Von Wolf Stegemann
Die letzte Ausgabe des „Fränkischen Anzeigers“ vor dem Ende des NS-Regimes ging am 31. März 1945 im Feuerhagel der Bombardierung unter. Die erste Ausgabe danach erschien erst viereinhalb Jahre später am 1. September 1949. Wegen der Nähe des „Fränkischen Anzeigers“ zum NS-Regime verweigerten die Amerikaner die Lizenz für einen Neubeginn. Stattdessen unterlag die Zeitungsdruckerei in Rothenburg teilweise sogar der Demontage. Hauptschriftleiter (Redaktionsleiter, Chefredakteur) vom Oktober 1944 bis Kriegsende und vom September 1949 bis Ende März 1955 war Armin Groß. Ihm folgte als Hauptschriftleiter, wie es damals noch hieß, der nationalsozialistisch belastete Journalist und frühere Intendant des Reichssenders Saarbrücken Karl Mages vom April 1955 bis Ende März 1961. Vorher, von September 1949 bis zur Ernennung als Redaktionsleiter, war er bereits ständiger freier Mitarbeiter der Zeitung. Nach Mages wurde Erich Treibert Redaktionsleiter. Ihm folgte Ende 1972 bis 2015 Dieter Balb, der bereits im Sommer 1968 bei der Zeitung als Volontär angefangen hatte. Willi Junker, Chefredakteur des „Fränkischen Anzeigers“ (ab 1936) und belasteter NSDAP-Funktionär, war von 1945 bis 1948 interniert und von 1949 bis 1969 Anzeigenleiter der wiedererschienenen Zeitung. Inzwischen hatte sich die „Fränkische Landeszeitung“ aus Ansbach in Rothenburg am Milchmarkt etabliert und nahm den „Fränkischen Anzeiger“ seine früheren Abonnenten weg.Verlegerisch zuständig war damals Verleger und Herausgeber Fritz Schneider, der plötzlich im Dezember 1962 verstarb und dessen Frau Helga Schneider und später Sohn Wolfgang Schneider den Betrieb übernahmen. Wolfgang Schneider führte ihn bis 2019. Dann wurde der „Fränkische Anzeiger“ verkauft, nicht aber die Druckerei.
Keine US-Lizenz zur Herausgabe vom Heimatzeitungen
Die Herausgabe des „Fränkischen Anzeigers“ – sowie jeder anderen Zeitung auch – war nach dem Ende des Dritten Reiches innerhalb der US-Besatzungszone nur mit einer Lizenz möglich. Die Lizenzträger und Journalisten wurden nach strengen Kriterien ausgewählt. Frühere Zeitungseigentümer erhielten wegen ihrer Nähe zum NS-Regime keine Lizenz. Die Amerikaner ließen für jede größere Region nur eine Zeitung zu, um die Rückkehr der zahlreichen kleinstädtischen und nationalsozialistisch belasteten Heimatzeitungen zu verhindern. Die erste Lizenz erhielt am 6. Oktober 1945 die „Süddeutsche Zeitung“ in München. Bis 1949 wurden in Bayern insgesamt 27 Lizenzzeitungen geschaffen, die im November 1948 eine Gesamtauflage von 2.152.000 hatten. 45 Prozent der Lizenzträger waren 1947 Sozialdemokraten, 38 Prozent standen der CSU nahe, sechs Prozent waren Liberale und zwei Prozent Kommunisten.
