinuität der Tradition – neben der Symbolik – auch der Lieder verfolgen. Das Lied geht auf ein Kampflied der SA zurück. Doch ist seine Geschichte deutlich älter. Das Heckerlied ist ein antimonarchistisches Revolutionslied der badensischen Revolutionäre von 1848/1849. Friedrich Hecker versuchte mit dem „Heckerzug“ die Revolutionäre in Baden zu sammeln, um die Residenzstadt Karlsruhe einzunehmen. Die Revolte wurde niedergeschlagen. Hecker konnte in die Schweiz und dann in die USA entkommen, wo er blieb.  Die erste bis dritte der insgesamt sechs Strophen des Heckerliedes lauten:

1) Wenn die Leute fragen,
Lebt der Hecker noch?
Könnt ihr ihnen sagen:
Ja, er lebet noch.
Refrain:
Er hängt an keinem Baume,
Er hängt an keinem Strick.
Er hängt nur an dem Traume
Der deutschen Republik.

2) Fürstenblut muß fließen
Knüppelhageldick,
Und daraus ersprießen
Die freie Republik.
Ja, dreiunddreißig Jahre
Währt die Knechtschaft schon
Nieder mit den Hunden
Von der Reaktion!

3) Schmiert die Guillotine
Mit Tyrannenfett!
Schmeißt die Konkubine
Aus des Fürsten Bett!
Ja, dreiunddreißig Jahre
Währt die Knechtschaft schon
Nieder mit den Hunden
Von der Reaktion!

Textvarianten fanden vor und nach 1933 eine starke Verbreitung

Das „Heckerlied“ hat eine lange Geschichte und mehrere Textvarianten, jeweils der Zeit und dem politischen Standort der Gruppierung angepasst, die es sangen. Die Varianten gliederten sich in die ältere Geschichte des antimonarchistischen „Heckerliedes“, die mit den 1830er-Jahren beginnt und dessen antisemitische Variante in der Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs einsetzt. Studentenbünde und rechtsnationale Gruppierungen und Parteien bemächtigten sich des „Heckerliedes“ und schrieben den Text nach ihrer Ideologie um. Schriftliche Drucke dieser Varianten gibt es nicht, da die Texte zu Straftaten aufriefen und in der Weimarer Republik unter Strafe gestellt waren. Dennoch fanden sie Liedvarianten starke Verbreitung, wie ein Protest aus Hamburg zeigt. Die dortige Ortsgruppe des „Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens“ (C. V.) verfasste ein Flugblatt, das am 13. April 1932 der Zeitung „Hamburger Fremdenblatt“ in einer Auflage von 250.000 Exemplaren beigelegt wurde. Das Flugblatt setzte sich mit der aktuellen  antisemitischen Propaganda auseinander.
Zu den beiden seinerzeit bekanntesten antisemitischen Liedern wird das antisemitische „Heckerlied“, mindestens aber sein Refrain gerechnet. In dem Flugblatt heißt es: „Welch eine Schande, dass es möglich ist, […] daß junge Menschen Lieder singen, wie es in einem ‚Sturmlied‘ der SA heißt: ‚… und wenn das Judenblut vom Messer spritzt, dann geht’s noch mal so gut …‘ oder ‚Blut muß fließen knüppelhageldick, wir pfeifen auf diese Freiheit der Judenrepublik!‘“

