400 Postämter beförderten über 40 Milliarden Feldpostbriefe – Werner Philipp schrieb an seine Tante in Detwang: „30 Russen habe ich zumindest schon erschossen.“

Von Wolf Stegemann

Man schätzt, dass während des Krieges von 1939 bis 1945 insgesamt etwa 40 Milliarden Feldpostbriefe zwischen der Front und der Heimat und umgekehrt befördert wurden. Etwa 12.000 Mann standen im Dienst der Feldpost, die ein Gebiet vom Nordkap bis Nordafrika und vom Atlantik bis zum Kaukasus versorgte. 400 Feldpostämter wurden bei den Kommandobehörden und Stäben bis auf die Ebene der Divisionen eingerichtet. Jedes war durchschnittlich mit 18 Mitarbeitern besetzt. In wichtigen Kriegsjahren – wie etwa 1942 – schätzte man den täglichen Eingang der Sendungen auf 25 Millionen. Davon kam knapp ein Viertel von der Front, drei Viertel aus der Heimat. Durchschnittlich waren die Briefe zwischen 12 und 30 Tagen unterwegs.

Vorderseite des Feldpostbriefs

Vorderseite des Feldpostbriefs

Brief aus Russlands Weiten nach Detwang

Einen dieser Briefe in diesem Jahr 1942 schickte der Soldat Werner Philipp mit der Feldpostnummer 20622 an seine Tante Rosa Korder nach Rothenburg ob der Tauber, Detwang 6.  Geschrieben ist der Brief am 19. August 1942 in Russland, abgestempelt am 24. August. Wie lange der Brief nach Detwang unterwegs war, ist nicht bekannt.

Für einen Großteil der Deutschen waren Feldpostbriefe eines der wichtigsten Kommunikationsmittel, das während der kriegsbedingten Trennung Ersatz für den nicht erlebbaren Familienalltag diente. Der Brief schuf die Möglichkeit, über räumliche Distanzen hinweg zwischen Heimat und Front Gemeinsamkeiten aufrecht zu erhalten. Der Blick auf Feldpostbriefe kann deshalb Zugang zum Kriegsalltag schaffen und zu deutschen Sichtweisen auf den Krieg, wie beispielsweise der hier erstmals publizierte Brief aus den Weiten Russlands in das enge Taubertal bei Detwang.

Feldpostbriefe – ein Instrument, den Kriegswillen aufrecht zu halten

Insgesamt zeichnen Feldpostbriefe ein vielschichtiges Bild vom Krieg. Dieses bleibt aber trotz seines Facettenreichtums einseitig, denn Feldpostbriefe spiegeln vorrangig den Erlebnishorizont der gleichgeschalteten deutschen Mehrheitsbevölkerung wider. Die Feldpost ist erst seit den 1980er-Jahren verstärkt ins Blickfeld der wissenschaftlichen Forschung getreten. Historiker, Ethnologen, Psychologen, Linguisten und Medienwissenschaftler lesen Feldpostbriefe als Quelle, aus der sich Erlebnis- und Blickweisen rekonstruieren lassen. Mentalitäten, Alltagserfahrungen und individuelle Strategien zur Bewältigung des Kriegserlebens werden in ihnen sichtbar. Für die Betrachtung von Feldpostbriefen aus dem Zweiten Weltkrieg stellt sich dabei – ungleich stärker als für entsprechende Dokumente des Ersten Weltkriegs – die Frage nach ideologischen und politischen Einflüssen des Nationalsozialismus. Der Brief als privates Dokument spiegelt zwar religiöse, regionale oder soziale Zugehörigkeiten, er gibt aber auch über ideologische Prägungen Aufschluss. Das Regime betrachtete die Feldpost als ein Instrument, den Kriegswillen aufrecht zu erhalten. Feldpost galt als eine das Kriegssystem stärkende „Brücke zwischen Front und Heimat“ und wurde von der Militärführung und dem Propagandaapparat aufmerksam beobachtet, streng kontrolliert und bewusst inhaltlich beeinflusst. In den ersten zwei Kriegsjahren war die Rede über das Kriegsgeschehen weitgehend unproblematisch, da die Wehrmacht militärisch erfolgreich agierte.