Aufhebung der Lizenz im Sinne der Pressefreiheit und Demokratie
Für das Jahr 1949 wurde die Aufhebung des Lizenzzwangs erwartet. Daher bemühte sich der damalige Inhaber der Schneiderschen Druckerei, nunmehr Fritz Schneider, die Herausgabe am Tag X vorzubereiten. „Es war eine immense Vorarbeit, die in den Wochen und Monaten vor dem Wiedererscheinen der Zeitung von allen geleistet werden musste.“ (FA 1966). Am 22. August 1949 hob die US-Militärregierung in Bayern den Lizenzzwang auf. Eine Gründungswelle begann, an der besonders die zuvor ausgeschlossenen Altverleger beteiligt waren, wie die Gebr. Schneider in Rothenburg. Doch konnten diese späten lizenzfreien Gründungen vielfach den dreijährigen Vorsprung der Lizenzzeitungen nicht mehr aufholen. Die Lizenzverleger begannen ihrerseits, Neugründungen aufzukaufen. Kleinere Heimatblätter schlossen vielfach Kooperationsverträge mit ihnen. 20 Lizenzverlage hatten 1951 einen Anteil von 75 Prozent an der Gesamtauflage von 1,61 Millionen. Den Rest teilten sich 119 Heimatzeitungen. Bis 1953 stieg die Gesamtauflage wieder auf 2,5 Millionen. Das amerikanische Konzept der unabhängigen Tageszeitungen behauptete sich. Die parteipolitische und die Gesinnungspresse verschwanden fast völlig. Auch der anfangs stark betonte bayerische Föderalismus trat mit der Zeit in den Hintergrund.
Neugestaltung des deutschen Pressewesens ein großer Gewinn
In diesem Klima startete der „Fränkische Anzeiger“ am 1. September 1949 zusammen mit rund hundert anderen Heimatzeitungen. Vor 1945 gab es im Bayern rund 500 Heimatzeitungen, die einen Auflagendurchschnitt von 4.000 Exemplaren hatten. Diese für Heimatblätter relativ hohen Auflagen konnten die etwa 30 Nachkriegsblätter vor 1949 nicht aufweisen. Für die so spät erschienenen Heimatzeitungen schrieb Bayerns Ministerpräsident Hans Ehard ein Grußwort, das auch auf der ersten Seite des „Fränkischen Anzeigers“ steht (Auszug):
„Ein großer Gewinn für die Neugestaltung des deutschen Pressewesens ist vor allem das Wiedererscheinen der Heimatblätter mit ihren alten oft hundertjährigen Traditionen. Eng mit der Landschaft verbunden, sind sie besonders berufen, Teilnahme und Verantwortungsfreude am politischen Geschehen zu wecken in der überschaubaren, unmittelbar erlebten kleineren Gemeinschaft, aus der allein die große Gemeinschaft einer organisch gewachsenen lebendigen Demokratie wachsen kann.“
Verbundenheit der Heimatpresse mit der Landschaft
Verlag und Redaktion des „Fränkischen Anzeigers“ griffen in ihrem Editorial der ersten Ausgabe Hans Ehards Gedanken der Verbundenheit von Heimatzeitungen mit der Landschaft auf und sahen darin den Wert der Heimatpresse als Kulturfaktor (Auszug):
„Wenn es richtig ist, dass die Kultur im ganzen genommen die Summe des Fortschrittes im geistigen Leben eines Volkes bedeutet – und das ist wohl richtig – dann ergibt sich allein schon aus dieser schlichten und unkomplizierten Definition die wichtige, ja geradezu ausschlaggebende Stellung, die der Presse im allgemeinen und der Heimatpresse im besonderen zukommt. […] In einer schon bald hundertjährigen Tradition hat der Fränkische Anzeiger am Rande des bayerisch-fränkisch-württembergischen Landstriches seiner Aufgabe als Kulturfaktor gedient, zu der ihn die ebenso wechselvolle wie ereignisreiche Geschichte seines Heimatgebietes im besonderen Maße verpflichtete und man kann wohl sagen, ohne unbescheiden zu sein, dass die kulturelle Arbeit, die auf diese Weise in die Spalten unserer Rothenburger Heimatzeitung Tag für Tag, Woche für Woche und Jahr für Jahr geleistet wurde, nicht ohne Anerkennung blieb. […] Den Maßnahmen auf dem Gebiete des heimatlichen Schulwesens, der Kunst- und Wissenschaftspflege auf der Grundlage einer christlichen Kultur- und Weltanschauung wurde mit Sorgfalt eine ganz besondere Aufmerksamkeit gewidmet.“
Der Leser dieser Zeilen von heute mag sich verwundert fragen, welche Zeit Verlag und Redaktion im Rückblick von 1949 meinten, wo der „Fränkische Anzeiger“ so Wundervolles, wie hier so schön beschrieben, geleistet hat. Etwa ab 1926 und besonders zwischen 1933 und 1945 sicherlich nicht. Weiter steht im Editorial des Verlags:
„Die verhängnisvolle politische Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte hat uns alle vor die Situation gestellt, die in der Geschichte des deutschen Volkes beispiellos ist. Niemand kann sich in dieser Sachlage den Notwendigkeiten des Tages verschließen und unsere Gesamtpflicht, an den kulturellen, politischen, kommunalpolitischen Aufgaben unserer Zeit mit allen Kräften mitzuarbeiten, ist um so gebieterischer im Augenblick des ungeheuren Schadens, den das deutsche Volk auf allen Gebieten des Lebens erlitten hat und unter denen die kulturellen Schäden und Verluste nicht die geringsten sind.“
Und am Ende des Editorials versprechen Verlag und Schriftleitung, dass sie die von der Tradition gewiesenen Wege Schritt für Schritt weitergehen wollen und Bausteine sammeln für den Wiederaufbau. Gerard S. Foley, Direktor der US-Militärregierung für Rothenburg-Uffenheim, betonte in seinem Grußwort, wie wichtig der Gedanken- und Meinungsaustausch für eine freie menschliche Entwicklung sei.