Auch in Rothenburg „spritzte das Judenblut vom Messer“

LIederbuch mit der NS-Variante des Heckerliedes

Liederbuch mit der NS-Variante des Heckerliedes

Das belegt, dass es vor 1933 bereits pogrom-antisemitische Lieder gegeben hat. Lieder, die direkt zu Mord und Totschlag aufrufen, finden sich nicht in gedruckten Liedersammlungen, da sie – wie bereits erwähnt – gegen Strafgesetze verstoßen hätten. Daher  ist die Beweislage für wissenschaftliche Erforschung des Themas äußerst dünn. Welche Lieder gesungen wurden, geht häufig aus den späten Erinnerungen von Zeitzeugen hervor. Ein heute alter Herr, der früher ein begeisterter Pimpf in der Rothenburger Hitlerjugend war, sang damals ebenso begeistert die Passagen des umgedichteten Heckerliedes, wo es heißt, dass das Judenblut vom Messer spritzt. Es soll von Hitlerjungs und SA-Leuten vor den Häusern der Juden „straßauf, straßab“ gesungen worden sein. Auch in einem Radiointerview von 2005 bezeugte die ehemalige jüdische Rothenburgerin Clothilde Weismann, dass dieses Lied von der Hitlerjugend oft gesungen worden sei. Für solches Tun gibt es auch Zeitzeugen in anderen Städten, beispielsweise in westfälischen Dorsten, wo der frühere Stammführer der Hitlerjugend und spätere NRW-Landtagsabgeordneter Werner Kirstein in den 1980er-Jahren die Verse vom „Judenblut“ im Refrain noch auswendig vorsagen konnte.
Der hohe Bekanntheitsgrad der pogrom-antisemitischen Verse und Strophen war auch der Grund, warum sie nicht gedruckt werden mussten – sie waren fester Bestandteil der Kommunikation in rechtsradikalen Gruppen vor und nach der NS-Machtübernahme. Für die Verbreitung der terrorisierenden Botschaft reichte es aus, die Melodie zu spielen. Der Text wurde von den marschierenden Truppen gesungen. Hans Bajer, Musikpädagoge, Komponist eines Horst-Wessel-Gedenkmarsches und Herausgeber vieler nationalsozialistischer Liedersammlungen, erläuterte im Rückblick von 1939 die Strategie vor 1933:

„Besonders gefährliche Stellen in manchen SA-Liedern waren schon vor der Drucklegung durch harmlose Sätze ausgetauscht worden. So z. B. hieß es in einer Strophe des Kampfliedes: ‚War einst ein junger Sturmsoldat‘, das aus dem im (Ersten) Weltkrieg entstandenen Soldatenlied ‚Ihr Landwehrmänner, jung und alt‘ hervorgegangen ist, folgendermaßen: ‚Wir sind vom Gausturm Groß-Berlin / Und haben frohen Mut. / Wenn das Judenblut vom Messer spritzt, / Dann geht’s noch mal so gut.‘ Hier wurde die dritte Verszeile durch die Wendung ersetzt: ‚Wenn das Hakenkreuz voranmarschiert‘. Dies hinderte jedoch die SA nicht, das Lied trotz aller Gefahr zum Entsetzen der Straßenpassanten immer kräftig in der Originalfassung zu singen.“

Durch gemeinsames Singen eine Gemeinschaft herstellen

Die Musikpsychologen sagen, dass gemeinsames Singen zunächst eine Gemeinschaft der Singenden herstellt; an ihr lässt sich eine ähnliche Beobachtung machen wie an der Wirkung von Symbolen. Im Akt des gemeinsamen Singens kann es keine Verneinung der singenden Gemeinschaft und keine Distanzierung des Einzelnen von ihr geben. Das Singen, verstärkt noch in Verbindung mit einem gemeinsamen Marschieren, schafft eine höhere Qualität der Bedeutung einer Gemeinschaft. Noch stärker wird diese Gemeinschaft, wenn der Liedtext eine Eigengruppe anspricht, als deren Angehörige sich die Singenden fühlen und mit dem Lied eine Abgrenzung zu anderen Gruppen verdeutlichen können.

Funktion und Bedeutung des Liedes in der Weimarer Republik

Exakt dies ist der Fall beim vorliegenden Lied. Das Singen von antisemitischen bzw. antirepublikanischen Liedern schafft eine Gemeinschaftlichkeit wie umgekehrt die Gemeinschaftlichkeit eben im gemeinsamen Singen ausgedrückt wird. Die Verknüpfung von Antisemitismus mit Republikfeindschaft ist eine eindeutige Selbstzuordnung zu den völkischen Feinden der Weimarer Republik. Das Lied diente als ein Zuordnungssymbol zum Rechtsradikalismus. Dazu der Musikwissenschaftler Michael Kohlstruck:

„Der Gewaltaufruf im Strophentext repräsentierte einen brutalen Pogrom-Antisemitismus, von dem sich namhafte völkische Aktivisten nicht angesprochen fühlten, der Refrain mit seiner politischen Gegnerschaft zur ,Judenrepublik’ aber war geeignet, eine erweiterte Zustimmung auszulösen. Die umgedichtete Liedzeile ,wir pfeifen auf die Freiheit der Judenrepublik’ verbindet den radikalen Antisemitismus der Völkischen mit der Ablehnung der neuen Republik, indem verschwörungstheoretisch suggeriert wird, diese werde von ,den Juden’ gesteuert. Seit der Gründung der Republik wurde mit dieser Begründung die neue Reichsflagge mit den Farben Schwarz-Rot-Gold als ,Judenfahne’“ abgewertet und der neue Staat als ,Judenrepublik’ zu diskreditieren versucht.“

Justiz uneins: Propagandistische Judenhetze meist kein Straftatbestand

MS-LIederbuch vor 1933

NS-Liederbuch vor 1933

Welche Straftatbestände und welches Strafmaß mit dem Absingens des Refrains in der Weimarer Republik verbunden bzw. zu verhängen war, war äußerst umstritten. Während verfassungstreue und anti-antisemitische Juristen die Ausschöpfung der bestehenden Gesetze einforderten, wurde dem in vielen Fällen von der Rechtsprechung nicht entsprochen. Während Gewalttätigkeiten und individuelle Beleidigungen eindeutig definierte Tatbestände erfüllten, wurde über den rechtlichen Status von Kollektivbeleidigungen politisch und juristisch gestritten.
Strafbewehrt waren zunächst die „Aufreizung zum Klassenhass“ nach § 130 StGB und die Religionsbeschimpfung nach § 166 StGB. Seit Juli 1922 war auch das (erste) Republikschutzgesetz in Kraft, das in § 8, Abs. 1 die Beschimpfung der Republik und der Reichsfarben unter Strafe stellte. In der Praxis insbesondere der unteren Gerichte wurde dies häufig anders bewertet: Juden hätten nicht als „Klasse“ im Sinne einer gesellschaftlichen Gruppe zu gelten, sondern – in Einklang mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen – als „Rasse“, und insofern sei § 130 StGB nicht anwendbar. Ähnlich interpretierte man häufig den Text des Refrains in der Weise, dass damit nicht die Verfassungsordnung als solche gemeint sei, sondern alle Phasen der Nachkriegsordnung, also auch die der Staatsgründung vorausgehende Zeit des „Rats der Volksbeauftragten“; schließlich wurde argumentiert, die Feindschaft gelte lediglich einzelnen jüdischen Politikern oder dem als gerichtsnotorisch behaupteten Umstand eines besonders starken Einflusses jüdischer Politiker. Der C. V. und andere nicht  antisemitische Gruppen dokumentierten Urteile zu Antisemitismus und Republikfeindschaft, auf die etwa das Preußische Innenministerium im September 1922 mit einer Verordnung reagierte und die Staatsanwaltschaften zu einem konsequenten Verfolgen von Antisemitismus aufforderte.

Doch immer wieder wurde verneint, dass Republikfeindschaft vorliege und stattdessen auf bloßen Antisemitismus erkannt, der wiederum nicht im Sinne einer strafbaren Kollektivbeleidigung, nicht als Aufstachelung zum Klassenhass und nicht als Beleidigung einer Religionsgemeinschaft interpretiert wurde. Propagandistischer Antisemitismus als solcher erfüllte in den Augen der allermeisten Richter keinen Straftatbestand.
In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre wurde von den republikanischen Kritikern der Rechtsprechung eine „Vertrauenskrise der Justiz“ diagnostiziert und zwischen Herbst 1926 und Herbst 1928 öffentlich debattiert. „Die Kritik an der deutschen Rechtspflege“, so der Titel des viel beachteten Vortrages von Erich Eyck im Januar 1926 in Berlin, begründete sich nicht zuletzt darin, dass sich die deutschen Juden „ausgesprochen rechtlos fühlen“.

