„Schwierigkeiten im Umgang mit der Schuld“ – Vortrag von Wolf Stegemann auf der Tagung „Rothenburg in Krieg und Frieden“ der Ev. Akademie Tutzing in Rothenburg 2016

Tagung-Stegemann-Tutzing - Krieg und Frieden in Rothenburg_JoE 267 - pMeine sehr geehrten Damen und Herren, guten Morgen!
Redet man von Schuld im Zusammenhang mit dem Dritten Reich, so kommt einem als erstes der Begriff „Stuttgarter Schuldbekenntnis“ in den Sinn: Mit ihr bekannte sich die Evangelische Kirche in Deutschland am 19. Oktober 1945 stellvertretend für das deutsche Volk ihrer Mitverantwortung für die Verbrechen des Nazi-Regimes. Die Kernsätze der Erklärung lauten:

„Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden. … Wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.“

Das Schuldbekenntnis löste ein geteiltes Echo aus. Im Ausland wurde es begrüßt und ermöglichte eine Flut von Spenden vor allem aus den USA. In Deutschland dagegen löste das Bekenntnis Empörung, Un­verständnis und heftigen Widerspruch aus und stieß nur selten auf Zustimmung. Nach den ers­ten Entnazifizierungsdirektiven der Besatzungsmächte fürchteten gerade auch evangelische Christen diese öffentliche Schulderklärung weithin als einseitiges Zu­geständnis an eine vom Ausland aufgenötigte Sieger­justiz und als weiteres Argument für harte Vergeltungsmaßnahmen. Aus schleswig-holsteinischen Kirchenkreisen hielt man angebliche oder wirkliche alliierte Verbrechen entgegen sowie die Vertreibung der Millionen von Deutschen aus Polen, die von kirchlichen Kritikern des Stuttgarter Schuldbekenntnisses – wie dem Präses der Schleswig-Holsteinischen Kirche – als „beispielloser Völkermord“ genannt und die Frage aufgeworfen wurde:

„Ist das (er meint die Vertreibung der Deutschen durch Polen) keine Schuld? Solange darüber verlegen verschwiegen wird, solange hat man drüben keine Vollmacht, von deutscher Schuld zu reden.“

So distanzierte man sich von den eigenen Vertretern der Kirche. Historiker weisen darauf hin, dass die Schulderklärung den deutschen Protestanten nach dem Debakel der NS-Zeit den Weg zurück in die weltweite Christenheit gebahnt hatte.

Schauen wir jetzt nach Rothenburg

Blicken wir noch kurz auf die 20er-Jahre in dieser Stadt: Antisemitische Schmierereien und eine rechtsradikale Szene, wie man heute sagen würde. Hohe Zustimmung zu Hitler bei dem Reichstagswahlen 1932, nämlich über 80 Prozent, Überfälle der SA auf andersdenkende Mitbürger. Das fiel die ab 1933 staatlich propagierte Ideologie und Gewalt des Nationalsozialismus eine fruchtbaren Boden. Richard Schmitt, Vorstandsmitglied des Vereins Alt-Rothenburg, schrieb einmal: „Rothenburg sei immer schon national, d. h. konservativ und chauvinistisch gewesen.“
Diese Gesinnung überdauerte den Nationalsozialismus. Zuerst versteckt und nach Lockerung der Kontrolle des politischen Lebens durch die Amerikaner wurde sie auch wieder offen zur Schau getragen. Ganz gleich, von welcher Partei! Und das zeigt die Schwierigkeiten, den Umgang mit Schuld in Rothenburg, darzustellen. Denn kaum einer fühlte sich schuldig, zumindest sprach er nicht davon. Und schon gar keine öffentlichen Institutionen wie Stadt, Vereine und Unternehmen zeigten sich schuldig. Auch sie wiesen auf andere. Obgleich es in diesen Mauern Unrecht, Unmenschlichkeit und Verbrechen gab. Und das waren nicht „die anderen“.

Mit den Verbrechen des Dritten Reiches sind viele Deutsche spätestens direkt vor Kriegsende oder kurz danach persönlich konfrontiert worden, als die Todesmärsche der ausgemergelten Insassen der geräumten Konzentrationslager Städte und Dörfer passierten und nach der Befreiung der Lager die alliierten Truppen die Einwohner der nächstgelegenen Orte zwangen, die Schinderstätten des Systems zu besichtigen. Trotz dieser schockartigen Aufklärung ist die unmittelbare Nachkriegszeit nach allen Zeugnissen gekennzeichnet nicht so sehr durch ein Nachdenken über Schuld und Schuldursachen, als vielmehr durch die Hinwendung der meisten Deutschen zu ihrem eigenen Schicksal und dem ihnen zugefügten Leid. Die letzte aktuelle Erfahrung, die sie gemacht hatten, bestand darin, dass ihr Land – und somit sie selbst – Opfer des Krieges geworden waren. Gründe für die Konzentration auf das eigene Unglück gab es genug – und sie waren auch durchaus plausibel: Tod von Angehörigen, Obdachlosigkeit und Eigentumsverlust, vielfältige Formen sozialer Deklassierung und Verelendung, Kriegsgefangenschaft, millionenfache völlige Entwurzelung durch die Flucht aus den deutschen Ostgebieten.

Der Zwang, Rechenschaft über sein Handeln in er NS-Zeit abzulegen

Dieser Kampf um die Sicherung der materiellen Existenz verband sich sehr rasch mit dem Zwang, vor den Siegern Rechenschaft über die eigene Vergangenheit abzulegen. Die Entnazifizierung nötigte jeden, der mehr als die Stellung eines gewöhnlichen Arbeiters innehatte oder anstrebte, Auskunft über sein Verhalten im Dritten Reich zu geben. Allerdings blockierte diese Maßnahme eher eine konkrete und individuelle Auseinandersetzung mit dem Dritten Reich, als dass sie sie gefördert hätte. Jedes Eingeständnis eigenen Versagens oder schuldhaften Verhaltens wurde zu einer gerichtsverwertbaren Selbstbezichtigung.

Das ist offensichtlich der Grund für das durchgängig zu beobachtende Verhalten: Ausflucht und Entschuldigung oder einfaches Verschweigen kompromittierender Tatsachen in der Hoffnung, sie blieben verborgen oder ließen sich mit dem formalen Entnazifizierungsbescheid zudecken. Vielfach erfolgte auch eine Selbststilisierung zum Opfer des Regimes und zum Fast-Widerstandskämpfer.

So auch in Rothenburg. Die Unschuld der Schuldigen, ob Person oder Institution, festigte sich und hielt sich flächendeckend und bildhaft gesprochen in den Mauern. Allerdings sind in den letzten Jahren Aufweichungen zu erkennen.

Neben den in persona Verantwortlichen in Partei und im Rathaus trugen auch die namenlosen Fachkräfte und Experten in den Verwaltungen dazu bei, dass bis 1945 das nationalsozialistische Regime so reibungslos funktionierte. Auch die Stadtverwaltung in Rothenburg hatte solche Verwaltungsfachkräfte. Bei der Entnazifizierung gaben sie sich gegenseitig als „rechtschaffene Diener des Staates“ aus.