„Darüber hinaus möchte ich sagen, der sicherste Weg zum Erfolg liegt für eine Zeitung darin, nach dem Grundsatz der Ehrlichkeit, Wahrheit und Gewissenhaftigkeit zu berichten. […] Ich hoffe, dass der Fränkische Anzeiger unter den freien Zeitungen, die dazu bestimmt sind, den wahren Interessen des Volkes zu dienen, den ihm gebührenden Platz einnehmen wird.“
Oberbürgermeister Hörner sprach die NS-Vergangenheit der Zeitung an
Neben Landrat Dr. Paul Nerreter, der es begrüßte, dass es nun zwei Zeitungen in Rothenburg gebe, setzte sich Oberbürgermeister Friedrich Hörner (SPD) im Geleitwort auch mit der NS-Vergangenheit des „Fränkischen Anzeigers“ auseinander, den er in einer fiktiven Ansprache wie einen alten Freund duzte und es auch an mahnenden Worten nicht fehlen ließ (Auszug):
„Die Zeit der scham- und würdelosen Entrechtung und Verknechtung des deutschen Volkes ließ leider auch Dich in diesem Kampf um die Freiheit verstummen, so dass es unausbleiblich war, dass sich die ihren Freiheitsprinzipien Treubleibenden von Dir abwandten und selbst alle die Männer, die aus Selbsterhaltungstrieb ihre wahre Gesinnung verbergen mussten, trotz ihrer eigenen Schwächen dann an Dir irre wurden. Viele Rothenburger gewöhnten sich deshalb in den letzten Jahren leicht an Deine Abwesenheit und suchten und fanden wohl auch in Deiner Schwester, der ,Fränkischen Landeszeitung’, einen vollwertigen Ersatz. Auch der Stadtrat Rothenburg erkennt gerne an, dass ihm die ,Fränkische Landeszeitung’ in den letzten ungemein sorgenvollen Jahren unvergessliche Dienste geleistet hat. Nun aber bist Du, ,Fränkischer Anzeiger’, wieder aus Deiner Emigrierung zurückgekommen und der Stadtrat würde es nicht nur als einen Akt der Ungerechtigkeit, sondern auch als eine Verleugnung der Interessen der Stadt und ihrer Einwohner betrachten, wenn er sich damit nicht wieder vom ersten Tag Deines Erscheinens an zu Dir bekennen würde…“
Friedrich Hörner gab der Zeitung eine Mahnung mit auf den Weg in die Demokratie und meinte, dass der „Fränkische Anzeiger“ wohl spüre, wie sich eine „Atmosphäre des Vergessens und Vergebens“ verbreitet habe. Wieder an die Zeitung gerichtet, sagte er:
„Daher dürfen wir überzeugt sein, dass Du als Deine vornehmste Aufgabe betrachten wirst, das deutsche Volk durch Dein eigenes Vorbild vor einer Wiederholung solcher Katastrophen zu bewahren. In diesem Vertrauen begrüßen wir Dein Wiedererscheinen, liebe Heimatzeitung…“
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