Noch zu Anfang der NS-Zeit von Massenmord gesungen, später ihn begangen

Liederbuch der Hitlerjugend

Liederbuch der Hitlerjugend

Die antisemitische Variante des Heckerliedes, Gewaltaufruf gegen die Juden und politische Feinderklärung an die Republik, repräsentierte wie kaum ein anderes Lied das Programm der NSDAP. Es kann insofern nicht überraschen, dass die SA am Abend des 30. Januar 1933 auch dieses Lied anstimmte. Überliefert ist die folgende Variante.

1) „Dreizehn lange Jahre, dreizehn lange Jahre, dreizehn lange Jahre währt die Knechtschaft schon. / Nieder mit die Hunde, nieder mit die Hunde, nieder mit die Hunde von der Reaktion! / Blut muß fließen knüppelhageldick, / wir pfeifen auf die ‚Freiheit‘ der Judenrepublik, / wir pfeifen auf die Freiheit der Judenrepublik! /Refrain: Kommt einst die Stunde der Vergeltung, sind wir zu jedem Massenmord bereit.

2) Hoch Minister Severing, hoch Minister Severing, hoch Minister Severing am Laternenpfahl, / Und daneben Brüning, und daneben Brüning, und daneben Brüning am Laternenpfahl. / Refrain

3) Schleift die langen Messer, schleift die langen Messer, schleift die langen Messer, an dem großen Stein, / Dann gehn se um so besser, dann gehn se um so besser, dann gen se um so besser in den Judenwanst hinein. / Refrain

4) In die Parlamente, in die Parlamente, in die Parlamente schmeißt die Handgranate rein, / Die Ministersessel, die Ministersessel, die Ministersessel müssen unser sein. / Das gibt Brennholz für des Volkes Not, / Und wer uns daran hindert will, den schlag’n wir einfach tot./ Blut, Blut, Blut! / Refrain.

5) Schmiert die Guillotine, schmiert die Guillotine, schmiert die Guillotine, ein mit Bonzenfett, / Reißt die Konkubine, reißt die Konkubine, reißt die Konkubine aus Grzesinskis Bett. / Refrain

6) Wenn euch die Leute fragen, wenn euch die Leute fragen, wenn euch die Leute fragen, lebt der Itzig noch, / Dann sollt ihr ihnen sagen, dann sollt ihr ihnen sagen, dann sollt ihr ihnen sagen, ja er lebet noch / Er hängt an keinem Baume, er hängt an keinem Strick, / Er hängt mit Leib und Seele an der Judenrepublik. / Refrain.

7) Darum wähln wir Thälmann, darum wähln wir Thälmann, darum wähln wir Thälmann, ja noch lange nicht, / Darum wähln wir Thälmann, darum wählen wir Thälmann, darum wähln wir Thälmann, ja noch lange nicht. / Blutigrote Fetzen, die trägt er auf der Brust, / Und an der Judenherrschaft, da hat er seine Lust. / Refrain.

Hetzlieder gegen Juden zur Stimulierung gesungen

Varianten des Liedes sind auch aus der Zeit nach 1933 überliefert. Es wurde zur Selbst-Stimulierung und Einschüchterung bei den frühen Übergriffen auf Juden und auch bei Veranstaltungen gesungen, die nicht unmittelbar mit Attacken verbunden waren. Johann Neuhäusler (1888–1973), der als katholischer Theologe zum Widerstand gegen das NS-Regime gehörte und nach 1947 Weihbischof im Erzbistum von München und Freising war, berichtete, dass das Lied bei einem Geländeübungskurs des SA-Hochschulamtes von Studierenden in Memmingen Ende Mai 1934 gesungen worden ist. Er hat die folgende Version überliefert, die neben den antisemitischen und republikfeindlichen auch antimonarchische Aussagen umfasst.