NS-Zeit stand noch 1962 nicht auf dem Lehrplan der Schulen in Bayern

In diesem Sinne waren auch Lehrer rechtschaffene Diener, von denen die meisten schon 1933 in die Partei eingetreten waren, auf die es Hitler und seiner Gefolgschaft im Reich und in den Ländern ankam. Denn die meisten von ihnen führten angeordnete Maßnahmen lückenlos durch, auch wenn sich anfangs die Beamten „innerlich“ gegen die Maßnahmen auflehnten. Zu den Tätern können nicht nur die gerechnet werden, die direkt mit dem Morden zu tun gehabt haben, sondern auch diejenigen, die die Voraussetzungen für das Massensterben schufen. Das waren nicht nur die bekannten Nazigrößen, sondern die Masse derjenigen, die in den Ministerien die entsprechenden Verordnungen und Erlasse ausarbeiteten und in den Rathäuser und Schulen dafür sorgten, dass die Erlasse befolgt wurden. Und sie wurden befolgt! In Rothenburg vom Bürgermeister Dr. Friedrich Schmidt und seinem pflichtversessenen Amtmann Hans Wirsching.

Als wäre nichts geschehen, als hätte nicht kurz zuvor noch millionenfacher Mord und die schlimmsten Verbrechen der neueren Menschheitsgeschichte stattgefunden, machten Täter und Helfershelfer nach 1945 in der jungen Bundesrepublik wieder Karriere: Gedeckt und protegiert wurden sie unter anderem von der nahtlosen deutschen Justiz, welche die Strafen, die von den alliierten Gerichten zuvor verhängt worden waren, herabsetzte, die Anklagen verschleppte und Mörder freisprachen. Lebensläufe wurden schamlos geschönt und gefälscht und die braunen Flecken in Firmen- und Familiengeschichten getilgt. Die braunen Seilschaften garantierten Karrieren in Wirtschaft, Justiz und Politik. Von Franz-Josef Strauß ist aus jener Wirtschaftswunder-Zeit und Zeit, in der er noch bayerischer Ministerpräsident war, der Ausspruch überliefert:

„Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen.“ Zitiert nach der Frankfurter Rundschau vom 13. September 1969.

Warum sich mit Auschwitz befassen?

Warum sich noch mit Auschwitz befassen, das im Sinne der Wortbedeutung viele schuldig gemacht hat: die einen, die Täter vor Ort, und die anderen am Schreibtisch im juristischen Sinne, und all die im politisch-moralischen Sinn, die Auschwitz durch ihre Unterstützung des Regimes möglich gemacht haben. Mit ihrer Wählerstimme 1933 und davor, ihren Parteieintritt aus Überzeugung, Idealismus oder aus Karrieredenken, das Hinnehmen der vielen anderen Verstöße und Verbrechen vor der eigenen Haustür. Zu ihnen gehören auch die Journalisten der Heimatzeitungen und überregionalen Blätter, die mit ihrem heute unfassbaren propagandistischen und mitunter bösartigen Schreiben sich an dem Ungeist der Zeit beteiligten und ihn angetrieben haben! In Rothenburg gab es damals den „Fränkischen Anzeiger“, der sich bis 1945 voll auf die Seite der Täter stellte, dessen schreibendes Personal in einem Falle zeitweilig sogar mit dem Kreispresseleiter der Partei identisch war. Daher lasen sich die Artikel in der Zeitung auch wie Parteipropaganda. Wie gingen Verleger und Redaktion mit dieser Schuld um, wenn sie diese überhaupt als Schuld angesehen haben? Wir wissen es nicht. Zu ihren Lebzeiten fragte keiner danach!

Etliche führende Rothenburger Nationalsozialisten überlebten gesellschaftlich den Niedergang des NS-Regimes, weil man nach 1945 in kumpelhaftem Schweigen kollektiv verdrängte, was zwischen 1933 und 1945 geschah und wer an den Verbrechen aktiv beteiligt war. So wie die Nachkriegs-Rothenburger das wiederhergestellte Stadtbild an das Mittelalter anknüpften, als ob es die Zerstörung 1945 nicht gegeben hätte, so knüpften manche Rothenburger an die Weimarer Republik an, als ob es für sie den Nationalsozialismus nicht gegeben hätte. Dazu passte der Lehrplan für Geschichte jener Zeit. Ich kann mich an meine Schulzeit Ende der 50er- Anfang der 60er-Jahre erinnern, dass der Lehrplan für den Geschichtsunterricht mit der Weimarer Republik endete. Der Unterricht wurde mit dem Fach „Zeitgeschichte“ fortgesetzt, begonnen mit der Gründung der Bundesrepublik. Das passt zur damals nicht stattgefundenen Vergangenheitsbewältigung, des Schweigens und Wegsehens.

Noch 2004, als das Reichsstadtgymnasium zum 450-jährigen Bestehen eine Festschrift mit seitenlangem Text über die Geschichte der Schule herausbrachte, kommen die nationalsozialistischen Jahre mit ihren umwälzenden Schulreformen der Nazis und dem Schicksal jüdischer Schüler gerade mal in zwei Sätzen vor. Autor:  Der damalige Stadtarchivar, der mit Sicherheit in seinem Archiv aus dem Vollen nationalsozialistische Befunde hätte schöpfen können, wie dies die jetzige Stadtarchivarin ja tut.

Die Lokalzeitung – das Sprachrohr der Partei

Bleiben wir beim „Fränkischen Anzeiger“ und im Jahr 1945. Nationalsozialistisch belastete Zeitungsverleger bekamen bis 1949 keine Lizenz, so auch nicht der „Fränkische Anzeiger“. Erst als die Amerikaner 1949 den Lizenzzwang aufgehoben hatten, erschien auch wieder der bereits dafür vorbereitete „Fränkische Anzeiger“ am 1. September 1949. Im Editorial der ersten Ausgabe steht:

„Die verhängnisvolle politische Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte hat uns alle vor die Situation gestellt, die in der Geschichte des deutschen Volkes beispiellos ist. Niemand kann sich in dieser Sachlage den Notwendigkeiten des Tages verschließen und unsere Gesamtpflicht, an den kulturellen, politischen, kommunalpolitischen Aufgaben unserer Zeit mit allen Kräften mitzuarbeiten, ist um so gebieterischer im Augenblick des ungeheuren Schadens, den das deutsche Volk auf allen Gebieten des Lebens erlitten hat und unter denen die kulturellen Schäden und Verluste nicht die geringsten sind.“

Da wird nicht von dem Schaden gesprochen, den Deutschland anderen Völkern zugefügt hat, sondern von dem Schaden, den das deutsche Volk erlitten hat. Ein solches Verhalten war damals, wie die Literatur zeigt, weitestgehend verbreitet. Dazu trugen auch die damaligen Nachkriegspolitiker bei wie am Beispiel der Rothenburger Lokalzeitung sichtbar ist. Landrat Dr. Paul Nerreter (SPD) begrüßte 1949 das Wiedererscheinen des „Fränkischen Anzeigers“ im Vorwort als einen alten Duz-Freund. Das Zitat mag aus heutiger Sicht vom Stil her befremden, aber es trifft genau das kollektive Leugnen, um ja kein Schuldeingeständnis abgeben zu müssen. Nerreter:

Nun aber bist Du, ,Fränkischer Anzeiger’, wieder aus Deiner Emigrierung zurückgekommen und der Stadtrat würde es nicht nur als einen Akt der Ungerechtigkeit, sondern auch als eine Verleugnung der Interessen der Stadt und ihrer Einwohner betrachten, wenn er sich damit nicht wieder vom ersten Tag Deines Erscheinens an zu Dir bekennen würde…“

Hat man da richtig gelesen und gehört? Emigration? Man kennt dieses Wort in anderen Zusammenhängen! Auch Oberbürgermeister Friedrich Hörner (SPD) machte es am Beispiel der Zeitung den Bürgern leicht, schon in den ersten Nachkriegsjahren, Schuld wegzuschieben, wenn er in seinem Vorwort schrieb, nur etwas mahnender als der Landrat, dass jetzt 1949 bereits alles „vergeben und vergessen sei“, Gemeint war das, was zwischen 1933 und 1945 in Rothenburg geschehen war: Das Zitat geht weiter:

„Daher dürfen wir überzeugt sein, dass Du (gemeint die Zeitung) als Deine vornehmste Aufgabe betrachten wirst, das deutsche Volk durch Dein eigenes Vorbild vor einer Wiederholung solcher Katastrophen zu bewahren. In diesem Vertrauen begrüßen wir Dein Wiedererscheinen, liebe Heimatzeitung…“

Schon 1949 Schlussstrich mit „vergeben und vergessen“ gezogen

1949 war das „Vergeben und Vergessen“ von Schuld öffentlich weit verbreitet. Wie wir gesehen haben, auch hier in der Zeitung, die durch ihre vor 1945 oft unsägliche Berichterstattung zur Anhäufung von Schuld durch Appelle und Aufrufe, durch Verunglimpfung der jüdischen Bürger und Jubeln nach deren gewaltsamen Vertreibung und später mit Durchhalteparolen in dieser kleinen Stadt propagandistisch beigetragen hat. Warum sollten sich dann andere – Täter, Mitläufer und jubelnde Zuschauer – in einer solchen Atmosphäre von Vergeben und Vergessen Schuldgefühle zeigen oder überhaupt welche haben? Eine kollektive Unschuld machte sich in den alten Mauern dieser Stadt breit und zog sich hin – über Jahrzehnte hinweg. Schon in der ersten Nachkriegszeit machte sich in Rothenburg der Schlussstrich-Gedanke nicht nur breit, er wurde auch gezogen. Jahrzehnte bevor die Debatte darüber auf anderer Ebene zwischen Walser und Bubis 1998 geführt wurde.

Zurück in die Nachkriegszeit

Ein Versuch, Schuld festzustellen und Schuldige zu finden und zu bestrafen, war das Gesetz zur Befreiung von Nationalismus und Militarismus von 1946. In Strafprozessen der Alliierten wurden Kriegsverbrecher und Verantwortliche in den Nürnberger Prozessen verurteilt oder freigesprochen. Die Nürnberger Prozesse mit ihren überwiegenden Todesurteilen wurden von der Bevölkerung weitgehend abgelehnt, auch wenn man darin Schuldige hatte, auf die man deuten konnte. Von der protestantischen Kirche wurden die Todesurteile übrigens auch abgelehnt. Nicht aus einer prinzipiellen Opposition gegen die Todesstrafe heraus, sondern weil die Prozesse als alliierte „Siegerjustiz“ galten. Die kirchlichen Amtsträger setzten damit die traditionelle Solidarisierung mit den Vertretern der Obrigkeit fort, die ihr weitgehendes Schweigen zu den Verbrechen des NS-Regimes mitbedingt hatte.

Entnazifizierung machte aus Tätern oft Opfer

Auf einem Flugblatt, dem Vierten, appellierte die Münchener Widerstandsgruppe „Weiße Rose“ 1942 was nach dem Kriegsende und der Niederlage Deutschlands beachtet werden sollte: Da steht:

„Vergesst auch nicht die kleinen Schurken dieses Systems, merkt Euch die Namen, auf dass keiner entkomme! Es soll ihnen nicht gelingen, in letzter Minute noch nach diesen Scheußlichkeiten die Fahne zu wechseln und so zu tun, als ob nichts gewesen wäre!“

Und genau so kam es. Die kleinen Schurken mussten sich vor Spruchkammern verantworten, wurden entnazifiziert, doch es kam dadurch nicht das, was die Weiße Rose erwartet hatte. Die kleinen Schurken stahlen sich nämlich mit Leugnen und Lügen aus der Verantwortung und wechselten die Fahne, wobei ihnen viele der anderen kleinen Schurken als Handlanger dienten. Und das klappte, bis mit dem Entnazifizierungsschlussgesetz das Verfahren beendet war. Bis dahin wurde in Bayern 900.000-mal entnazifiziert, wobei dieses Instrumentarium, so wie es angewendet wurde, kläglich versagte, weil keiner es mehr wollte. Auch in Rothenburg. War am Anfang der Großteil der Bevölkerung mit der Entnazifizierung einverstanden, schlug die Zustimmung bald in Ablehnung um. Das ging so weit, dass in Rothenburg die Mitarbeiter der Spruchkammer unter Polizeischutz der US-Militärpolizei und der Stadtpolizei gestellt werden mussten.

Im Zuge der Entnazifizierung wurde gelogen und falsche und gefälschte Ehrenerklärungen vorgelegt, dass z. B. der Ortsgruppenleiter Götz zwar Juden verfolgt und die Haushälterin einer jüdischen Familie öffentlich geohrfeigt hatte, dabei aber – wie Rothenburger ihm bescheinigten – „anständig geblieben“ sei. Solche Zeugnisse gibt es zuhauf. In Rothenburg schrieben diese Lügen-Zertifikate, die man „Persilscheine“ nannte, sowohl die evangelischen wie der katholische Pfarrer, ehemalige SA-Kameraden und Parteifunktionäre bescheinigten sich gegenseitig, was für anständige Menschen sie geblieben seien, allein der NS-Bürgermeister Dr. Friedrich Schmidt legte fast dreihundert solcher „Persilschein“ vor. Darunter einer, mit dem Satz:  „Er habe sich seine Anständigkeit immer bewahrt!“
Dieser Satz bezog sich auf den belegten Vorwurf, der Bürgermeister habe sich persönlich in die Wohnung der Jüdin Fanny Löwenthal in der Herrngasse begeben, die nach der Vertreibung nur noch ein paar Stunden hier sein durfte, um ihre Angelegenheiten zu regeln. Denn die Juden waren bereits vertrieben. Der Bürgermeister konfiszierte für das Museum mehrere Wertgegenstände. Dann musste die Jüdin wieder aus ihrem Haus und aus der Stadt verschwinden.
Die Entnazifizierung war eine schwierige, wenn auch unvermeidliche Hürde auf dem von den Alliierten verordneten Weg zum Rechtsstaat. Da sie als bürokratische Großaktion betrieben werden musste, konnten Schuld und Sühne nicht in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Folglich musste sie schon aus diesem Grunde scheitern.

Rechtsruck 1952 in der Stadt und im Rat

In der Atmosphäre der Beendigung der Entnazifizierung Anfang der 1950er-Jahre entstand in Rothenburg eine immer offenere rechtsgerichtete Sicht auf die politischen Dinge. Das war zu erwarten, denn die alten Nazis trafen sich in neuen Parteien wieder. Ein starker Rechtsruck ging durch die Stadt, der dann bei den Bürgermeister- und Stadtratswahlen 1952 sichtbar wurde. Die SPD erhielt 5 Sitze, die Partei Deutsche Gemeinschaft, rechtsextrem mit dem ehemaligen NS-Bürgermeister und frühere NSDAP-Funktionäre in den Reihen, 4 Sitze, die Freie Wählervereinigung Rothenburg, rechts angehaucht, 9 Sitze und die Wählervereinigung der Heimatvertriebenen und Kriegsgeschädigten, ebenfalls rechts, 2 Sitze. Unter der Überschrift „Ruck nach rechts“ kommt der „Fränkische Anzeiger“ am 2. April 1952 zu dem Fazit:

„Es besteht also gegenüber der einzigen, in unserem Stadtrat noch vertretenen Linken mit fünf Sitzen, von politischen Aspekten aus betrachtet, ein Block von 15 Stadträten mit einer nach rechts gerichteten Tendenz, so dass die Feststellung eines durch die Wahl in Rothenburg erfolgten Rechtsruckes in vollem Maße den Tatsachen entspricht.“

Vor dem Hintergrund dieser Wahl und des Rechtsrucks im politischen Leben in Rothenburg ist es nicht verwunderlich, dass beispielsweise Johann Rößler, der in Rothenburg 1945 als Defätist erschossen wurde und offiziell als Widerständler des NS-Regimes gilt, nur nicht in Rothenburg, über Jahrzehnte hinweg verschwiegen wurde. Durch den Rechtsruck ist auch nicht verwunderlich, dass 1955 die Obere Bahnhofstraße wieder den Namen Ludwig-Siebert-Straße erhielt, benannt nach einem hochrangigen Nazi, nämlich dem bayerischen NS-Ministerpräsidenten. Doch vorerst möchte ich auf beispielhaft auf ein paar Rothenburger hinweisen, die bis 1945 stramme Nationalsozialisten waren und das Jahr gut überstanden haben, mehr oder weniger gut, einer allerdings überhaupt nicht.

