Wie in den 1950er-Jahren der Ort für ein Gefallenen-Ehrenmal gesucht und schließlich in der Blasiuskapelle gefunden wurde

Die TAfeln mit den Gefallenen des Zweiten Weltkriegs; Foto: Rolf Schreglmann

Die Tafeln mit den Gefallenen des Zweiten Weltkriegs; Foto: Rolf Schreglmann

Von Wolf Stegemann

Jahrelang nach dem Krieg wussten die Rothenburger nicht so recht, wo sie ihrer Kriegstoten angemessen gedenken konnten. Die zivilen Opfer der Bombardierungen der Stadt, die letzte und schwerste am 31. März 1945, hatten bereits im Friedehof einen Begräbnisplatz mit Ehrenmal gefunden. – Es gab aber Opfer, deren das offizielle Rothenburg, darunter auch die Kriegsopferverbände den Opferstatus nicht zugestand. Das waren die in den Todeslagern ermordeten jüdischen Einwohner Rothenburgs. In den beiden Lokalzeitungen war darüber nichts zu lesen. Das Schicksal der Juden wurde lediglich bei der Entnazifizierung der Rothenburger in den Spruchkammern hin und wieder zur Entlastung bzw. Belastung gebraucht und war bei der Wiedergutmachung des durch Rothenburger entzogenen Eigentums Thema vor der Wiedergutmachungskammer, wo man sich mit den Erben der jüdischen Bürger oft um die Rückgabe der Häuser und Grundstücke stritt. Das Thema „jüdische Opfer“ wurde im offiziellen Nachkriegs-Rothenburg öffentlich so behandelt, als hätte bis vor wenigen Jahren die antisemitische Hetze, die Forderung nach der „Judenlösung“ und die gewaltsame Vertreibung aus der Stadt nie gegeben. Die Gründe sind auf mehreren Ebenen zu suchen. Einer davon ist sicherlich der, dass der 20-köpfige Stadtrat ab 1952 aus 15 Mitgliedern des „Rechtsblocks“ zusammengesetzt war, in dem die wieder öffentlich das Sagen hatten, die Jahre zuvor die Vertreibung und Ausplünderung der Juden betrieben hatten, wie beispielsweise der NS-Bürgermeister Friedrich Schmidt und der NSDAP-Ortsgruppenleiter Wobst.

VdK-Vorschlag: Ehrenmal in der Friedhofskapelle

Friedhofskapelle; Foto: tilman

Friedhofskapelle; Foto: tilman

Mit dieser rechten Stadtrats-Zusammensetzung von 1952 hatte der Ortsverband Rothenburg des „Verbands der Kriegsbeschädigten, Kriegshinterbliebenen und Sozialrentnern Deutschlands“ (VdK) eine Lobby, um seine jahrelangen Forderung nach Errichtung eines „Kriegerdenkmals“ in Rothenburg umzusetzen. Der 1. Vorsitzende H. Schönborn und die beiden 2. Vorsitzenden K. Eisenmann und H. Forberg schrieben am 14. Juni 1952 an den Stadtrat:
„Seit über sieben Jahren schweigen die Kanonen. Von einer Diskriminierung des ehemaligen deutschen Frontsoldaten ist man ebenfalls abgekommen. Schon denkt man an den deutschen Frontsoldaten [Diskussion über Bundeswehr, 1956 errichtet], der gegebenenfalls sein Vaterland wieder verteidigen soll. Allenthalben besinnt man sich darauf, der Gefallenen zu gedenken. Der VdK erachtet es daher an der Zeit, dass auch in Rothenburg/Tbr. ein würdiges Kriegerdenkmal für die gefallenen Söhne unserer Heimatstadt errichtet wird. Selbstverständlich erklärt sich der VdK bereit dazu, die Vorarbeiten beginnen und erbittet die Genehmigung des Stadtrates, eine öffentliche Sammlung zur Errichtung eines Kriegerdenkmals durchführen zu dürfen.“

Die Ansbacher Regierung von Mittelfranken lehnte den Antrag vorerst aus formalen Gründen ab. Der Stadtrat ging, als er dies dem VdK-Verband mitteilte, auf dessen Forderung nach einem Kriegerdenkmal nicht ein. Denn die Stadt hatte Pläne, in der Friedhofskapelle, die und der Friedhof der Kirchenstiftung St. Jakob gehörten, eine Weltkriegs-Gedenkstätte einzurichten. Die Stadt hatte lediglich das Recht der Nutzung des Gemeindefriedhofs. Ob die Stadt zu baulichen Veränderungen berechtigt gewesen wäre, konnte vom damaligen Stadtarchivar Oberstudienrat i. R. Dr. Grießberger nicht festgestellt werden.