Feldpostbrief-Umschlag-Roth.Im Osten Brutalisierung des Krieges und der Menschen

Seit dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 änderte sich das. Die deutschen Truppen stießen auf größere Widerstände und mussten im Dezember 1941 vor Moskau die erste große Niederlage hinnehmen. Gleichzeitig verstärkte sich der Charakter des Krieges als rassenideologischer Vernichtungskrieg. Eigene Verluste, Todesgefahr oder Angst gehörten zu den alltäglichen Erlebnissen von Soldaten, waren aber ideologisch unerwünschte Themen, die von der Zensur herausgefiltert wurden. Dennoch finden sich derartige Schilderungen in Feldpostbriefen, die mitunter sogar das Leiden der Gegner erwähnen. Im Extremfall reicht das bis zur Beschreibung von Vernichtungsaktionen an jüdischen Zivilisten und politischen Feinden. Warum diese Themen Eingang in Soldatenbriefe fanden, ist erklärungsbedürftig. Es offenbart die Bedeutung von Feldpost als Medium der Selbstreflexion, denn angesichts der Kriegsschrecken, die jenseits des zivilen Erlebnisbereichs lagen, war es kaum noch möglich, die Familie brieflich am soldatischen Alltag teilnehmen zu lassen. Die Schilderung von Kriegsgräueln hatte deshalb eher selbstreflexive Bedeutung. Indem der Soldat das Erlebte erzählerisch ordnete, bewältigte er es und suchte nach einem Sinn. Voraussetzung dafür war, dass der Schreiber über entsprechende Deutungsmuster verfügte oder ausreichend sprachlich gewandt war, seine Gefühle in Worte zu fassen. Viele Soldaten scheiterten bereits daran. Der uns vorliegende und hier publizierte Feldpostbrief aus Russland ist ein solches Dokument. Schrift und Inhalt des Briefes sprechen für sich:

Russland, den 19. August 1942

Liebe Tante!

Da ich nun wieder im Besitze von Schreibpapier bin, will ich Dir nun gleich ein paar Zeilen schreiben. Zuerst sage ich noch meinen besten Dank für die beiden Paketchen. Hat mich sehr gefreut u. es ist auch mir noch die einzige Freude, die man in diesem verfluchten Land hat. Wieviele Soldaten habe hier schon ihr Leben lassen müssen. 30 Russen habe ich zumindest schon erschossen. Ich habe kein Erbarmen mehr für diese Bestien, die unsere Kameraden oft auf bestialische Weise hinmorden. Einem Feldwebel von uns haben sie die beiden Sterne die er auf den Achselklappen hatte, in die Augen gedrückt, den Bauch aufgeschnitten u. an einen Baum gehängt. Mit diesen Bestien muss aufgeräumt werden.

Mir geht es soweid [sic!] ganz gut was ich von Dir hoffe. Wie mir Mutter mitgeteilt hat, ist Robert in einem Lazarett u. bekommt keine Post von Euch. Ich habe Ihm auch schon 4 mal geschrieben, aber noch keine Antwort bekommen. Er wird halt seinem Truppenteil seine neue Adresse nicht mitgeteilt haben u. so können Sie Ihm die Post nicht nachsenden, denn die Post kommt alle zuerst an sein Truppenteil. Wie geht es Ihm denn. Hoffentlich gut. Was macht denn Horst Günther u. die Kleinen? Er wird doch nun auch bald in die Schule kommen. – Nun will ich schliessen, denn für heute weiss ich nichts mehr.

Es grüsst Dich Werner!

Auch Grüsse an Horst Günther. Hoffentlich ist er ein recht braver Bub, dann bring ich ihm mal einen Russenstahlhelm mit.