NS-Bürgermeister Dr. Friedrich Schmidt, ab 1952 Stadtrat

Dr. Friedrich Schmidt, wir haben von ihm bereits gehört, war nationalsozialistischer Bürgermeister von 1936 bis 1945. Er ist ein frappierendes Beispiel für „vergeben und vergessen“ ohne jemals Schuld bekannt zu haben. 1952 zog Schmidt als beliebtester Kandidat für das Amt eines Stadtrats mit den meisten Wählerstimmen in den Stadtrat ein.
Aus der Internierung nach dem Krieg kam er mit Hilfe von 38 Rothenburger „Persilscheinen“ nach fast drei Jahren frei. Darunter positive Aussagen von Polizisten und Pfarrern, Ärzten und Schwestern, Landwirten, städtischen Beamten und ehemaligen Parteigenossen. Der frühere NS-Regierungspräsident Hans Dippold, der selbst interniert war, schrieb am 29. September 1947 aus der Internierung:

„Er war ein zu rechtlich denkender Beamter, als dass er sich einem sturen Parteiformatismus ergeben hätte.“

Schmidt wurde bei der Entnazifizierung in der Anklage noch als „Hauptschuldiger“ benannt, von der Spruchkammer als „Mitläufer“ so gut wie reingewaschen. Schmidt, den erst die Nazis als Bürgermeister nach Rotheburg geholt hatten, ging nach der Entlassung aus der Internierung nicht in seine Heimatstadt Nürnberg zurück, sondern nach Rothenburg, wo er seine NS-Seilschaft wieder antraf, ließ sich als Rechtsanwalt nieder, blieb politisch. Diesmal in der rechtsextremen Partei „Deutsche Gemeinschaft“, wurde für die Wahlen 1952 als Bürgermeisterkandidat nominiert. Zur Wahl trat er dann nicht an, denn der Rechtsblock einigte sich auf einen Rechtsanwalt in Nürnberg. Der wurde es dann aber auch nicht, sondern Dr. Lauterbach aus Oggersheim, der dort der NSDAP von 1933 bis 1945 angehörte und Bürgermeister war. Doch Rothenburgs ehemaliger Bürgermeister Dr. Schmidt wurde – wie erwähnt – 1952 mit den meisten Stimmen, nämlich über 6000, in den Rat gewählt und saß dort, wo er von 1936 bis 1945 bereits gesessen hatte. Allerdings nicht mehr unterm Hakenkreuz und  dem Hitlerbild. Beides wurde 1945 entfernt. 1956 wechselte er als Stadtrat zur „Freien Wählervereinigung Rothenburg ob der Tauber“ (heute: Freie Rothenburger Vereinigung). 1960 schied er wegen Erkrankung aus dem Stadtrat aus.
In der NS-Zeit tat sich Bürgereister Schmidt als Antisemit hervor und unterstützte als Stadtverwaltung aktiv alle antijüdischen Handlungen der Partei wie Anbringen von so genannten Schandtafeln an den Toren der Stadt, an der gewaltsamen Vertreibung der jüdischen Bürger aus der Stadt, an der Zerstörung der Synagoge und –  wie wir gehört haben – in persona die Wegnahme von Wohnungsgegenständen eines jüdischen Haushalts für das Reichsstadtmuseum und Rathaus. Er trug das NS-Regime voll mit und hinterließ auch durch sein aktives Wirken eine moralisch verwilderte und zerstörte Stadtgesellschaft.

Hatte er ein Schuldgefühl? Wie ging er damit um? Aus seiner Entnazifizierungsakte ist darüber keine Erkenntnis zu gewinnen, auch nicht aus seinen Redebeiträgen in den Ratsprotokollen. Schuld brauchte er nicht zu formulieren oder zu zeigen. Da befand er sich in Rothenburg in bester Gesellschaft. Als er 1965 starb, stand im „Fränkischen Anzeiger“ ein nicht namentlich gekennzeichneter Nachruf, in dem es heißt:

„Der Verstorbene leistete nicht nur als Stadtoberhaupt Vorzügliches für Rothenburg…“

Stadtoberhaupt? Das war er doch in der NS-Zeit. Was hat er denn da Vorzügliches geleistet – ich meine aus der Sicht von 1965! Schmidts Tätigkeit nach dem Krieg wurde im Nachruf als die eines „hervorragenden Bürgers“ bezeichnet. Immerhin fehlt in der Reihe der Bürgermeister im Rathaus heute sein Porträt.

Einige der schuldigsten Nazis aus Rothenburg – unter vielen anderen

Rothenburg war die Heimat etlicher Nationalsozialisten, die anderswo Karriere gemacht und Verbrechen begangen haben. Dazu gehörte der Ladeninhaber Wilhelm Heer, Hitler-Anhänger seit 1922, nach 1933 Reichstagsmitglied und 1938 Anführer bei der Zerstörung der Kitzinger Synagoge. 1949 zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. –
Im Zuchthaus Straubing starb 1973 der SS-Mann Friedrich Hofmann, der sich 1949 dem Spruchkammerverfahren in Rothenburg stellen musste. Seine Tätigkeit als KZ-Wachmann hatte er verschwiegen. Erst zehn Jahre später wurde seine Tätigkeit im KZ Dachau bekannt. Seine Verhaftung erfolgte 1959. Wegen Mordes in zwei Fällen wurde Johann-Friedrich Hofmann zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. 1965 war er zusätzlich im Auschwitz-Prozess Frankfurt angeklagt. In Auschwitz war er als Schutzhaftlagerführer für Roma und Sinti zuständig, aber auch an der Rampe zur Abfertigung der Neuzugänge eingesetzt. –
Eine weiterer Rothenburger Karrierist war Friedrich Uebelhoer, Sohn eines Realschullehrers, der nach 1933 in Naumburg an der Saale Oberbürgermeister, NSDAP-Kreisleiter, Gauinspektor im Wartheland und Regierungspräsident in Kalisch wurde. Er errichtete das Ghetto Lodz (Litzmannstadt). 1945 verschwand er spurlos.

Ungesühnter Mord der Polizei und SA in der Bronnenmühle

Meine Damen und Herren, die Liste ließe sich fortsetzen. Ich will es dabei belassen, aber noch auf einen zweifachen Mord hinweisen, der von Rothenburger SA-Männern unter Führung der Schutzpolizei an Zwangsarbeitern in der Bronnenmühle 1945 begangen wurde, was als Endphasekriegsverbrechen zu bewerten ist und die alliierten Gerichte zuständig waren. Wurde nach dem Krieg irgendwann ermittelt? Angeklagt? Gesühnt? Verurteilt? Keineswegs, obgleich der Polizeibericht über den Vorfall sowie Sterbeurkunden darüber angefertigt wurden und die Namen der Täter bekannt waren. Sie leben heute nicht mehr.

