Erziehung im Nationalsozialismus: Kinder mit antisemitischen Bilderbüchern gegen Juden aufgehetzt. Die Rothenburger Schülerin Gertrud Schubart empfand eine innere Ablehnung

Schulkinder 1936 (nicht Rothenburg)

Schulkinder 1936 (nicht Rothenburg)

Von Wolf Stegemann

„Das Buch war Pflichtlektüre“, erinnert sich die heute 87-jährige Rothenburgerin Gertrud Schubart, wenn sie an ihre Schulzeit in nationalsozialistischer Zeit denkt. Die Kinder waren damals der antisemitischen Propaganda und den Lehrern, welche diese vermittelten, hilflos ausgesetzt. So auch den beiden Bilderbüchern „Der Giftpilz“ und „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid’ und keinem Jud’ bei seinem Eid“, die auch im Unterricht behandelt wurden. „Einige Bilder sitzen bei mir immer noch im Gedächtnis“, erinnert sich Gertrud Schubart.

„Sie waren sehr plakativ! Dicke schwarze Konturen umrahmten seitenfüllend hässlich dargestellte Juden mit hässlichen Knollennasen und großen Plattfüßen. Jedes Blatt hatte nur ein Thema und dieses war eine eindringliche Warnung an uns Kinder! Sie sollten vermitteln: Keine Schleckereien von Juden annehmen, du kannst den Volksfeind an seinem Namen erkennen wie Löwenthal, Lilienthal, Korngold, du sollst weder die Dienste eines jüdischen Rechtsanwalts noch eines jüdischen Arztes in Anspruch nehmen. Dann gab es den Band „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid’ und keinem Jud’ bei seinem Eid“. Von seinem Inhalt kann ich nichts wiedergeben. Ich hatte eine innere Ablehnung. Die dargestellte Menschenverachtung war mir zu bösartig. Schließlich lebten etliche jüdische Familien in Rothenburg und sie lebten so bürgerlich wie wir alle.“

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Totale Erziehung durch Partei und Staat  

Der nationalsozialistische Staat hatte einen Anspruch auf die „totale Erziehung“ gestellt. Insofern können auch alle Formen der Propaganda im Alltagsleben zur Erziehung im Nationalsozialismus gerechnet werden wie diese beiden antisemitischen Bücher, von deren Sorte im „Stürmer“-Verlag Nürnberg noch andere erschienen sind. Auch prägte die ideologische Forderung nach Härte im Nationalsozialismus auch den Umgang mit Kleinkindern. Der Nationalsozialismus, so die Wiener Erziehungswissenschaftlerin Dr. Frischmuth, behandelte Kinder ab der Geburt wie Feinde, deren Schreien und Flehen nicht nachgegeben werden durfte. Der Aufbau einer liebevollen Beziehung zwischen Eltern und Kindern sollte verhindert werden. Denn die Partei wollte zum zentralen Element im Leben des Kindes werden und die entscheidende Rolle bei der Erziehung übernehmen. Die Eltern hatten dahinter zurückzutreten.

Giftpilz-Innen-1Adolf Hitler über die Erziehung der Kinder

Hitler wollte die Jugendlichen in seine Pläne einbeziehen, denn sie waren der Baustein für die Zukunft. Sie sollten später in den Krieg ziehen und außerdem ihre Pflichten als „Arier“ kennen. Hitler sagte zum Zweck:

„Die gesamte Erziehungsarbeit des Völkischen Staates muss ihre Krönung darin finden, dass sie den Rassesinn und das Rassegefühl Instinkt- und verstandesmäßig in Herz und Gehirn der ihr anvertrauten Jugend hineinbaut […] Der Völkische Staat hat in dieser Erkenntnis seine gesamte Erziehungsarbeit nicht auf das Einpumpen bloßen Wissens einzustellen, sondern auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbildung geistiger Fähigkeiten …“

Den Lehrern war es aufgegeben, nationalsozialistische Kinder geistig und körperlich „heranzuzüchten“ Dazu gehörten auch die neu geschriebenen und umgeschriebenen Bilder-, Lese- und Lehrbücher.