BDKK-Vorschlag: Ehrenmal in der Blasiuskapelle

Blasiuskapelle; Foto: Rolf Schreglmann

Blasiuskapelle; Foto: Rolf Schreglmann

Die zum VdK in „Konkurrenz“ stehende Ortsgruppe Rothenburg des „Bundes Deutscher Kriegsbeschädigter und Kriegshinterbliebener“ (BDKK) forderte in einem Schreiben des Vorsitzenden Johann Bauereiß vom 16. September 1952 die Stadt auf, von der Planung abzusehen, die Friedhofskapelle als „Krieger-Gedächtnisstätte“ zu benutzen.
„Sie ist keine ideale Stätte für … ein Gefallenen-Ehrenmal, da sie nicht für kirchliche und weltliche Gedenkfeiern zu Ehren unserer Gefallenen aller Kriege in gleicher Weise geeignet ist. Bei Festhaltung an dem Plan, … gleichzeitig Aussegnungsfeierlichkeiten vorzunehmen, würde der Gedanke der Ehrung unserer für Volk und Vaterland Gefallenen zu einem zweitrangigen werden.“

Damit sprach sich der „reine Kriegsopfer-Fachverband“ BDKK für die kirchliche Verwendung aus, lehnte aber strikt die Doppelverwendung ab. Der Verband brachte die  Blasiuskapelle im Burggarten in die Diskussion ein. Sie sei auch von der Lage her ein idealer Ort zur Schaffung einer reinen Kriegsopfer-Gedenkstätte. Der Zugang wäre frei. In der Friedhofskapelle müssten die Teilnehmer bei Gedenkfeiern dagegen zwischen den Gräbern verteilt stehen. Gleichzeitig beantragte der BDKK bei Errichtung dieser Gedenkstätte das Innere des Hauses mit einfachen Mitteln so auszugestalten, dass sie zu einer Gedenkstätte beider Kriege würde.

„Wir schlagen daher vor, die Gedenktafeln für den Krieg 1914/18 von der Außenseite nach der Innenseite zu verlegen und sie durch Tafeln für die Gefallenen der Kriege 1870/71 und 1939/45 zu ergänzen unter Beibehaltung der Kriegerfigur an der Außenfront an der bisherigern Stelle, damit auch nach außen hin das Symbol der Kapelle dokumentiert wird.“

Arbeitsausschuss des Stadtrats diskutierte verschiedene Vorschläge

Dieses Schreiben übergab Johann Bauereiß am 16. September Oberbürgermeister Dr. Lauterbach im Rathaus, der als Vorsitzender des städtischen Arbeitsausschusses „Errichtung einer Gedenkstätte für die Opfer des letzten Weltkriegs“ einlud. Dem Arbeitskreis gehörten noch an: Stadtrat und Notar Weber (Fraktionsvorsitzender der Freien Wählervereinigung), Stadtrat Fritz Zidan in Vertretung des Stadtrat Friedrich Schmidt (früherer NS-Bürgermeister) als Fraktionsführer der rechten DG, Dekan Kelber von der evangelischen Gemeinde St. Jakob, Helmut Schönborn als Vorsitzender des VdK, Johann Bauereiß als Vorsitzender des BDKK, Johannes Oertel (Bildhauer; NS-Mahnmal im Burggarten, 1945 abgerissen), Stadtbaumeister Rahn und Verwaltungsoberinspektor Krauß. Nicht erschienen waren Kunstmaler Willi Foerster, Stadtrat Emmerling als Fraktionsführer der SPD, Dekan Wolfgang Müller von der katholischen Gemeinde und Bürgermeister Keitel.

