Antisemitismus III: „Mahntafeln“ an den Ausgangstoren der Stadt mit vulgären Karikaturen im „Stürmer“-Stil

Redaktionelle Vorbemerkung: Wir haben diese Veranstaltung wesentlich nach dem Bericht im „Fränkischen Anzeiger“ vom 13. Februar 1936 zusammenfassend und mit Original-Passagen wiedergegeben, um dem Leser authentisch zu verdeutlichen, mit welchen massenwirksamen Auftritten und geistlosen Reden die NS-Machthaber bei der Bevölkerung hier und anderswo in ihrem Sinne so großen Erfolg hatten.

Von Wolf Stegemann

Die Ermordung des NSDAP-Auslandsgruppenführers Wilhelm Gustloff am 4. Februar 1936 in Davos (Schweiz), der dort von dem jüdischen Studenten Frankfurter erschossen wurde, wertete die NS-Propaganda als „Komplott des Weltjudentums“. Hitler ordnete an, dass ein Schiff der KdF-Flotte, das eigentlich seinen Namen tragen sollte, auf „Wilhelm Gustloff“ zu taufen sei. Die Ermordung Gustloffs nahm auch der „Fränkische Anzeiger“ am 13. Februar 1936 zum Anlass der üblichen und vom Propagandaministerium verordneten antisemitischen Hetze: „Ein Schrei der Entrüstung hallte durch das ganze deutsche Volk.“ Und:

NSDAP-Kreisleiter Karl Steinacker bei der Einweihung der Tafel am Rödertor

NSDAP-Kreisleiter Karl Steinacker bei der Einweihung der Tafel am Rödertor

„Die Empörung des Volkes war umso tiefer, als es ein Angehöriger der Rasse war, die gegen alles, was das nationalsozialistische Deutschland angeht, kämpft, weil sie weiß, dass der Sie der nationalsozialistischen Idee ihren Untergangbedeutet. Voll Trauer und Anteilnahme scharte sich das ganze deutsche Volk um die Bahre des Mannes, der draußen, außerhalb der Grenzen Deutschlands, für seinen Führer und dessen Werk arbeitete…“

Auch Rothenburg war dabei und scharte sich um die Bahre Gustloffs – symbolisch gesehen und an den Rundfunkempfängern. Und just in diesen Tagen hatte Rothenburgs Ehrenbürger und hetzender Berufsantisemit, Gauleiter Julius Streicher, seinen 51. Geburtstag, was die Stadt Rothenburg am 12. Februar miteinander verband: die Trauerfeier Gustloff mit der Geburtstagsfeier Streicher. Beide waren geprägt von einem tiefen Antisemitismus. Der „Fränkische Anzeiger“ schrieb dazu:

„Besannen wir Franken uns doch gerade bei der Beisetzung des durch jüdische Mörderhand gefallenen Pg. Wilhelm Gustloff wieder aufs Neue, wie wertvoll es ist, den bewährten Kämpfer gegen das Weltjudentum, Julius Streicher, an der Spitze unseres Gaues zu finden.“

So ehrten die Rothenburger ihren obersten Gau-Antisemiten mit der Enthüllung einer damals genannten „Mahntafel“ am linken Torhäuschen des Rödertors, welche, so der „Fränkische Anzeiger“, „die markanten Sätze unseres Frankenführers wiedergibt, Sätze, die allen, die an dieser Tafel vorübergehen, schlagartig den tiefen Sinn des Kampfes gegen das Judentum vor Augen führen…“ Auf der steinernen Tafel war in gotischer Schrift zu lesen:

„Die Weltgeschichte nennt die Namen der Völker, die am Juden zugrunde gingen. Ihr tragisches Ende ist eine furchtbare Mahnung für die Völker, die noch am Leben sind. 12. Februar 1936. Julius Streicher“

"Judentafel" am Rödertor, die Unbehauen mit einem Spruch von Gauleiter Julius Streicher entwarf.