1) Wetzt die langen Messer / Auf dem Bürgersteig! / Laßt die Messer flutschen / In den Judenleib!
Refrain: Blut muß fließen knüppelhageldick, / Wir scheißen auf die Freiheit der Judenrepublik. / Kommt einst die Stunde der Vergeltung, / Sind wir zu jedem Massenmord bereit.
2) Hoch die Hohenzollern / Am Laternenpfahl! / Laßt die Hunde baumeln, / Bis sie runterfalln! / Refrain
3) In der Synagoge / Hängt ein schwarzes Schwein. / In die Parlamente / Schmeißt ’ne Handgranate rein! / Refrain
4) Reißt die Konkubine / Aus dem Fürstenbett, / Schmiert die Guillotine / Mit dem Judenfett! / Refrain

Der Gewaltaufruf des Liedes passt sich in die Strategie der ersten Jahre des NS-Regimes ein, die Juden aus Deutschland zu vertreiben. Die SA hat es nach der Machtübernahme weiterhin gesungen, um damit auch den Anspruch ihrer Schlägerkultur auf einen festen Platz im Herrschaftsgefüge des NS-Staates zu sichern. Das Lied dürfte nach der Entmachtung der SA Ende Juni 1934 und mit der programmatischen Rechtsförmlichkeit der Judenentrechtung seltener gesungen worden sein, blieb aber in der Hitlerjugend deutlicher erhalten.

Undercover-Film 2012 über die Rechtsrock-Szene der Nei-Nazis

Undercover-Film 2012 über die Rechtsrock-Szene der Neonazis

Das Lied in Deutschland nach 1945

Es muss an dieser Stelle offenbleiben, ob die antisemitische Variante des Heckerliedes zwischen 1945 und der Wiedervereinigung 1990 öffentlich gesungen wurde und wird. Sie ist allerdings seit rund zwanzig Jahren ein fester Bestandteil der rechtsextremen Musikszene in Deutschland. Eine der ersten Bands, die damit hervortraten, war die Mannheimer Skinband „Tonstörung“, eine Formation, die mit Unterbrechungen von Mitte 1988 bis Ende 1992 existierte. Zunächst stand sie der „Nationalistischen Front“ (NF) nahe, später der „Aktionsfront Nationaler Kameraden“ (ANK). Zu Beginn der 1990er-Jahre wurde „Blut“ von dieser Band auf einem so genannten Demoband aufgezeichnet. Als Tonaufzeichnung findet es sich auch auf der CD „Northeim Live1“, die von Thorsten Heise zusammengestellt wurde.

Rechtsrock-Konzert

Rechtsrock-Konzert

Ein aussagekräftiger Indikator für die Bekanntheit des Liedes im Rechtsrockmilieu ist – neben den Tonkonserven – die Aufführungspraxis bei den einschlägigen Konzerten. Dies sind Ereignisse, die den Musikkonsum mit unmittelbaren Kontakten unter Gleichgesinnten verbinden; häufig werden sie konspirativ vorbereitet und durchgeführt, um ein Intervenieren der Sicherheitsorgane zu verhindern. Indem die Teilnehmer sich dem Risiko eines Polizeieinsatzes aussetzen, dokumentieren sie vor sich selbst und den anderen ihren ernsthaften Willen, der Szene anzugehören. Die Konzertveranstaltungen können insofern für neu gewonnene Interessierte auch den Charakter eines Initiationsrituals annehmen.
Gesungen wird bereits während der gemeinsamen Anreise und dann auch beim Konzert selbst. Bei den Musikdarbietungen selbst ist es üblich, dass das Publikum besonders inkriminierte Liedpassagen anstelle der Band singt und damit die Liturgie eines Wechselgesangs praktiziert wird – die Parallelen dieser Praxis zu den oben erwähnten SA-Aufmärschen liegen auf der Hand. Das Kriminalisierungsrisiko macht die Teilnahme an diesen Konzerten zu einer Mutprobe. Rechtsextreme Konzerte haben eine wichtige Stabilisierungsfunktion für die Szene. Aus verschiedenen Berichten geht hervor, dass das Lied „Blut“ bei derartigen Konzerten einen festen Platz hat. Auch lange nach der Auflösung der Musikband „Tonstörung“ beobachtete das Bundesamt für Verfassungsschutz, dass das Lied „Blut“ zu den Liedern gehört, die bei rechtsextremen Konzerten gesungen wird.