Tafeln der Gefallenen des Ersten Weltkriegs

Tafeln der Gefallenen des Ersten Weltkriegs

In der vorangegangenen Sitzung, es war die erste, hatten sich „sämtliche Ausschussmitglieder“ für die Friedhofskapelle als Gefallenen-Gedenkstätte ausgesprochen, zumal „die Friedhofskapelle sowieso renoviert werden“ musste. Stadtoberinspektor Krauß unterbreitete im Ausschuss einen weiteren Vorschlag. Nämlich den Ausbau des bereits vorhandenen Ehrenfriedhofs auf dem Friedhof westlich des städtischen Leichenhauses. Dort waren bereits an der Innenseite der Mauer links und rechts des aufgestellten Marmordenkmals Tafeln mit den Namen der Bombardierungsopfer und der im Lazarett verstorbenen Soldaten angebracht. Diese Toten sind auch in diesem Ehrenhain bestattet. Der Vorschlag war nun, die Mauer zu verlängern und daran noch weitere Tafeln mit den Namen der Gefallenen des Zweiten Weltkriegs anzubringen, wozu einige Stadträte neigten, weil das die „billigste Lösung“ wäre. Doch der Ausschuss verschob die Entscheidung, weil aus der Mitte des Stadtrats und der Bevölkerung noch mehr Vorschläge zu erwarten waren. Bildhauer Johannes Oertel wollte aus dem „Essigkrug“ vor dem Sauturm einen „Ehrenhain“ machen. Diesen Plan hatte er schon vor Jahren gemacht, war aber damit gescheitert, so auch dieses Mal.

Ausschuss entschied sich schließlich für die Blasiuskapelle

Ehrenmal für die Bombenopfer auf dem Friedhof

Ehrenmal für die Bombenopfer auf dem Friedhof

Zum Schluss der Sitzung befasste sich der städtische Arbeitsausschuss mit dem abgegebenen Brief des BDKK-Vorsitzenden, besichtigte auch die Blasius-Kapelle, stimmte dann den darin vorgebrachten Bedenken gegen die Friedhofskapelle zu, verschloss sich aber nicht dem Blasiuskapellen-Vorschlag. Mit der Entscheidung ließ sich der Ausschuss allerdings noch Zeit. Erst zwei Jahre später, am 25. Januar 1954, berichtete die „Fränkische Landeszeitung“, dass sich der Arbeitsausschuss auf die Blasiuskapelle geeinigt hätte. Der „Fränkische Anzeiger“ titelte am gleichen Tag „Die Blasiuskapelle wird Gefallenen-Ehrenmal“.  Einig zeigten sich einige Stadtratsmitglieder mit dem Landesdenkmalamt darüber, dass allzu viele Namenstafeln nicht sinnvoll wären, während andererseits die Meinung bestand, dass gerade durch die Zahl der 15 notwendigen Tafeln die „Ungeheuerlichkeit des Krieges an sich am sinnfälligsten charakterisiert“ werde.

Bauänderungen in der Blasiuskapelle sollten 25.000 DM kosten

Die Kriege 1870/71, 1914/18 und 1939/45 kosteten rund 700 Rothenburger Menschenleben. Ähnlich wie auf dem Berg Isel in Tirol wurde auch ein entsprechendes Gedenkbuch als sinnvoll erachtet, das neben den Namen auch die Lebensdaten der Opfer der Kriege seit 1871 enthalten sollte, unter Umständen auch mit Fotos. Die Umgestaltung des Innenraumes, bei der die Empore aus dem 17. Jahrhundert entfernt werden, die Eingangstür von der Südseite zur Westseite verlegt werden sollte, kostete nach damaligen Schätzungen rund 25.000 DM . Der Betrag sollte durch Spenden und Zuschüsse aufgebracht werden. „Dann muss auch etwas Ganzes herauskommen“, sagte Stadtrat Michel Emmerling (SPD) und der katholische Dekan Wolfgang Müller schlug vor, den Sakralraum, in dem sich früher der Altar befand, durch ein Kruzifix und Engelsfiguren zu schmücken. Der „Fränkische Anzeiger“ schrieb 1954 in seinem Fazit:

„Wie auch die Gestaltung im Einzelnen sein wird, fest steht, dass Rothenburg in der Blasiuskapelle eine Gedenkstätte für die Toten dieser Kriege erhalten wird, die deren Opfer würdig ist.“