Kommen wir in die spätere Nachkriegszeit

Ich bin neben meinen Recherchen in den Archiven und bei den Gesprächen mit Betroffenen und deren Nachkommen immer an der Frage interessiert gewesen – und häufig gescheitert –, warum die Stadt Rothenburg ihre jüngste Geschichte nicht aufgearbeitet und veröffentlicht hat. Heute komme ich zu dem Schluss, dass es kaum jemand in der Stadtverwaltung, im Rat der Stadt, in den Parteien oder Vereinen dies wollte, weil zu viel persönliche Nähe von Personen und Familien zum Nationalsozialismus sichtbar geworden und Untaten, von denen man wusste, aufgedeckt worden wären. Und, weil sich die Rothenburger wegen der Bombardierung im März 1945 selbst als unschuldige Opfer des Krieges und der Amerikaner fühlten. Das geht aus vielen Anmerkungen in Veröffentlichungen hervor.

Der Verein Alt-Rothenburg war Multiplikator der NS-Ideologie

Auch aus dem Veröffentlichungsschema, mit denen sich der Verein Alt-Rothenburg befasste. Dem Leser fällt auf: es wurde relativiert, verharmlost, weggelassen. Dadurch wurde ein Bild erzeugt, als bestehe die NS-Geschichte der Stadt nur aus der Bombardierung und der Nachkriegszeit mit den Sorgen um die Wohnungsnot und den Wiederaufbau, um den Tourismus wieder zu beleben. Alles andere wurde jahrzehntelang nicht oder lediglich als Randnotiz thematisiert.

Damit befand sich der Verein auf Linie der Stadt, des Verkehrsamts mit seiner Sorge, dass durch Veröffentlichungen der NS-Geschichte der Tourismus Schaden nehmen könnte. Das höre ich heute immer noch als Kritik. Vom damaligen Verkehrsdirektor Lüttgens wurde unter den Stadtführern die Devise ausgegeben, die Judengasse und das neu erbaute Judentanzhaus zu meiden, damit von vorwiegend amerikanischen Touristen keine dummen Fragen über Juden in der NS-Zeit aufkommen. Das erzählte mir 1961 ein älterer offizieller Fremdenführer – ich glaub, der hieß Keitel – mit offizieller Dienstmütze. Ich selbst führte als Schüler ohne Genehmigung der Verkehrsdirektors Amerikaner durch die Stadt, am liebsten Ehepaare, weil die Amis immer gut bezahlten. Der Dollar war damals noch 4,20 DM wert. Und das war viel Geld. Diese Anekdote reiht sich ein in das auch heute noch empfindliche Verhalten der Stadt und seiner Ämter, wenn es um Tourismus geht.

Antisemiten Ernst Unbehauen und Martin Schütz

Es gab zwei herausragende Mitglieder im Verein Alt-Rothenburg, die in der NS-Zeit offen und aktiv Nationalsozialisten und Antisemiten waren. Der Kunstmaler Ernst Unbehauen, der die schändlichen Judentafeln anfertigte, und der Stadtarchivar und Lehrer Dr. Martin Schütz, der das unsägliche Buch über die Geschichte der Juden im 16. Jahrhundert „Eine Reichsstadt wehrt sich“ geschrieben hatte, in dem er mit dem Anspruch von Wissenschaftlichkeit auch Fakten im Sinne des Nationalsozialismus verdrehte und verfälschte. Beides, die Judentafeln und dieses Buch, das ein Bestseller wurde, wie man heute sagt, erfuhr das höchste Lob von Gauleiter Julius Streicher.

Verein Alt-Rothenburg: Nationalsozialismus nur ein Nazi-Schwindel

In einem weiteren Jahresbericht 2011/12 des Vereins Alt-Rothenburg, also vor vier/fünf Jahren erst, thematisierte der Schriftführer des Vereins, der soeben zitierte Gymnasiallehrer Dr. Richard Schmitt, die nationalsozialistische Zeit in Rothenburg. Auch in diesem Artikel weist er jede Schuld weg, meint, dass die Rothenburger nicht begeistert waren vom Nationalsozialismus. Ich erinnere an die 81 Prozent Zustimmung bei der Reichstagswahl 1932 und die Gewalt, die man gegen Juden anwandte. Unter Johlen der Bevölkerung wurde 1934 beispielsweise ein älterer jüdischer Mitbürger barfuß und blutig geschlagen sowie mit einem Schandplakat um den Hals von Rothenburgern durch die Gassen der Stadt geführt. Um ihn herum, die ihn führten, Rothenburger. Bei der städtischen Vertreibung der Juden aus Rothenburg, wobei die Juden zum Bahnhof getrieben wurden, schossen ihnen Rothenburger mit den Kanonen des Historischen Festspiels hinterher und grölten. Nur diese zwei Beispiele. So etwas kann und darf man nicht als „Nazi-Schwindel“ bezeichnen, als wären die zwölf Jahre nur ein lächerlicher Hokuspokus gewesen. Gab es überhaupt Nazis in der Stadt? Dazu sagte Dr. Schmitt 2012:

„Aber vermutlich gab es auch hier nur eine Minderheit von lautstarken, durch Charakter und Erziehung disponierten Personen, die auf den Nazi-Schwindel hereinfielen oder ihn sich zwecks Beförderung ihrer Laufbahn zunutze machten.“

Auch diese Einschätzung von Minderheiten mit Charakterlosigkeit, die lautstark den Nationalsozialismus durchsetzen, ist mit Fakten zu widerlegen. Zu dieser durch „Charakter und Erziehung disponierten Personen“ gehörten auch 80 Prozent der Lehrerschaft.

Stadtamtmann Wirsching machte sich selbst zum Retter der Stadt

Meine Damen und Herren! Wenden wir uns jetzt dem Rathaus zu. Einer, der die NS-Situation in Rothenburg gut kannte, war Hans Wirsching. Er war Stadtamtmann, also Verwaltungsvertreter des Bürgermeisters während der gesamten NS-Zeit. Städtischerseits wickelte er die so genannte Arisierung ab. Nach 1945 stilisierte er sich zum „Retter der Stadt“, indem er Rothenburg den Amerikanern kampflos übergeben haben will. Daher machte ihn die einrückende US-Militärverwaltung ad hoc zum Landrat. Lange war er das nicht, denn er hatte in seinem Fragebogen seine DNVP-Parteizugehörigkeit unterschlagen, bis 1933 mit5 der NSDAP verbündet, worauf die Amerikaner ihn 1946 ins Zuchthaus Amberg verbrachten. Nach Rothenburg zurückgekehrt, ließen ihn die Rothenburger als Retter der Stadt weiterhin hochleben und betrachteten ihn als Opfer der Amerikaner.
Hans Wirsching, der zivile Stadtamtmann, hat 1946 aufgeschrieben, warum die Amerikaner die Stadt vor ihrem Einmarsch verschonten. Sie hatten ihre Kanonen bereits auf die Stadt gerichtet. In Rothenburg gab es einen Kampfkommandanten der Wehrmacht und in der Nähe eine berüchtigte SS-Division. Und der Zivilist Wirsching wollte in diesen Kriegstagen die Amerikaner dazu gebracht haben, nicht zu schießen, weil er die kampflose Übergabe der Stadt versprach und anordnete. Tatsächlich zog sich das Militär nachts aus der Stadt zurück. Die Amerikaner konnten – abgesehen von ein paar Schießereien – fast kampflos einmarschieren. Danach bestätigten andere Rothenburger diese Version und stellten sich selbst zu denen, die an der Rettung beteiligt waren. Seit den 1950er-Jahren war allerdings durch den Besuch eines amerikanischen Stars-and-Stripes-Reporters, der bei den Übergabeverhandlungen in Rothenburg dabei war, bekannt, dass diese Rettung so nicht stattgefunden hatte. Richtig war und ist, dass sechs US-Parlamentäre den im Wildbad sitzenden deutschen Kampfkommandanten am 16. April 1945 nachmittags mit der Drohung unter Druck setzten, die Stadt ab 18 Uhr zusammenzuschießen, wenn er nicht die Stadt kampflos räumen würde. Zur kampflosen Räumung hatte der Kommandant allerdings ohne Befehl seines Vorgesetzten keine Befugnis. Der Befehl sei so schnell nicht einzuholen, wenn er denn dann überhaupt käme.  Die aussichtslose Lage einsehend, sicherte der Kampfkommandant den sechs Parlamentären zu, die Frontlinie in der Nacht zur Frankenhöhe zu verlegen, was er dann auch tat. Diese Version wurde in Rothenburg schon in den 50er-Jahren vergessen und Hans Wirsching, der als Stadtamtmann über die Vorgänge von Rückzug und Stadtverschonung lediglich informiert gewesen war, wurde zum Ehrenbürger gemacht.
Im Verein Alt-Rothenburg wurde immer wieder die Rettungsaktion Wirschings betont. Zuletzt noch 2012 mit einer Ausstellung „Retter der Stadt“. 2014 konnten wir in der Online-Dokumentation „Rothenburg unterm Hakenkreuz“ die amerikanische Version veröffentlichen und belegen, da uns ein erst kürzlich erschienenes Buch eines dabei gewesenen Soldaten über die Ereignisse in Rothenburg aus den USA zugeschickt wurde – mit Daten, Fakten, Uhrzeiten und der minutiöse Ablauf der Gespräche der US-Parlamentäre mit dem Kampkommandanten. Dass die Parlamentäre von der nahen Front nach Rothenburg geschickt wurden, war auf den damaligen Kriegsminister McCloy zurückzuführen, der dem US-Bataillonskommandanten vor der Stadt dazu anwies. Denn er kannte Rothenburg und die Rothenburger machten ihn ja schließlich ebenfalls zum Ehrenbürger.