Undercover-Film über die Rechtsrock-Szene 2012

Neonazis beim Rockkonzert

Neonazis beim Rockkonzert

Es ist immer das Gleiche. Irgendwo in der Provinz treffen sich Neonazis zu Konzerten ihrer Bands, die widerwärtige Texte grölen, z. B. „Blut muss fließen knüppelhageldick, wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik …“. Die Einheimischen sind mehr oder minder gleichgültig bzw. wissen gar nicht, was sich abspielt. Polizei und Staatsschutz sind präsent, greifen jedoch zunächst nicht ein. Irgendwann bekommen Antifa-Gruppen Wind davon und machen den Skandal öffentlich. Mehr oder minder notgedrungen formiert sich Widerstand, der zum Erfolg führen kann, aber nicht muss. So etwa geschehen vor einigen Jahren im mittelfränkischen Gremsdorf, wo sich in einem Saalbau Nazis, aber auch zunächst unpolitisch scheinende Fans spezieller Heavy-Metal-Gruppen trafen. Der Journalist Peter Ohlendorf mische sich undercover unter diese Veranstaltungen und drehte Szenen daraus, die er zu einem Film mit 40 Schnitten aus der Rechtsrockszene der Neo-Nazis zusammenstellte und 2012 auf der „Berlinale“ vorstellte.

Anmerkung: Carl Severing (1975–1952) war zwischen 1920 und 1926 preußischer Innenminister, 1928 bis 1930 Reichsinnenminister und 1930 bis 1932 erneut preußischer Innenminister. Walter Gresinski (1879–1947) war 1925/26 Polizeipräsident von Berlin und von 1928 bis 1930 preußischer Innenminister, anschließend erneut Polizeipräsident von Berlin (bis Juli 1932). „Itzig“ ist der antisemitische Schmähname, den die Nationalsozialisten in der Auseinandersetzung mit Bernhard Weiß (1880–1951) verwendeten. Weiß war zwischen 1927 und 1932 Vizepolizeipräsident von Berlin. Ernst Thälmann (1886–1944) war zwischen 1925 und 1933 Vorsitzender der KPD, er wurde 1933 von der Gestapo verhaftet und nach elf Jahren KZ-Haft 1944 ermordet.

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Quellen und Literatur: NS-Dokumentations-Zentrum der Stadt Köln. – Wolf Stegemann (Hg): „Dorsten unterm Hakenkreuz. Der gleichgeschaltete Alltag“, Bd. 3, 1985. – Arnold Paucker: „Der jüdische Abwehrkampf gegen Antisemitismus und Nationalsozialismus in den letzten Jahren der Weimarer Republik“, 2. Aufl., Hamburg 1969. – Hans Bajer: „Zur Geschichte des ersten SA-Liederbuches“ in: „Völkische Musikerziehung“ Nr. 5/1939. – Ders. „Verbotene Lieder der Bewegung in der Kampfzeit“ in: „Die Musik“ Nr. 30/1938. – Alexander von Bormann: „Das nationalsozialistische Gemeinschaftslied“, in: Horst Denkler/Karl Prümm (Hrsg.) „Die deutsche Literatur im Dritten Reich“, Stuttgart 1976. – Johann Neuhäusler: „Kreuz und Hakenkreuz. Der Kampf des Nationalsozialismus gegen die katholische Kirche und der kirchliche Widerstand“, München 1946. – Michael Kohlstruck / Simone Scheffler: „Das Heckerlied und seine antisemitische Variante. Zu Geschichte und Bedeutungswandel eines Liedes.“ In: Michael Kohlstruck, Andreas Klärner (Hg.): „Ausschluss und Feindschaft“, Studien zu Antisemitismus und Rechtsextremismus, Festschrift für Rainer Erb, Metropol, Berlin 2011.
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