Sondergericht (6): Johann Herrscher musste fünf Monate ins Gefängnis, weil er 1939 ein feindliches Flugblatt anderen zeigte und es nicht bei der Polizei ablieferte

W. St. – Wer vom Feind aus Flugzeugen abgeworfene Propaganda-Flugblätter aufhob und sie nicht bei der Polizei ablieferte, konnte in große Schwierigkeiten geraten, wenn er dabei gesehen und bei der Polizei denunziert wurde. Dem Rothenburger Hilfsarbeiter Johann Herrscher, geboren 1909, verheiratet, war einem solchen Ungemach ausgesetzt. Er musste sich deshalb am 16. Oktober 1940 vor dem Sondergericht Nürnberg wegen Vergehens der fahrlässigen Verbreitung hochverräterischer Schriften nach § 85 StGB verantworten und wurde zu fünf Monaten Gefängnisstrafe verurteilt. Zu Gericht über ihn saßen der Vorsitzende Landgerichtsdirektor Dr. Rothaug und als Beisitzer die Landgerichtsräte Dr. Engert und Dr. Oeschey. Staatsanwalt Dr. Ferber vertrat die Anklage.

Solche und ähnliche Flugblätter wurden über Deutschland abgeworfen

Solche und ähnliche Flugblätter wurden über Deutschland abgeworfen

Gefreiter Pümmerlein denunzierte Johann Herrscher bei der Polizei

Fünf Tage nach Kriegsbeginn kreiste in der Nacht vom 5. auf 6. November 1939 bereits ein feindliches Flugzeug über Rothenburg und warf bedruckte Flugblätter ab, die den Deutschen die Augen über die Lügen Adolf Hitlers öffnen sollten. Lügen gegenüber der eigenen Bevölkerung, gegenüber Russland und Polen. Sechs Tage später fand Johann Herrscher bei einem Morgenspaziergang auf einem Feld eines dieser Flugblätter, das er las und einsteckte. Am Nachmittag ging Johann Herrscher mit dem Hilfsarbeiter Brohr spazieren und zeigte ihm das Flugblatt. Während dieser das Blatt las, kam der Wehrmachtsgefreite Pümmerlein mit einer Frau daher. Pümmerlein erkannte sofort, dass es sich um ein feindliches Flugblatt handelte und forderte Johann Herrscher auf, es auch lesen zu dürfen. Herrscher hielt es ihm hin. Pümmerlein überflog den Text des Flugblattes und machte Johann Herrscher darauf aufmerksam, dass er das Blatt abzuliefern habe. Johann Herrscher wehrte Pümmerlein ab und sagte, dass dies gar nicht in Frage käme. Herrscher nahm das Blatt mit nach Hause. Inzwischen hatte Pümmerlein ihn denunziert. Die Polizei beschlagnahmte das Flugblatt und fragte Johann Herrscher, ob er es zwischendurch noch jemandem gezeigt hätte. Herrscher verneinte.

Dieser Ablauf des Geschehens um das gefundene und hin und her gezeigte und schließlich beschlagnahmte Flugblatt wurde in der Hauptverhandlung des Sondergerichts Nürnberg festgestellt, zumal der Angeklagte den Sachverhalt zugab. Vor Gericht sagte er, dass er bei seinem flüchtigen Lesen wohl erkannt habe, dass der Inhalt des Blattes „gegen den Führer gerichtet“ sei, habe sich aber weiter keine Gedanken gemacht, was „mit dem Blatt bezweckt“ werden sollte. Er habe sich auch nichts dabei gedacht, als er es Brohr und Pümmerlein zum Lesen gegeben habe. Das Gericht mochte der Gedankenlosigkeit des Angeklagten nicht folgen:

„Wenn dem Angeklagten  auch nicht zu widerlegen ist, dass er den tatsächlichen Inhalt und den Zweck des Flugblattes nicht erkannt hat, so wusste er doch, dass es gegen den Führer gerichtet ist und dass er es keiner anderen Person zugänglich machen darf. Da der Inhalt der Druckschrift darauf abzielt, das deutsche Volk zu einem gewaltsamen Sturze der Reichsregierung anzureizen, begründet er den Tatbestand eines Verbrechens der Vorbereitung zum Hochverrat nach § 83 Abs. III Ziff. 3 StGB. Diese Druckschrift hat der Angeklagte mehreren Personen zugänglich gemacht, sie also damit verbreitet. Bei sorgfältiger Prüfung der Schrift hätte der Angeklagte, der nicht unintelligent ist, den hochverräterischen Inhalt erkennen können. Er hat sich daher eines Vergehens der fahrlässigen Vorbereitung hochverräterischer Schriften nach § 85 StGB schuldig gemacht.
Bei der Strafbemessung kam in Betracht, dass der Angeklagte mit innerem Interesse die Verbreitung vornahm und nicht etwa nur aus Wichtigtuerei. Das zeigt die Tatsache, dass er sich trotz der Aufforderung durch Pümmerlein weigerte, das Blatt abzuliefern…
Er hat sich bereitwillig in den Dienst der Feindpropaganda gestellt, der es, was er wusste, auf die Verbreitung der Flugblätter ankam. Die in einem solchen Handeln liegende Gefährlichkeit musste auch in der Strafe ihren Ausdruck finden. Das Gericht erkannte auf fünf Monate Gefängnis als angemessene Strafe.“

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Quelle: Staatsarchiv Nürnberg, Bestand: Anklagebehörde bei dem Sondergericht Nürnberg, Nr. 752

 

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