Deutsche Kavalerie und ein brennendes Dorf

Deutsche Kavalerie und ein brennendes Dorf

Morden war für deutsche Soldaten in Russland eine normale Handlung

Warum sah der Briefschreiber in den Russen Bestien? Sicherlich nicht nur wegen der Beschreibung der Todesart des Feldwebels. So etwas machten deutsche Soldaten auch. Mehr noch. In einem Brief schreibt ein Soldat an seine Frau, dass sie in Russland ihr Feuerzeuge genauso oft benutzen wie ihren Karabiner. „Wir berennen alles ab, was noch steht. Und wenn die Frauen mit Gezeter auf uns zugehen, knallen wir sie mit ihrer Brut ab!“ – Während des Ersten Weltkriegs, der ja nur im Westen, aber nicht im Osten verloren wurde, bildete sich bei den deutschen Soldaten ein deutliches Gefühl der eigenen Höherwertigkeit gegenüber den slawischen Menschen heraus. Somit ging das nationalistische Denken der Deutschen keineswegs in der Liebe zum Vaterland auf, sondern schloss die feindselige Ausgrenzung der Anderen, Fremden, gleichzeitig mit ein. Aus der Optik deutscher Ordnungs- und Sauberkeitsfanatiker lebten die Russen in Dreck und Armut, mit Ungeziefern und ohne Kultur. Das alles steckte längst schon in den Köpfen vieler deutscher Nationalisten, als Hitler verkündete, er wolle „Ordnung schaffen“ und der deutschen Nation den ihr gebührenden Platz in der Welt zurückgeben. So glaubten die Soldaten besonders in Russland, ihren eigenen Handlungen einen Sinn zu geben und lebten damit in der Vorstellung, dass die deutsche „Volksgemeinschaft“ ein attraktives Ordnungsmodell darstellte. Die überlegenen deutschen Herrenmenschen, so glaubten sie, müssten dieses Erfolgsmodell ständig durch die Ermordung ihrer Feinde neu bestätigen. Das heißt: „Der rassistische Blick auf die Menschen der Sowjetunion prägte nicht nur die politischen Entscheidungen der braunen Machthaber, sondern auch die private Korrespondenz deutscher Soldaten.“ Motivierte bereits der überkommene Nationalismus zur Anwendung rassistisch motivierter Vernichtungsgewalt, so war es die Rolle der nationalsozialistischen Führung, sie offiziell zu legitimieren und zu radikalisieren.

In der Praxis wirkte sich der rassistisch unterlegte deutsche Nationalismus eindeutig so aus, dass er die Spielräume der Soldaten für humanes Handeln einengte. Die Gewissenskonflikte, die auftraten, konnten mit Hilfe der nationalistischen Orientierung „Für Führer, Volk und Vaterland“ leichter beruhigt werden; das Morden war selbstverständlich, eine normale Handlung.

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Anmerkung: Er hat den Helm mitgebracht. Seine Feldpostnummer lässt auf das Inf.-Reg. 521, 5 bis 8. Komp. schließen. Den Feldpostbrief stellte uns freundlicherweise Günter Oberdörfer (Rothenburg) zur Verfügung.  – Quellen: Wolf Stegemann: “Feldpostbriefe sind Zeugnisse unmittelbaren Erlebens” in “Holsterhausen unterm Hakenkreuz”, Dokumentation und Lesebuch zur lokalen Geschichte, Bd. 2, Ökum. Geschichtskreis 2009. – Dr. Susanne Kiwitz, Museumsstiftung POst und Telekommunikation. – Richard Lakowski / Hans-Joachim Büll: “Lebenszeichen 1945. Feldpost aus den letzten Kriegstagen”, MilitzkeLeipzig 2002. –  Ortwin Buchbender / Reinhold Sterz: “Das andere Gesicht des Krieges. Deutsche Feldpostbriefe 1939-1945”, C. H. Beck München 1982.
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