Giftpilz-NS-Kinderbuch-Fuchsndex-300x277„Trau keinem Fuchs aus grüner Heid’ und keinem Jud’ bei seinem Eid!“

Kinderbücher förderten die systematische Erziehung zum Antisemitismus. Vor allem der Nürnberger Stürmer-Verlag trat besonders durch die Werke „Der Giftpilz“ und „Trau keinem Fuchs auf grüner Heid’ und keinem Jud’ bei seinem Eid!“ hervor. Letzteres erschien in mindestens sieben Auflagen erstmals 1936. Autorin ist Elvira Bauer. Der Einband dieses Kinderbuches zeigt einen Fuchs, der seiner Beute nachstellt, und einen Juden, der einen betrügerischen Schwur unter dem Stern Davids ablegt. Mit dieser bildlichen Gleichsetzung von Fuchs und Jude wird unausgesprochen die dem Fuchs nachgesagte Hinterlistigkeit auf den Juden übertragen. Das Buch wurde über 100.000 Mal verkauft. Gereimt wird darin u. a.: „Nun wird es endlich schön, denn alle Juden müssen gehen / die großen und kleinen, da hilft kein Schreien und Weinen / und auch nicht Zorn und Wut, fort mit der Judenbrut“. Es ist eine „Anleitung“ zum Rassenhass für Sechs- bis Neunjährige. Das Bilderbuch markierte einen traurigen Höhepunkt im Missbrauch kindlicher Naivität und Beeinflussbarkeit.

Giftpilz-TitelKinderbuch „Der Giftpilz“

Im Umgang mit Ernst Hiemers Buch „Der Giftpilz“ wurde eine Entwicklung der Lesekompetenz der Buchbenutzer bereits vorausgesetzt. Thema des Propagandawerks ist die Dämonisierung der Juden. Die Bilder von „Fips“, so der Künstlername des langjährigen Stürmer-Illustrators Philipp Rupprecht, haben ganzseitiges Format, die zugeordneten Geschichten sind textlich umfangreicher gestaltet. Noch im Jahr seines Erscheinens 1938 erreichte das Bilderbuch eine Auflage von 70.000. Es galt damals als so exemplarisch für nationalsozialistische Jugendpropaganda, dass „Der Giftpilz“ 1938 in der Buchreihe der „Friends of Europe Publications“ in englischer Übersetzung erschien, eine Reihe, die Propagandaschrifttum der Nazis in englischer Übersetzung verfügbar machen und davor warnen sollte. Es zeigt in stark farbigen Zeichnungen das gesamte antisemitische Repertoire des NS-Regimes und forderte des „Führers Jugend“ zum Rassenhass auf.

Der Autor Ernst Hiemer (1900 bis 1974) war von Beruf Lehrer. In der Zeit des Nationalsozialismus war er Vertrauensmann der Reichspressekammer beim Landeskulturverwalter des Gaues Schwaben. Von 1938 bis etwa 1942 war Hiemer Hauptschriftleiter der antisemitischen und volksverhetzenden Wochenzeitung „Der Stürmer“ in Nürnberg, in dem er antisemitische Leitartikel schrieb. Im Mai 1942 rechtfertigte er beispielsweise den Holocaust, indem er das Judentum als „organisiertes Weltverbrechertum“ bezeichnete. Ernst Hiemer starb 1974 in Altötting (Bayern).

  • Bleibt die Frage: Kann man eigentlich eine aus heutiger Sicht so brutal wirkende, kaum zu verstehende und in damaliger Zeit so perfide inszenierte literarische Darstellung des Judentums, mit der man Kinder beeinflusste, auch nur annähernd erklären? Und mehr noch, wie ist dieser Ungeist, durch Erziehung und unterbewusste Stereotypen weitergegeben vielleicht sogar bis in die heutige Zeit überliefert worden?
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