W. St. – Im Monatsbericht des Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken vom 7. Dezember 1941 heißt es: „Im Zuge der Juden-Evakuierungsaktion ging am 29. November ein Sonderzug mit 1001 Juden und neun Kindern nach Riga ab. Vermutlich aus Furcht vor der bevorstehenden Evakuierung haben drei Jüdinnen Selbstmord verübt.“ Für den Transport vom 29. November 1941 nach Riga wurden zuvor Juden aus ganz Franken in das Sammellager Nürnberg-Langwasser geschafft. In einer „Organisationsanweisung“ hatte die Staatspolizeistelle Nürnberg-Fürth bereits am 11. November eine genaue Planung aufgestellt, die auch die Zahl der zu Deportierenden aus den einzelnen Regionen und die für sie vorgesehenen „Evakuierungsnummern“ festlegten. Demnach sollten je 200 Menschen aus Oberfranken (Nr. 1 – 46 Bayreuth, 47 – 175 Bamberg, 176-200 Coburg) und Mainfranken (Nr. 201 – 400 Würzburg) sowie 600 Menschen aus Mittelfranken (Nr. 401 – 500 Fürth und Mittelfranken-Land, 501 – 1000 Nürnberg) deportiert werden.
In Riga von der SS aus den Waggons geprügelt
Ein nach Riga deportierter Jude, der auch in Auschwitz war, berichtete erstmals in den 1980er-Jahren aus den USA, wo er lebte, dem Journalisten Wolf Stegemann von der Hölle, die er überlebt hatte. Hier ein Auszug seines Berichts, der sich mit der Ankunft seines Deportationszugs in Riga befasst:
„In Riga angekommen, wurden wir von deutscher und lettischer SS mit Gewehrkolbenschlägen und Fußtritten aus den Waggons geprügelt. Die SS nahm uns das Gepäck weg. Viele Menschen, die wegen der übermenschlichen Strapazen nicht mehr laufen konnten, sind nie im Lager angekommen. Doch die, die noch gehen konnten, zu ihnen gehörte auch ich, kamen nach einem halbstündigen Marsch im Ghetto an. Hier trafen wir auch Onkel Moritz, Tante Selma und Eva sowie meine Kusine Martha. Das Bild, das sich uns bot, kann ich nicht wiedergeben. Denn einige Tage vor dem ersten Transport hatte man die 40.000 lettischen Juden innerhalb von zwei Tagen auf 4.000 reduziert. Überall war Blut. Teilweise wurden die Menschen in lodernde Flammen geworfen, kleine Kinder spießte man auf oder warf sie hoch in die Luft, um nach ihnen zu schießen.
So kamen wir in völlig demolierte Ghetto-Wohnungen der soeben von der SS ermordeten Menschen. Auf den Tischen stand noch gekochtes Essen. Ein Zeichen, dass der Tod plötzlich und unerwartet kam. Das schockte uns und wir hatten Angst. Im Ghetto lebten 10.000 deutsche und 4000 lettische Juden. Geleitet wurde das Lager von SS-Obersturmführer Krause und Scharführer Gimmlich. Die Hauptleitung hatte ein SS-Major Dr. Lange. Der letzte Transport der Juden aus dem „Altreich“ kam aus Berlin. Es war grauenhaft. Es handelte sich vornehmlich um Menschen aus Altersheimen – Kranke und Gebrechliche. Viele von ihnen waren wahnsinnig geworden, denn sie wurden bei großer Kälte in offenen Viehwagen transportiert. Die Mehrzahl aller Menschen, die am Bahnhof ankamen, wurde gleich weiter verfrachtet in das nahe Vernichtungslager Sasaplis, der Rest ins Ghetto getrieben, wo wiederum zahlreiche Ghettobewohner an Hunger und der dann einsetzenden Kälte starben. Die arbeitsfähigen Juden mussten in SS- oder Wehrmachtsbetrieben arbeiten. … Mein ganzes Leben hindurch werde ich nie vergessen, wie wir 135 Juden, die noch aus dem Ghetto von Riga von 14.000 übrig geblieben waren, die Hölle der deutschen Konzentrationslager überleben konnten. Und so, wie ich meine Erlebnisse nicht vergessen kann, darf die Menschheit in der ganzen Welt – und vor allem die Jugend – nicht vergessen, wozu Menschen fähig sind.“
Der deutsche Beamtenapparat funktionierte grausam und perfekt
Das hier folgende abgedruckte Dokument umfasst zehn Seiten. Der in den vorstehenden Artikeln von Dr. Edith Raum über die Deportationen aus Unter- und Mittelfranken genannte Organisator, SS-Sturmbannführer und Kriminalrat Dr. jur. Theodor Grafenberger, legte diese zehn Seiten als „Organisationsanweisung“ vor, wie die beteiligten Behörden, Stadt- und Ortsverwaltungen, Finanzämter, Gerichtsvollzieher, Amtsgerichte, Wohnungsverwaltungen, Polizeiämter, SS, Gestapo und Reichsbahn beim „Verladen der Juden“ zusammenzuarbeiten und den Juden ihre letzte Habe zu beschlagnahmen sei. In dieser bis in die Details bis zu Büroklammer bürokratisch festgelegten Maßnahmen, ist auch daran gedacht, Anweisung zu geben, dass genügend Papiertüten mitzunehmen seien, damit der den Juden bei Leibesvisitationen abgenommene Wertsachen wie Schmuck, Bargeld, versteckte Aktien usw. aufbewahren zu können. Such wurde festgelegt, dass beim Entkleiden der Juden Frauen getrennt von Männern durchsucht werden müssen. Es ist ein Dokument, das zeigt, wie perfide, perfekt, penibel, menschenverachtend und grausam-kühl der deutsche Beamtenapparat vom Polizeichef bis zum kleinen Finanzbeamten gewirkt hat.
Die Organisationsanweisung – Dokument des Verbrechens
Siehe auch:
- Juden-Deportationen aus Franken (I): Neben der SS, Gestapo und Reichsbahn waren auch Finanzämter, Amtsgerichte und Stadtverwaltungen beteiligt, denen der Zweck nicht verborgen blieb
- Juden-Deportationen aus Franken (II): Anklagen und Prozesse gegen Beteiligte nach dem Krieg – Da „Befehlsempfänger“ mit fehlendem Unrechtsbewusstsein: Freisprüche
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Quellen: Bayern in der NS-Zeit, Bd. 1, München 1977, S. 484 – StA Nürnberg, OFD Nürnberg (Bund) Nr. 15471/72. – Yad Vashem Archives, Bestand O.8/374. – Website Statistik und Deportation der jüdischen Bevölkerung aus dem Deutschen Reich (Aufruf 2016). – StA Würzburg, Bestand Gestapo 18874, Bl. 9-18.