“Judentafel” am Rödertor, die Unbehauen mit einem Spruch von Gauleiter Julius Streicher entwarf: entnommen: “Eine Reichsstadt wehrt sich”, Rothenburg 1938

Mit dem Anbringen dieser Tafel wurde von Rothenburgern in Rothenburg eine Hetzkampagne gegen die jüdischen Bürger der Stadt eingeleitet, an deren Ende die beispiellose gewaltsame Vertreibung jüdischer Bürger aus der Stadt stand – vor der Pogromnacht 1938 und Jahre vor der Deportation der Juden anderer Städte in die Todeslager im Osten. Der Tafel am Rödertor folgten weitere Tafeln sowie das antisemitische Hetzbuch „Eine Reichsstadt wehrt sich“, das Dr. Martin Schütz schrieb, antisemitische Vorträge im Verein Alt-Rothenburg, die Zerstörung der Synagoge in der Herrngasse, die Arisierung jüdischen Besitzes, an der sich etliche Rothenburger beteiligten und bereicherten, auch die Stadt selbst.

Spektakel nach nationalsozialistischer Art

Die Tafel-Enthüllung zu Ehren des Gauleiters war ein Spektakel in der üblichen Manier der Nationalsozialisten. In langen Reihen marschierten in den Abendstunden mit Fackeln, Fahnen und Musik SS, SA, Arbeitsdienst, Hitlerjugend und andere Formationen über die Rödergasse zum Rödertor, wo vor der noch mit einer Hakenkreuzfahne verhüllten Tafel ein SS-Ehrenposten stand.  Kreisleiter Karl Steinacker und der aus Nürnberg angereiste Abteilungsleiter des Agrarpolitischen Amtes, Götzinger, schritten die versammelten Formationen ab. Der Fränkische Anzeiger zur Szenerie des beleuchten Rödertors: „Es war ein bezaubernd schönes Bild.“ Steinacker teilte sodann mit, dass er am Morgen dem Frankenführer Julius Streicher die Ehrenbürger-Urkunde der Stadt mit einem „herrlichen Schrein“ überreicht habe. Den Schrein fertigte, wieder in antisemitischem Duktus, Ernst Unbehauen an. Steinacker wörtlich:

„Mit dieser Gabe an den Frankenführer steht heute Rothenburg an der Spitze all der Gaben, die der Gauleiter an seinem Ehrentage erhalten hat. Damit ist für immer und alle Zukunft die Verbundenheit zwischen unserer Stadt und unserem Kreis mit dem Gau und eine gedeihliche Zusammenarbeit im nationalsozialistischen Geiste gesichert.“

Danach wurde die  steinerne Tafel unter Böllerschüssen enthüllt, Kreisleiter Steinacker rief den Hunderten von Rothenburgern in der den Nazis eigenen Überhöhung zu:

„So wie wir heute den Ausdruck Rothenburger Mahntafel hier am Rödertor prägen, so wird man in Monaten und Jahren über die Mauern Rothenburgs, über Franken, über Deutschland hinaus von jener granitenen Tafel am Rödertor zu Rothenburg als von der Rohenburger Mahntafel sprechen.“