Und die „Fränkische Landeszeitung“ meinte:

„Bis dahin werden dann – hoffentlich – auch die noch schwebenden Fragen der inneren baulichen Ausgestaltung geklärt.“

Bildhauer Johannes Oertel erhielt den Auftrag

Die Namenstafeln der Gefallenen wurden von dem Rothenburger Bildhauer Johannes Oertel geschaffen. Er hatte dafür 10.000 Schriftzeichen einzumeißeln. Mit diesem Auftrag schaffte der sich bis 1945 der Nazi-Kunst verschriebene Bildhauer den Anschluss an das Nachkriegsdeutschland, wie seine Tochter berichtete. Beispielsweise entwarf er 1934 im Auftrag des bayerischen NS-Ministerpräsidenten Ludwig Siebert das „Ehrenmal der nationalsozialistischen Bewegung“, das bis 1945 im Burggarten stand. 1935 fertigte er im Auftrag der Reichsleitung des NSDAP-Hauptamts für Volkswohlfahrt, vier lebensgroße Architekturplastiken für die Ehrenhalle der Ausstellung: „Der Feldsoldat“, „Der SA-Mann“, Der ehrenamtliche Helfer“ und „Mutter und Kind“. Nach dem Krieg schuf er in Friedhöfen vieler Gemeinden Krieger-Ehrenmale.

Mahnmal erinnert seit 1998 an die jüdischen Opfer

Gedenkstein für die getöteten Juden; Foto: Rolf Schreglmann

Gedenkstein für die getöteten Juden; Foto: Rolf Schreglmann

Seit dem Jahr 1998 wird an die Opfer der Juden in der Rothenburger Geschichte durch ein von Peter Nedwal künstlerisch gestaltetes Mahnmal erinnert, das an der äußeren Nordseite der Blasiuskapelle steht, wo vorher ein Denkmalstein für deutsche Kriegsgefangenen stand. Dieses Denkmal erinnert an die Opfer des so genannten Rintfleischpogroms, das siebenhundert Jahre früher, im Juni 1298 etwa fünfhundert jüdischen Bürgern das Leben kostete, als sie dort in der verlassenen Burg von ihren Rothenburger Mitbürgern „verbrannt und getötet wurden“, wie es in hebräischer Sprache auf einem Gedenkstein von 1298 heißt. Der Text des antiken Gedenksteins wurde in gelungener Form in das moderne Denkmal eingearbeitet. Die jüdischen Opfer von 1933 bis1945 und die in den KZ’s ihr Leben ließen werden dabei noch nicht erwähnt. Allgemein gedachte man dieser Opfer als im November 2002 im Rabbi-Meir-Gärtchen ein ebenfalls von Peter Nedwal angefertigter liegender Gedenkstein angebracht wurde, „zum Gedenken an unsere jüdischen Mitbürger, die in der Zeit von 1933 bis 1938 aus Rothenburg vertrieben wurden.“ Am 26. April 2013 wurde einigen, nicht allen, jüdischen Opfern, die im Holocaust ermordet wurden durch das dezentrale Gedenkprojekt der Stolpersteine von Gunter Demnig gedacht.

Siehe dazu weitere themenvertiefende Artikel:
1) Die Blasiuskapelle. Blick zurück in die Geschichte des „Hohen Hauses der Herzöge“: Judentod im Mittelalter und auch später, Gefallenen-Ehrung heute – Eine persönliche Betrachtung
sowie:
2) Mit Pathos, Pomp und Ludwig Siebert wurde dessen „Ehrenmal der nationalsozialistischen Bewegung im Burggarten mit „Heil Hitler!“ und  „Heil Siebert!“ enthüllt.
3) Die Stadt, der Bildhauer, die Partei: Johannes Oertel arbeitete für das NS-Regime…4) Heldenverehrung, Totenkult, Blut und Boden und Mythologie…
und:  http://www.rothenburgtauber-evangelisch.de/tourismus/index.html

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Quellen: „Fränkische Landeszeitung“ vom 19. März 1952 und 25. Januar1954. – „Fränkischer Anzeiger“ vom 25. Januar 1954. – Stadtarchiv Rothenburg ob der Tauber. – Andere Quellen im Text angegeben.
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