Wie ist die offensichtlich falsche Einordnung dieser historischen Rettungsaktion zu bewerten? Ich denke, die Rothenburger wollten in den 1950er-Jahren zeigen, dass sie gegen Militär und SS mutig genug waren, sich auch gegen den NSDAP-Kreisleiter zu stellen, der Verteidigung bis zur letzten Patrone gefordert hatte. Was war es also? Warum hielten Rothenburger so lange an der falschen Version fest? Darüber mögen sich andere den Kopf zerbrechen. Rothenburg reagierte auf unsere Veröffentlichung der US-Version 2015 in „Rothenburg unterm Hakenkreuz“, dass Wirsching nicht der Retter war, mit Schweigen zu diesem Thema – bis heute!

Deserteur und Defätist Johann Rößler 2015 rehabilitiert

Hängt eine Ehrentafel Wirschings an der Friedhofskapelle, so bekam der Rothenburger Deserteur Johann Rößler keine Gedenktafel – erst im letzten Jahr 2015. Er war ein einfacher Mann, seit dem Ersten Weltkrieg gehbehindert, Gärtner von Beruf, der als eingezogener Volkssturmmann an der Oder gegen russische Panzer kämpfen musste. Dort packte er mit lautem Götz-Zitat seinen Rucksack und tauchte wieder in seiner Heimatstadt Rothenburg auf, wo ihn die Partei festnehmen, ihn von einem auch gegen die damals geltenden Rechtsvorschriften falsch zusammengesetztes SS- und Wehrmachts-Standgericht zum Tode verurteilen und am 7. April 1945 an der Friedhofsmauer – hier in Rothenburg erschießen ließ. Keiner regte sich dagegen. Kein Hans Wirsching und nicht die anderen. Weder der Bürgermeister noch andere Juristen, um wenigstens zu versuchen, ihren Bürger mit der formalen Begründung der falschen Zusammensetzung des Standgerichts zu retten. Stattdessen versammelten sich bei der Erschießung Rothenburger, darunter Hitlerjungs, und schauten zu. Rößler wurde schnell vergessen. Denn er wurde als Schande für die Stadt und als ein Verräter angesehen. Das hört man heute noch. Rößler wurde einfach weggeschwiegen, auch von der eigenen Familie. So wie es die zweite Schuld gab, wurde Rößler durch Schweigen das zweite Mal getötet.

Ehrentafel am Erschießungsort an der Friedhofsmauer

Erst als 2015 nach Recherche und Veröffentlichung der Rößler-Geschichte sowie Kontaktaufnahme mit den Nachkommen die Herausgeber von „Rothenburg unterm Hakenkreuz“ bei der Stadtverwaltung die Genehmigung einholten, an der Friedhofsmauer eine Gedenktafel anbringen zu dürfen, wurde das Thema öffentlich. Bürgermeister Hartl  genehmigte und bezahlte die Bronzetafel und die Stadt bekannte sich in der kleinen Feierstunde mit Bürgern und Familie zur Rehabilitation ihres Bürgers Johann Rößler – 70 Jahre nach dessen Tod. Diese Aktion erfuhr auch die Unterstützung des Verlegers der Lokalzeitung und der Redaktion. Etliche Rothenburger und Stammtische sprachen sich allerdings dagegen aus. So war von einem ehemaligen Stadtrat zu hören, dass er sich mit einem Mann wie Rößler auch heute nicht an einen Tisch setzen würde. Wie gesagt, der Rothenburger Johann Rößler wurde 2015 durch das Anbringen der Ehrentafel und der Rede des Bürgermeisters rehabilitiert. Das war ein Bekenntnis des Stadtrats zur dunklen Geschichte ihrer Stadt.

Umbenennung der Ludwig-Siebert-Straße – Wogen der Entrüstung

Im selben Jahr folgte ein zweites Bekenntnis, allerdings nicht ganz so uneingeschränkt, wie bei Rößler. Es ging um die Umbenennung der Ludwig-Siebert-Straße, benannt nach einem hochrangigen Nazi, er war NS-Ministerpräsident von Bayern. Rothenburg war bis zum letzten Jahre die letzte Stadt in Bayern, die den Nazi mit der Straßenbenennung ehrte. Für eine internationals bekannte Touristenstadt, für die der Tourismus wichtig ist, irgendwie eigenartig. Doch solange daran nicht gerührt wird, weiß ja kein Tourist, wer Ludwig Siebert war. Also ließ man es dabei.

Wie auch immer: Einmalig ist jedenfalls die Geschichte, die hinter dieser Geschichte steckt. 1945 mussten alle Straßen, die nach Nazis benannt waren, umbenannt werden. So auch die Ludwig-Siebert-Straße in Obere Bahnhofstraße. Kaum hatten die Amerikaner keinen Einfluss mehr, benannte der Rothenburger Stadtrat die Straße 1955 wieder nach Ludwig Siebert. Und zwar einstimmig. Auch mit den SPD-Stimmen. Die Lokalzeitung bewertete die Umbenennungsaktion 1955 so:

„Mit der Wiederbenennung der Oberen Bahnhofstraße mit dem Namen Ludwig Siebert erfüllt die Stadt Rothenburg eine selbstverständliche Ehrenpflicht, denn der Name Ludwig Siebert wird, über alle politischen Entscheidungen hinweg, in Rothenburg unvergessen bleiben.“

Zwischenzeitliche Forderungen der späteren Jahrzehnte, diese Umbenennung wieder rückgängig zu machen, ignorierte der Stadtrat. Auch Leserbriefe blieben ohne Wirkung, ebenfalls 2013 von Dr. Gußmann organisierte Vorträge von Historikern, die zur Umbenennung rieten. Auch ein eigens veranstalteter Studientag des Evangelischen Bildungswerks über den bayerischen Ministerpräsidenten und Nationalsozialisten zeigte keinen Erfolg.