Tafel am

Tafel am Klingentor

Weitere Hetz-Tafeln gegen Juden wurden an den Toren angebracht

Der Rothenburger Gewerbelehrer Ernst Unbehauen hat sich, wie in anderen Artikeln dieser Online-Dokumentation ausführlich dargestellt ist, als Künstler, der er auch war, dem Nationalsozialismus als Antisemit angedient. Er war es, der das stark judenfeindliche und 1938 erschienene Buch „Eine Reichsstadt wehrt sich“ des Rothenburger Studienrats Dr. Martin Schütz grafisch gestaltete. Schwerpunkt des pseudowissenschaftlichen Werkes ist die Vertreibung der Rothenburger Juden 1519/20. Auch informiert das Buch über antisemitische Aktionen von Stadt und Partei der Jahre 19367/38, als an den Toren der Stadt Rothenburg ab der Tauber abschreckende „Juden-Tafeln“ mit vulgär-antisemitischen Karikaturen mit fettleibigen, unrasierten Juden mit docken Lippen, gebogenen Nasen und hervorquellenden Augen angebracht wurden. Gestalter dieser Abscheulichkeiten war der Künstler Ernst Unbehauen, in dem der  NSDAP-Kreisleiter Karl Steinacker eine „unersetzliche Kraft“ für die Partei sei und der „mit Begeisterung hinter der nationalsozialistischen Bewegung „stehe und sich unter Hintanstellung seiner eigenen Person und seiner persönlichen Interessen für die Belange der Bewegung einsetze. Der „Fränkischer Anzeiger“ schrieb am 2. August 1937:

„Somit findet sich in der Person Ernst Unbehauen ein wichtiger Akteur, der im Rahmen seines Parteiamtes als Kreisheimatpfleger die lokale Machtstruktur stützte und durch sein künstle­risches Schaffen in der Region den Antisemitismus flankierte.“

Eine der antisemitischen Tafeln an den Toren der Stadt

Tafel am Galgentor

„Judentafeln“ im vulgär-antisemitischen „Stürmer“-Stil

Mit dem üblichen Propaganda-Pomp wurden Unbehauens Tafeln am 1. August 1937 an den mittelalterlichen Toren der Stadt befestigt: am Spitaltor, Burgtor, Galgentor und Klingentor. Robert Förster schildert im „Fränkischen Anzeiger“ vom 1. Februar 2013 wie das Anbringen der „Judentafeln“ an den Toren der Stadt 1937 ablief. Als Hitlerjunge war er dabei (Auszug):

„Da hieß es anzutreten zur Enthüllung einer Gedenktafel in der Röderbastei mit einem antijüdischen Spruch des Gauleiters Julius Streicher, der in Rothenburg öfter auftauchte. Das Mahnmal im Burggarten war einzuweihen, wo SA, SS und HJ aufmarschierten. Trommelwirbel, Fanfaren, Reden und gespenstische Fackelbeleuchtung, die Hitlerbewegung liebte das Mystische“ Und an den Fußgängertürchen, so Robert Förster weiter, hingen Tafeln mit dem Hinweis, dass Rothenburg „judenfrei“ sei. Schon damals sind dem Hitlerjungen zunehmend Bedenken gekommen, wohin das alles führen soll. Immerhin gab es fünf Jungen in der Klasse, die nicht in der HJ waren.“

Tafel am Spitaltor

Tafel am Spitaltor

Die Tafeln hatten folgende Beschriftung:

  • Am Spitaltor forderte die so genannte „Mahntafel“: „Wir gebieten bey Leibesstraf, daß hinfür kein Bür­ger, wes Standes er auch sei, mit keinem Juden des Handelns, es sei gleich Kauf oder Verkauf, Leihen und Vertauschen oder ein anderer Weg sich einlas­sen soll. Der Rat der Stadt Rothenburg uff der Tauber.“
  • Die Tafel am Burgtor lautete: „I leicht die Stroeß und Gäßli o, doezu die ganz Landwehr, Der Herrgott hat es Wunder to, I siech kann Jude mehr.“
  • Die „Judentafel” am Galgentor: „Profit, Gier und List, Im Handeln bei mir ist. Tu Feyem, Fressen und Sauffen und schöne Frowlein kaufen. Mein Eid gilt nicht – Allein, mir ist nicht zu gemein.“
  • Am Klingentor trug die Tafel folgenden Reim: „Ein Reichstadt an der Tauber leyt, ist Rothenburg genannt. Da haben die Juden lange Zeit, getrie­ben große Schant. Mit Wucherey und scharfer List, damit gar mancher Frummer zu Grund verdorben ist.“

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Quellen sind im Text angegeben.
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