Im März 2014 ging unsere Online-Dokumentation „Rothenburg unterm Hakenkreuz“ ins Netz. Dr. Gußmann und ich forderten erneut die Umbenennung. Die Tageszeitung DIE WELT griff das Thema auf, auch Dieter Balb vom “Fränkischen Anzeiger”, dann die Nürnberger Nachrichten, die Süddeutsche Zeitung, die Augsburger Allgemeine und andere sowie die Deutsche Presseagentur. Tage später informierte Rothenburgs Oberbürgermeister einen anrufenden Journalisten, dass die Straße noch im Frühjahr umbenannt werde. Und so war es denn auch. Die Straße heißt seit 2015 wieder Obere Bahnhofstraße. Zwischen Beschluss und Ausführung entstand eine Bürgerinitiative, die auf dem Rechtsweg des Bürgerentscheids den neuen Beschluss der Umbenennung wieder rückgängig machen wollte. Sie hatten auch ausreichende Unterschriften gesammelt. Letztlich scheiterte das Bürgerbegehren an einem Formfehler der Initiatoren.

Das Zugehen der Stadt auf Initiativen der Bürgern

Meine Damen und Herren, dass sich der Stadtrat dann doch einstimmig zur Aufhebung des Beschlusses von 1955 durchgerungen hatte, war ein Zugehen, ein sich Öffnen der dunklen Vergangenheit dieser Stadt. Vielleicht wird sich die Stadt anlässlich eines Jahrestages auch öffentlich und offiziell zur Schuld bekennen und sich ebenfalls offiziell und öffentlich entschuldigen. Vielleicht 2018 zum 80. Jahrestag der gewaltsamen Vertreibung der Rothenburger Juden. Stumm Gebliebenes aufzuarbeiten, ist heute gängiger als noch vor 15 Jahren. Zu den Pionieren dieser Aufarbeitung gehört Dieter Balb, der bis letztes Jahr Chefredakteur beim mehrmals thematisierten „Fränkischen Anzeiger“ war. Eine Artikelserie erschien schon 1983 zur 50-jährigen Machtübergabe an Hitler. Es war das erste Mal, dass überhaupt etwas Zusammenhängendes über die NS-Zeit in Rothenburg veröffentlicht wurde, sogar mit Nennung von Rothenburger Familiennamen.

Dann gehören Dr. Oliver Gußmanns Aufarbeitung der jüdischen Geschichte in der NS-Zeit und Thilo Pohles Film- und Medien-Arbeit mit Schülern in den letzten Jahren über die Geschehnisse von Brettheim dazu, wo Bürger gehenkt wurden, weil sie angesichts der anrollenden amerikanischen Panzer Widerstand von Hitlerjungs für sinnlos erachteten. Dazu gehört auch das 2006 erschienene Buch in englischer Sprache „Preservation, Tourism and Nationalism“ von Joshua Hagen, Dr. Daniel Bauers Promotionsarbeit  „Aufstieg und Herrschaft des Nationalsozialismus in Stadt und Land Rothenburg“, der sie uns in seinem Eröffnungsvortrag am Freitag vorstellte.

Und dazu gehört, wenn Sie mir in eigener Sache zu reden gestatten, die 2012 begonnene Forschungsarbeit über nationalsozialistische Verhältnisse in der Stadt, die von Dr. Gußmann und mir seit 2014 im Bildungswerk der Evangelischen Kirche online herausgegeben wird. Darin sind bis heute rund 450 Artikel über die Geschehnisse in Rothenburg veröffentlicht. Diese Arbeit ist ehrenamtlich.

Drohungen und Beschimpfungen über das Internet

In Rothenburg gab und gibt es Auseinandersetzungen um die Aufarbeitung. Da werden Zusagen zur Einsicht in Vereinschroniken gemacht, wie vom Historischen Festspiel, und dann mit sonderbaren Argumenten wieder zurückgezogen. Da erhalte ich schriftlich von einem honorigen Vorstandmitglied des Vereins Alt-Rothenburg das Qualitätsmerkmal „Scheißpolemik“ zugeschickt und von einem Unbekannten über das Internet anonyme Bedrohungen. Die Staatsanwaltschaft Ansbach ermittelte 2015 und stellte ein. Die Polizei hatte wohl den Computer in einem Rothenburger Unternehmen entdeckt, nicht aber den Schreiber. Über das Internet gibt es auch andere Beschimpfungen. Aber das scheint heute normal zu sein.

Nachdenklich macht aber der Umgang der Söhne oder Töchter mit der Schuld ihrer Väter oder Großväter von vor 1945. Der Umgang der Nachkommen mit der Schuld ihrer Väter kann zu angespannten Verhältnissen führen, ja zu beleidigenden Angriffen, schreibt man über die aktenkundigen Taten ihrer Väter, auch wenn sie aktenbelegt sind. Hier könnte ich ebenfall ein paar Beispiele nennen. Doch ich will mich dem Positiven zuwenden.

Respekt vor denen, die ihre Familiengeschichte aufarbeiten

Es gibt bewunderns- und begrüßungswerte Ausnahmen in Rothenburg, wo sich Kinder intensiv mit der Vergangenheit ihrer Familienangehörigen auseinandersetzen. Zu begrüßen ist in diesem Zusammenhang das Buch, in dem sich Ulrich Herz mit seinem antisemitischen Großonkel Ernst Unbehauen, von dem vorhin die Rede war, beschäftigt und zeitnah zu dessen Todestag in einem Vortrag im Verein Alt-Rothenburg ihn als überzeugten Nationalsozialisten und antisemitischen Künstler ins Licht der Öffentlichkeit gerückt hatte. Hier erfolgte eine Auseinandersetzung eines nachkommenden Familienmitglieds mit der Schuld des Schuldigen.
Oberbürgermeister Walter Hartl hatte daraufhin das Gebinde mit der städtischen Schleife, das er zum Todestag 2010 auf das Ehrengrab Unbehauens niederlegte, wieder entfernen lassen. Eine Geste, die Aufhorchen lässt. Dieter Balb, hier mehrmals zitiert, schrieb darüber im Fränkischen Anzeiger:

„Auf der politischen Ebene aber hat der Oberbürgermeister in Wahrnehmung seiner Verantwortung für die Stadt und deren nationalsozialistischen Vergangenheit nachvollziehbar gehandelt und ein Zeichen gesetzt.“

Der Stolz des Bürgermeister Gehringers auf seine SS-Vergangenheit

Im letzten Jahr erschien ein Buch von Bernd Gehringer über sein Nachdenken über die Schuld seines Vaters Fritz Gehringer, der Zeit seines Lebens Schuld weit von sich wies. Hier die Vorgeschichte zu dem Buch. Noch 1981 verweigerte der Stadtrat dem SPD-Antrag die Mehrheit, um den amtierenden zweiten Bürgermeister, Fritz Gehringer, seines Amtes zu entheben. Denn Gehringer hatte in seiner Begrüßung des preußischen Kadettenkorps unter Teilnahme von ehemaligen Wehrmachtgenerälen und amtierenden Bundeswehroffizieren in 1981 in Rothenburg gesagt, hier vereinfacht wiedergegeben, dass er stolz sei, bei der SS gewesen zu sein. Der Antrag der SPD, ihm daraufhin die Funktion des Bürgermeisters abzuerkennen, wurde mit 13:11 Stimmen abgelehnt. Gehringer blieb Bürgermeister und weiterhin stolz darauf, SS-Offizier und Kompanieführer gewesen zu sein.

Beim Lesen der Ehren-Erklärungen im Stadtrat für ihren Bürgermeister fällt aus heutiger Sicht auf, wie wenig sensibel 1981 im Rothenburger Stadtrat von den Ablehnern des Antrags mit der nationalsozialistischen Vergangenheit umgegangen wurde, auch wenn einige sich befleißigt fühlten, ihre eigene Anti-Haltung zum Nationalsozialismus erst einmal erklären zu müssen. Eine Anmerkung, die so nebenbei fiel und vermutlich auch unbeachtet blieb, war die von Alfred Ledertheil (SPD-Bürgermeister von 1964–1976), als er sagte, dass es hier nicht darum gehe, die „Vergangenheit aufzuarbeiten“. An anderer Stelle sagte er dies mit negativer Ausdrucksweise: Man wolle nicht in der Vergangenheit herumwühlen.
Beides, meine Damen und Herren, klingt wie eine Besänftigung. Denn man wusste im Stadtrat wohl, welch brauner Staub dann noch herumwirbeln würde. Eine Aufarbeitung wollten die Rothenburger nicht – und machten sie auch nicht. Auch bei dem Rücktrittsantrag ging es der SPD-Ratsfraktion trotz schöner Worte nicht um Vergangenheitsbewältigung eines heute noch stolzen früheren SS-Offiziers, sondern mehr um das Ansehen Rothenburgs als international bekannte Touristenstadt. Denn Gehringers Stolz machte überregionale Schlagzeilen.
Diese politische Auseinandersetzung entfachte bei seinem Sohn Bernd, heute pensionierter Lehrer in Bamberg, den Willen, sich mit der Vergangenheit seines Vaters auseinanderzusetzen. Aus dieser Auseinandersetzung mit der Schuld seines Vater und wie dieser und seine Mutter damit umgegangen sind, schrieb er zwei sehr offene und stellenweise bedrückende Bücher. In ihnen bekannte sich der Sohn zur Schuld seines Vaters, zur ersten Schuld vor 1945 und auch zur zweiten, der nach 1945. Davor, meine Damen und Herren, habe ich Hochachtung.

Wir tragen die Verantwortung für die Erinnerung

Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluss. Scham und Schuld sind zwei Begriffe, die für die deutsche Erinnerungsgeschichte absolut zentral sind. Und dennoch habe ich nirgendwo Antworten auf die Frage gefunden, warum es zu der großen Beteiligung an den vielen Verbrechen kam, sieht man von Erklärungen wie Karriere, Idealismus, Zwang usw. ab. Es blieb bislang bei einem Versuch und wird es wohl auch bleiben. Verbrechen lassen sich juristisch bestimmen, anklagen, verurteilen oder freisprechen. Was ist aber mit denen, die schuldig geworden sind nicht an dem was sie taten, sondern an dem was sie nicht taten, was sie unterließen, um andere zu hindern, Verbrechen zu begehen?
Dabei geht es auch darum, nicht nur um Geschehenes und Vergangenes zu richten, sondern darum, Lehren für die Zukunft zu ziehen, Lehren, die uns vor einer Wiederholung des tragischen Geschehens in der Hitlerzeit bewahren sollten. Dazu ist es notwendig, dass wir diese Vergangenheit, das Dritte Reich und die Zeiten davor und danach, möglichst genau betrachten. Das galt für die Generation unserer Eltern und Großeltern, die diese Zeit erlebt hatten, und für unsere und die jüngere Generation, die frei von Schuld ist, aber Verantwortung trägt für die Erinnerung. – Ich danke ihnen!

Siehe auch:

 

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Das Foto stellte freundlicherweise Jochen Ehenes zur Verfüng.
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Ein Kommentar zu „Schwierigkeiten im Umgang mit der Schuld“ – Vortrag von Wolf Stegemann auf der Tagung „Rothenburg in Krieg und Frieden“ der Ev. Akademie Tutzing in Rothenburg 2016

  1. Walter Lassauer sagt:

    Verehrte Verfasser der Geschichte Rothenburg im Dritten Reich!
    Ich habe lange gezögert auf Ihre – weitestgehend gut recherchierten Episoden der NSDAP in Rothenburg – öffentlich meine Meinung dazu abzugeben. Nachdem ich heute Abend (10.10.2016/20.15 Uhr) in der ARD-Tagesschau die Information des noch einigermaßen unverbrauchten Justizministers Maas (SPD) mitbekam, dass in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Justizministerium der damals noch recht jungen BRD in den gehobenen Positionen – bis zur Ministerial-Ebene hinauf – etwa 70 % ehemalige, hochrangige Alt-Nazis wieder in Amt und Würden waren – und damit letztendlich auf der juristischen (Hoch-)Ebene der BRD (unter Adenauer) über “Wohl und Wehe” eines ganzen Staates entscheiden konnten, wurde mir nur das bestätigt, was ich eigentlich schon seit Jugendzeiten wusste. “Die Kleinen hängt man – und die großen Verbrecher lässt man laufen” – und weiter agieren: Mächtige, aus der verfluchten Hitler-Ära herübergerettete Seilschaften hatten sich grandios bewährt: “Bittschön! – eine Krähe hakt doch der anderen kein Auge aus!” …
    ” …Dieser Slogan, neuerdings auch aus dem Arzt-(Haftungs) Milieu, hat sich bislang hervorragend bewährt!
    Mein Vater Robert Lassauer dagegen … hatte keine Seilschaften (und keine Fürsprecher) als damaliger kleiner PG wie viele Aberhunderttausende anderer PG´s auch. Und er hat auf jeden Fall als “Verführter” – wie ebenfalls fast das gesamte deutsche Volk – SCHULD auf sich geladen… Dass ich schon lange von der unseligen Vergangenheit meines Vaters wusste, habe ich … erzählt! Aber dass mein Vater übrigens seine damaligen “Dienste” für die SA teuer bezahlen musste nicht: über ein halbes Jahr Gefängnis in der Burggasse und über 3 Jahre Berufsverbot in der Stadt Rothenburg (!) waren das Ergebnis seiner “riesengroßen” Verfehlungen. Zu dieser Zeit saßen die wirklich großen Nazis schon lange wieder auf ihren gewohnten Stühlen! Auch im Landkreis Ansbach! Meine tiefgläubige Mutter Rosa Lassauer ist mit knapp 41 Jahren daran zerbrochen und jung gestorben! Drei halbwüchsige Buben blieben zurück. Zurück in der Obhut einer herzlosen Stiefmutter und einem völlig – vom sechsjährigen vordersten Fronteinsatz als einfacher Landser in Russland – traumatisierten Vater. Heute nennt man dies “locker vom Hocker”: Posttraumatisches Belastungs-System (PTBS).
    Seit meiner Jugendzeit, schon als ich verstohlen auf dem Dachboden in der Winterbachstraße das spätere Standardwerk von Eugen Kogon “Der SS-Staat” las, nahm ich mir innerlich vor, gegen solch fürchterlich verbrecherischen Umtriebe der Ewiggestrigen mein Leben lang, d.h. bis in die Zukunft zu kämpfen. Doch das Leben hat leider auch mich gelehrt, nach beinahe 30-jähriger SPD – Mitgliedschaft auf den Boden der Tatsachen zurückzukommen. Gegen Rachsucht, das große Kapital und die Dummheit ist leider kein Kraut gewachsen! … Noch 2012 wurde ich in Leserbriefen genussvoll vom NPD-Vorstand Maul – samt ergebenen Lakaien – wegen meines anhaltenden öffentlichen Engagements “Ludwig-Siebert-Straße” durch den Kakao gezogen. Keine einzige positive Stimme kam aus meiner (ehemaligen) SPD. Die hatten ja schon vor fast 50 Jahren zu diesem Thema den Schwanz eingezogen!
    Walter Lassauer

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